Manchmal sagt ein Gebrauchsgegenstand mehr über einen Bau als eine lange kunsthistorische Beschreibung. Spiegelt er doch, mit welchem Leben die Menschen hier den hehren Architektenentwurf füllen, ob sie ihren Platz im Raum gefunden haben. Im diesem Fall geht es um einen Sessel, der es rasch zum Designklassiker geschafft hat: der Vitsoe 620, ein Werk des langjährigen Braun-Designers Dieter Rams (* 1932). Viele seiner Entwürfe – wie das Audiomöbel “Phonosuper SK4”, der sog. Schneewittchensarg – sind längst Kult. Seine Designphilosophie wird heute an den Hochschulen gelehrt, seine  klaren Formen werden von internationalen Marken wie Apple zitiert. Auch mit renommierten Herstellern wie Vitsoe (+ Zapf) oder FSB entwickelte Rams allerlei Funktionales und Formschönes für den Alltag: darunter der legendäre Vitsoe-Sessel 620 aus dem Jahr 1962, der aktuell im Vitra Design Museum zu bestaunen ist. Oder man wirft einen Blick in Rams Eigenheim, das er mit Eigenentwürfen ausgestattet hat.

Eine "Ikone des Möbeldesigns": der Vitsoe 620 im Kronberger Eigenheim seines Erfinders Dieter Rams (Bild: K. Berkemann)

Eine “Ikone des Möbeldesigns”: der Vitsoe 620 im Kronberger Eigenheim seines Erfinders Dieter Rams (Bild: K. Berkemann)

Dieter Rams, Tischsuper RT 20 (Foto: Andreas Sütterlin)

Dieter Rams, Tischsuper RT 20 (Foto: Andreas Sütterlin)

Dieter Rams, Phono-Radiokombination SK55 (Foto: Andreas Sütterlin)

Dieter Rams, Phono-Radiokombination SK55 (Foto: Andreas Sütterlin)

Dieter Rams, Stapelprogramm 740 (Foto: Christoph Sagel, Courtesy: APPEL DESIGN GALLERY, Berlin)

Dieter Rams, Stapelprogramm 740 (Foto: Christoph Sagel, Courtesy: APPEL DESIGN GALLERY, Berlin)

Dieter Rams, Sesselprogramm 601/02 (RZ 60) (Foto: Christoph Sagel, Courtesy: APPEL DESIGN GALLERY, Berlin)

Dieter Rams, Sesselprogramm 601/02 (RZ 60) (Foto: Christoph Sagel, Courtesy: APPEL DESIGN GALLERY, Berlin)

Eleganz in der Bungalowsiedlung

Rams schuf ein so vielgestaltiges Werk (“Gutes Design umfasst doch das ganze Leben.”), dass er sein Domizil problemlos mit eigenen Entwürfen ausstatten konnte. An den Hängen der Taunusstadt Kronberg, in der Neubausiedlung Roter Hang, liegt sein modernes Wohn- und Atelierhaus aus dem Jahr 1971. An der Idee zur Neubausiedlung „Roter Hang“, dessen Vorbild u. a. in der schweizerischen Siedlung Halen (Aterlier 5, 1962) liegt, hat Rams prägenden Anteil – ausgeführt wurde sie vom Königsteiner Architekten Rudolf Kramer mit dem Bauträger Polensky & Zöllner.

(Bilder: Karin Berkemann)

Die Siedlung am Hang umfasst – zwischen an den Rand gesetzten Doppel- und Mehrfamilienhäusern – vor allem Einzelbungalows. Ineinandergefügt umfangen sie geschützte “Intimhöfe”, für jede Familie einen. Die Garagen wurden ursprünglich am Eingang zur Siedlung zusammengefasst, im Inneren blieben die Wege und Treppen zwischen den Häusern ohne Autoverkehr. Für sein eigenes Domizil am oberen Rand des Roten Hangs verband Rams zwei Standard-Bungalows: im Norden das Wohnhaus, am Hang nach Süden das Atelier mit Büro und Werkstatt. Mit zwei kleinen Ausnahmen von der übrigen Siedlung, einem Carport und einem Pool (“Für meinen Rücken muss ich viel schwimmen.”).

Gemütlichkeit in “der Molkerei”

(Bilder: Karin Berkemann)

Das Haus Rams trug in der Siedlung rasch den Spitznamen “Molkerei”, wegen der weiß gefliesten Böden. Im Wohnbereich kombiniert er Design-Klassiker wie Thonet-Stühle mit Eigenentwürfen. Ob im Wohn- oder Arbeitsbereich (eine freie Stufe markiert den Übergang), alles entspricht dem Rams-Ethos (“Less but better.”).  Er lernte die (Möbel-)Schreinerei als Kind in der Werkstatt seines Großvaters kennen. Nach dem Krieg studierte Rams an der Werkkunstschule Wiesbaden, arbeitete im Anschluss kurz im Frankfurter Architekturbüro Otto Apel , um schließlich seine Lebensaufgabe als Designer für Braun zu finden.

Für Vitsoe (damals Vitsoe & Zapf) entwarf Rams ab 1960 Regal (606), Tisch (621) und besagten Sessel. Sie sind als System kombinier- und ausbaubar, so kann man z. B. zwei 620 zu einem Sofa verbinden. Der Original-Sessel bestand aus einer fiberglasverstärkten Kunststoffschale mit Sprungfederkern für die Sitzkissen. Wer den 620 selbst be-sitzen mag, kann ihn (für eine vierstellige Summe) in der überarbeiteten Neuauflage erwerben: die Außenschale aus gefrästem Birkensperrholz, die Sprungfedern mit einer “latexierter Kokosfasermatte” abgedeckt, die Kissen in Anillin-Vollleder gehüllt. Doch die Schale wird weiterhin in den Originalformen hergestellt, ist also nach wie vor mit den ersten Stücken der Möbelserie kompatibel. In Kronberg soll aktuell die Siedlung “Roter Hang” mitsamt Rams-Doppelbungalow unter Denkmalschutz gestellt werden – und der berühmte Sessel mittendrin. (kb, 18.11.16)

links: Dieter Rams (Foto: Michael Kretzer); rechts: Das Sesselprogramm 620 im Jahr 1971, im Jahr der Fertigstellung des Rams-Bugnalows in Kronberg, im Vitsoe-Showroom in Frankfurt am Main (Foto: Ingeborg Kracht Rams)

Mehr?

Lesen Sie das ausführliche Interview, das mR mit Dieter Rams 2014 in seinem Kronberger Domizil führen konnte, blättern Sie durch “Less but better” von Jo Klatt oder besuchen Sie die Ausstellung “Dieter Rams. Modular World”, die noch bis zum 12. März 2017 im Vitra Museum zu sehen ist.

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