von Uta Winterhager (18/1)

Ich erinnere mich an den Morgen, als ich nach einer Nacht mit Regen, Sturm und wilden Wellen die Vorhänge aufzog und alles war anders. Grau und müde war der Himmel, der am Tag vorher noch so strahlen blau gewesen ist, grau und zornig das Meer, das heute gar nicht mehr zum Baden einladen wollte. Im ganzen Hotel war es plötzlich so still geworden, nur wenige und nur sehr langsame Schritte waren noch auf dem Flur zu hören. Im Frühstückssaal konnten wir uns zum ersten Mal seit unserer Ankunft vor zwei Tagen einen Tisch aussuchen – endlich einen direkt am Fenster, denn die wenigen Gäste, die noch da waren, bevorzugten kurze Wege zum Buffet. Es muss der 13. Oktober gewesen sein, denn der 12., so erfuhren wir dann, ist spanischer Nationalfeiertag. Daher also die vielen Familien, die hier über das verlängerte Wochenende mit Kindern, Eltern und Großeltern, gegessen und gefeiert hatten. Hätte man wissen und bedenken können, doch der Wetterwechsel nach dem Feiertag kam ohne Ankündigung. Während die Sonne im Kampf mit den Wolken unterlag, aßen wir die Reste vom Fest mit der Nachhut, die den Eindruck machte, als hätte sie dem Hotel seit seiner Eröffnung 1966 in guten wie in schlechten Tagen die Treue gehalten – als seien sie gemeinsam alt geworden.

Von Pinien umsäumt

Parador de Aiguablava, Sensible Festung des frühen Tourismus an der Costa Brava (Foto: Uta Winterhager)

Parador de Aiguablava, Sensible Festung des frühen Tourismus an der Costa Brava (Foto: Uta Winterhager)

Doch 50 Jahre sind in der Architekturgeschichte kein Alter, insbesondere die Vertreter der Nachkriegsmoderne stehen – sofern sie geschätzt und gepflegt wurden – heute noch meist gut da. So sitzt das Hotel Parador de Aiguablava nach fünf Jahrzehnten Betrieb immer noch mit einem gewissen trotzigen Understatement auf der felsigen Landzunge, die sich etwa 150 Kilometer nördlich von Barcelona in der Nähe des Örtchens Begur ins Meer hinausstreckt. Zu Füßen des Hotels liegt eine Bucht umsäumt von Pinien, ein kleiner Sandstrand, türkisfarbenes Wasser, ein Fischrestaurant und ein Tauchschulenkiosk. All das ist so malerisch, dass es fast weh tut. Das Hotel darüber ist ganz anders, eine strahlend weiße, langgestreckte additive Struktur, dreigeschossig mit betonten Mittelachsen. Großartig, jubeln da die Freunde des Rationalismus, besser hätte man den Bau kaum platzieren können.

Position und Haltung

Parador de Aiguablava: Schmuck ohne Gefallsucht an der Stirnseite des Paradors (Foto: Uta Winterhager)

Parador de Aiguablava: Schmuck ohne Gefallsucht an der Stirnseite des Paradors (Foto: Uta Winterhager)

Die Landzunge von Aiguablava qualifizierte sich Mitte der 60er Jahre mit der Aussicht auf das Meer zu drei Seiten und als touristisches Niemandsland als Standort für einen Bau der staatlichen Hotelkette “Paradores de Turismo de España”. Mit dem Neubau des Hotels wurde der katalanische Architekt Raimon Duran i Reynals (Barcelona, 1895-1966) beauftragt. Literatur über ihn ist nur spärlich zu finden, seine Handschrift nicht eindeutig. Dies mag auch der Tatsache zuzuschreiben sein, dass ihm als Mitglied der 1930 gegründeten Gruppe GATCPAC (Grup d’Arquitectes i Tècnics Catalans per al Progrés de l’Arquitectura Contemporània), die sozusagen den katalanischen Arm der C.I.A.M. bildete, in den ersten Jahren das Franco-Regimes eine moderne Ausrichtung untersagt war. Erst in den 50er Jahren ließ die politische Einflussnahme auf die Architektur wieder nach. Dennoch bleibt die rigoros moderne Architektur des Paradors in Aiguablava eine Ausnahme, sowohl in diesem Teil Kataloniens, im Werk des Architekten als auch unter den Paradores, denn lieber schmückt sich die Kette heute mit Unterkünften in historischen Klöstern und Adelssitzen. So spricht aus der Konsequenz mit der Duran i Reynals das Hotel geplant hat, sicher auch der trotzige Wille sich zu behaupten.

Wer das Hotel besuchen möchte, sieht es schon aus der Ferne, doch die strenge und funktionalistische Struktur könnte vielem dienen – auch militärischen Zwecken, für ein Luxushotel spricht nur die Lage. Den Ankommenden gegenüber macht sich der 85 Meter lange Bau klein und zeigt seine schmale Stirnseite. Strahlend weiß ist die Fassade, glatt durch den Verzicht auf Attika und Laibungen. Wer hier vor der Kulisse des Meeres an einen Dampfer denkt, der sieht in dem auskragenden Obergeschoss eine Kommandobrücke und findet Bestätigung in der filigranen weiß lackierten Außentreppe und der Reling auf dem Dach.

Funktion und Dekor

Parador de Aiguablava: Überall geht der Blick in die Ferne: aus dem Speisesaal unten, von den Balkonen oben und von der Terrasse rechts (Foto: Robert Winterhager)

Parador de Aiguablava: Überall geht der Blick in die Ferne: aus dem Speisesaal unten, von den Balkonen oben und von der Terrasse rechts (Foto: Robert Winterhager)

Mit dem eingerückten Erdgeschoss, dessen Last die filigranen Stützen an den langen Seiten die Last der Obergeschosse kaum zu tragen vermögen, greift Duran i Reynals ein klassisches Element der Moderne auf und lässt die Masse schweben. Er nutzt den Moment des Erstaunens und fängt die Auskragung mit zwei Wandscheiben ab, die er wie ein Spalier vor dem Haupteingang platziert. Große abstrakte Reliefs zieren sie wie Banderolen rundum und konterkarieren den zur Schau gestellten Funktionalismus des Baukörpers. Der Erdgeschossgrundriss bildet ein Kontinuum aus Empfang, Lounge, Lesesaal und Bar, gegliedert allein durch Nievauversprünge. Das vor Kopf liegende Restaurant gibt die Laufrichtung vor und wird mit dem Blick über den Pool und die Doppelspitze der Landzunge allem Understatement zum Trotz zum Höhepunkt stilisiert.

Licht und Material

Parador de Aiguablava: Schmuck ohne Gefallsucht (Foto: Uta Winterhager)

Schmuck setze Duran i Reynals nur im Erdgeschoss und dort auch so gezielt ein, dass er – wie die Reliefs am Eingang – als integraler Teil der Architektur erscheint. Das Mobiliar, 2015 schon etwas gemischt, zeigte, dass in guten Zeiten offenbar auch in gute Möbel investiert wurde: Die Barcelona-Chairs haben überlebt. Das zentrale Treppenhaus inszenierte er mit dem simplen Zusammenspiel von Licht und Material. Es steht frei in einem Kiesbett und wird von einer Wandscheibe mit bunten Glaseinschlüssen flankiert, die je nach Lichteinfall leuchtet, flimmert oder bloß scheint. Die Terrasse auf der langen Südwestseite, deren kontrolliert organischen Formen sowie der Natursteinbelag sind auf eine ganz andere Weise zeittypisch und deutlich gefälliger. So bilden sie einen deutlichen Kontrast nicht nur zur Strenge des Hauses, sondern auch zu der Natur, die direkt hinter der Balustrade steil und schroff ist.

Gar nicht fließend, dafür sehr pragmatisch, ist die Ordnung der Zimmer rechts und links der Flure in den beiden Obergeschossen. Die 78 Zimmer und Badezimmer waren 2015 waren teilweise noch mit den schlichten Originalmöbeln ausgestattet, doch jeder Raum ist maximal geöffnet, um den Blick direkt über den Balkon auf das Meer zu lenken. Oh, Zauberberg!

Modern, nicht zeitgemäß

Parador de Aiguablava: Farbe und Licht, mehr Dekor braucht es im Lesesaal nicht – wohl aber passende Möblierung (Foto: Uta Winterhager)

Parador de Aiguablava: Farbe und Licht, mehr Dekor braucht es im Lesesaal nicht – wohl aber passende Möblierung (Foto: Uta Winterhager)

Alles, was wir damals sahen, war echt und nicht wie in vielen Hotels nur die Kulisse eines schönen Scheins, den man sich als Gast teuer erkauft hat. Und genau dieser bis auf die Spitze getriebene Purismus, der Verzicht und die Strenge, die plötzlich von etwas unerwartet Schönem, Buntem wie der beeindruckenden Aussicht aufgebrochen wird, machten den Reiz des Gebäudes aus, machen es zu einem außergewöhnlichen Ort. Doch das Parador d‘Aiguablava war weit entfernt von jenem Luxus, der mit Sternen bewertet wird, der üppig und übergriffig daherkommt, sodass es das Hotel in den letzten Jahren schwer hatte, sich am Markt zu behaupten.

Am Scheideweg

Parador de Aiguablava: links: ; rechts: Schmuck ohne Gefallsucht in der Lobby; rechts:  (Fotos: Uta Winterhager)

Parador de Aiguablava: links: Schmuck ohne Gefallsucht in der Lobby; rechts: Schmuck ohne Gefallsucht an der Stirnseite des Paradors (Fotos: Uta Winterhager)

Schon bei unserem Besuch 2015 stand es am Scheideweg, will es mithalten im Kampf um die Sterne oder bleibt es sich selbst treu? In den 90er Jahren wurden die vier auf dem Dach gelegenen Suiten ausgebaut, an einigen Stellen sah man eher unentschlossene Renovierungsversuche. Vollkommen unverzeihlich war jedoch die billige Monobloc Bestuhlung auf dem Balkon, die hier wirklich keinen Kultstatus genießt. Wirtschaftliche Schwierigkeiten ließen die Paradores überlegen, einige ihrer Häuser zu schließen oder nur noch halbjährlich zu öffnen. Das Haus in Aiguablava wird nun von GCA Architects (Barcelona) für gut 10 Millionen Euro umgebaut und bleibt noch bis zum Sommer geschlossen. Viel wird in die Haustechnik, den Spa- und Fitnessbereich investiert, neue Materialien sollen das Design der Räume und die Fassade komplett verändern. Die charakteristischen Ecken und Kanten werden damit geschliffen, das versprechen die Visualisierungen, denn es geht ja um das Überleben des Hauses, das mit bekannten Bildern deutlich mehr Gäste anlocken wird, als in seiner puristischen Reinform. So hatte dieses Nachsaison-Gefühl, das unseren Besuch in Aiguablava plötzlich überschattete, noch eine viel weitreichendere Bedeutung, als wir damals annahmen.

Parador de Aiguablava: Heute kein Luxus mehr, aber Original, das Telefon griffbereit an der Toilette (Foto: Uta Winterhager)

 Titelmotiv: Parador de Aiguablava: Heute kein Luxus mehr, aber Original, das Telefon griffbereit an der Toilette (Foto: Uta Winterhager)

Kurzinfo zu Hotel und Hotelkette

Das Parador de Aiguablava ist eines von über 90 Häusern der spanischen Hotelkette Paradores de Turismo de España. Seit 1991 ist sie eine Aktiengesellschaft in staatlichem Eigentum mit der Generaldirektion für spanische Kulturgüter als einzigem Aktionär.  Diese inzwischen durchaus kritisch betrachtete Konstellation liegt in der Geschichte der Paradores begründet, mit denen – so regte es die Regierung schon 1910 an – Wanderern eine Unterkunft geboten und das Bild Spaniens im Ausland verbessert werden sollte. 1928 eröffnete das erste Hotel in der Sierra de Gredos, sein Erfolg motivierte zum Ausbau des Konzeptes an weiteren Standorten. Nach einem Boom in den 60er Jahren und etlichen Krisen in den folgenden Jahrzehnten gehören nun 97 Häuser zur Paradores-Kette: 45 davon befinden sich in außergewöhnlichen historischen Gebäuden mit dem Ziel das nationale Erbe zu erhalten, 24 in attraktiven Städten und 28 sind landschaftlich besonders schön gelegen, häufig auch mit dem Hintergedanken in touristisch wenig erschlossenen Gebieten als Vorreiter aufzutreten.



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