Dieses Buch ist ein echter Elsaesser: Es sieht gut aus und tut auch noch, was es soll. Lange schätze man den Architekten Martin Elsaesser (1884-1957) vor allem für seine ebenso funktionalen wie ästhetischen Profanbauten: von der heimat-jugendstiligen Stuttgarter Markthalle (1913) bis zur expressionistisch-modernen Frankfurter Großmarkthalle (1928). Dabei wuchs der gebürtige Schwabe in einer Pfarrfamilie auf und machte erste architektonische Gehversuche im Kirchenbau – eine Bauaufgabe, die ihn durch seine wechselnden Lebensmittelpunkte in Stuttgart, Frankfurt, München, Berlin und wieder Stuttgart begleiten sollte.

Für den Band “Kirchenbauten, Pfarr- und Gemeindebauten” wurde die Dissertation der Kunsthistorikerin Dr. Elisabeth Spitzbart, heute Geschäftsführerin von ArtRegioTours, von 1989 neu aufbereitet. Man ergänzte nicht nur Neuaufnahmen von Rose Hajdu, sondern auch Beiträge des Kunsthistorikers Dr. Jörg Schilling, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Martin-Elsaesser-Stiftung. Die Publikation erschien zugleich als Begleitbuch zur Ausstellung “Martin Elsaesser – Weihestätten”, die 2014 in Braunschweig zu sehen war.

Liturgisches und Experimentelles

In der scheinbar fest umgrenzten Bauaufgabe “Kirche” steckt das Buch ein weites Feld ab. Spitzbart eröffnet mit den theoretisch-theologischen Grundlagen des damaligen evangelischen Kirchenbaus: von der Liturgischen Bewegung bis zu den ersten Kirchbautagen. Vor diesem Hintergrund umreißt Schilling das Leben und Werk Elsaessers. Gemeinsam porträtieren die Autoren abschließend die kirchlichen Bauaufgaben des Architekten und entfalten dessen Lösungen in einem kommentierten Werkverzeichnis.

Mit seinen Hauptwerken – der Stadtpfarrkirche in Stuttgart-Gaisburg (1913), der Esslinger Südkirche (1926) oder der Frankfurter Gustav-Adolf-Kirche (1928) – spielte Elsaesser in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der höchsten Liga des deutschen evangelischen Kirchenbaus. Über Wettbewerbsentwürfe und Neubauten hinaus balancierte er auch bei Kirchenumgestaltungen – wie die Afrakirche in Oberurbach (1909) – gekonnt zwischen Alt und Neu. Und als Berater für den “Verein für christliche Kunst” – etwa mit der Gestaltung von “Kriegerehrenzeichen” – prägte Elsaesser weitere Projekte im kirchlichen Raum.

Sakrales und Funktionales

Für den Band konnten neue Quellen ausgewertet und das Werkverzeichnis um 28 auf 76 Objekte erweitert werden. Damit lässt sich nun nicht nur der stilistische Weg – vom Heimatstil bis hin zum Neuen Bauen – in seinen Verästelungen sehr viel detaillierter nachvollziehen. Vor allem öffnet die sensible, aber gründliche Auffrischung von Spitzbarts Dissertation auch die Gattungsgrenzen: Elsaessers Kirchenbau wird, durch den Blick auf seine Pfarr- und Gemeindehäuser, auf neue Weise zum Klingen gebracht.

Damit steht nicht nur sein architektonisches Können vor Augen. Man kann auch die inhaltlich-theologischen Ansätze und seine späten sakralen Fingerübungen verfolgen. Bis hin zu den nicht verwirklichten, verlorenen oder schlicht vergessenen Räumen: vom Tübinger Betsaal (1908) über die Kapelle der Psychiatrischen Klinik Frankfurt (1930) bis zur Wiederaufbauskizze für die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1946). Neugierig? Dann gönnen Sie sich doch ein Nach-Weihnachtsgeschenk. (kb, 9.1.15)

Zum Selberlesen

Spitzbart, Elisabeth/Schilling, Jörg, Martin Elsaesser. Kirchenbauten, Pfarr- und Gemeindehäuser, Wasmuth-Verlag, Tübingen/Berlin 2014, gebunden, 208 Seiten, 169 teils farbige Abbildungen, ISBN 978-3-8030-0778-0.

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