von Daniel Bartetzko (16/3)

Ein Automobil von einem anderen Stern: Als die Citroën DS im Oktober 1955 präsentiert wurde, gab es keinen vergleichbaren Pkw weit und breit. Wie eine Skulptur wirkt die “Göttin” (DS = la Déesse) mit ihren scheinbar von der Aerodynamik diktierten Linien, dem spitzen Bug und dem sich verjüngenden, abfallenden Heck. Dass dieses Auto nicht auch noch fliegen konnte, war kaum zu glauben. 1957 widmete der Philosoph Roland Barthes Citroëns Wunderwagen (unter dessen Motorhaube übrigens ein zuverlässiges, aber technisch banales und sehr irdisches Vierzylindertriebwerk dröhnte) ein Kapitel in seinem Werk “Mythen des Alltags”: “Der neue Citroen fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativisches Objekt darbietet. Man darf nicht vergessen, daß das Objekt der beste Bote der Übernatur ist: es gibt im Objekt zugleich eine Vollkommenheit und ein Fehlen des Ursprungs (…). Die ‘Deesse’ hat alle Wesenszüge (…) eines jener Objekte, die aus einer anderen Welt herabgestiegen sind”.

Flaminio Bertoni: Plastik einer Citroën DS aus dem Jahr 1959 (Bild: historisches Werksfoto)

Warum fahren, wenn man schweben kann? Flaminio Bertonis Plastik einer Citroën DS von 1959 (Bild: historisches Werksfoto)

Die “Göttin” wurde in Paris geboren

Tatsächlich wurde diese Göttin in Paris geboren. Ihre Linien schuf Flaminio Bertoni (1903-64), der seit 1932 bei Citroën fürs Design zuständig war und parallel als Bildhauer und Architekt arbeitete. Begeisterung für Form, Bewegung und Technik, gepaart mit hoher zeichnerischer Kunstfertigkeit und Erfindergeist: Das Künstlerideal Leonardo da Vincis transportierte der im italienischen Varese geborene Designer ins 20. Jahrhundert . Das Bauhaus, die Futuristen, Art déco oder der frühe Science-Fiction aus Comic-Strips haben Bertoni sicherlich beeinflusst, doch seine Linien wurden erst in den Nachkriegsjahren immer schnittiger bis bizarr – und blieben dabei stets würdevoll.

Flaminio Bertoni: der Citroën 2 CV, der liebevoll "Ente" genannt wird, aus dem Jahr 1949 (Bild: historischer Prospekt)

Serienmäßig mit Baguette erhältlich: Flaminio Bertonis 2 CV (Bild: historischer Prospekt, 1968)

Der Citroën 11 CV war 1934 sein Erstlingswerk, geformt in einer einzigen Nacht aus einem Klumpen Plastilin. Der 31-jährige schuf einen eleganten Wagen, der über 20 Jahre produziert wurde, aber noch eher auf zurückhaltend gutes Design setzte. Dann kam das legendäre Simpelauto 2 CV, die “Ente”, deren Karosserie Bertoni 1949 nur den letzten aber entscheidenden Schliff geben durfte; zuvor durften die Techniker nach dem Motto “Form follows function” wirken. Die DS war schließlich der Durchbruch. Und doch hielt sie ihr Schöpfer nicht für sein Meisterwerk …

Bekannt aus Funk und Fernsehen

Flaminio Bertoni: der AMI 6 aus dem Jahr 1961 (Bild: historisches Werksfoto)

Stilvoll über den Wüstenplaneten: Flaminio Bertonis “Liebling”, der “Fräulein” gerufene AMI 6 von 1961 (Bild: historisches Werksfoto)

Das Lieblingsauto von Flaminio Bertoni war ein “Fräulein”: Der 1961 präsentierte AMI 6 (wortmalerisch: “la missis”) mit seinem z-förmigen Dach. Ob seines schrägen Aussehens vom Publikum eher skeptisch aufgenommen, sieht sein Designer hier sein Ideal von skulptural eingefangener Bewegung vollendet umgesetzt: Der AMI 6 sei ein Auto, das im Stehen fahren könne, sagte er in einem Interview. Am 7. Februar 1964 starb Bertoni an einem Schlaganfall. Sein letztes automobiles Werk, der Lkw “Camion 350-850” erschien 1965 und erhielt wegen seines Aussehens schnell den Spitznamen “Belphegore” (Dämon) – abgeleitet aus der damals populären Fersehserie “Belphegore und das Geheimnis des Louvre”.

Ein Künstler mit geheimer Nebentätigkeit

Flaminio Bertoni: Plastik (Bild: historische Aufnahme)

Flaminio Bertoni: Plastik (Bild: historische Aufnahme)

Dass Flaminio Bertoni für die verwegen-eleganten Citroën-Karosserien verantwortlich zeichnete, erfuhr die Öffentlichkeit nicht: Das Design galt bei der Pariser Fahrzeugmarke seinerzeit als Betriebsgeheimnis. So arbeitete er während seiner Karriere stets auch als bildener Künstler und erhielt in diesem Metier die Aufmerksamkeit, die ihm für sein Hauptwerk zu Lebzeiten verwahrt blieb. 1961 wurde Bertoni mit dem Ehrentitel “Chevalier des Arts et des Lettres” ausgezeichnet.

Ach ja, eine DS konnte schließlich doch fliegen. Der Filmbösewicht Fantomas startet 1965 mit ihr auf der Flucht vorm Gesetz erfolgreich in den Himmel.

Rundgang

Mit historischen Werbe- und Werksfotos durch die stromlinienförmige Welt des Architekten, Bildhauers und Designers Flaminio Bertoni …

Flaminio Bertoni im Jahr 1961 (Bild: historische Aufnahme)

Flaminio Bertoni im Jahr 1961 (Bild: historische Aufnahme)

Flaminio Bertoni: der Citroën 11 CV aus dem Jahr 1934 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën 11 CV aus dem Jahr 1934 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën 2 CV, der liebevoll "Ente" genannt wird, aus dem Jahr 1949 (Bild: historischer Prospekt)

Flaminio Bertoni: der Citroën 2 CV, der liebevoll “Ente” genannt wird, aus dem Jahr 1949 (Bild: historischer Prospekt)

Flaminio Bertoni: Zeichnung der Citroën DS aus dem Jahr 1959 (Bild: historisches Prospektfoto)

Flaminio Bertoni: Zeichnung der Citroën DS aus dem Jahr 1959 (Bild/Titelmotiv: historisches Prospektfoto)

Flaminio Bertoni: die Citroën DS aus dem Jahr 1959 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: die Citroën DS aus dem Jahr 1959 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën AMI 6 aus dem Jahr 1961 (Bild: historische Aufnahme)

Flaminio Bertoni: der Citroën AMI 6 aus dem Jahr 1961 (Bild: historische Aufnahme)

Flaminio Bertoni: der Citroën AMI 6 aus dem Jahr 1961 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën AMI 6 aus dem Jahr 1961 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën Camion 350-850 aus dem Jahr 1965 (Bild: historisches Werksfoto)

Flaminio Bertoni: der Citroën Camion 350-850 aus dem Jahr 1965 (Bild: historisches Werksfoto)

Jacob Munkhammar: "Flying Citroën Ami" (Bild: Jacob Munkhammar)

Jacob Munkhammar: “Flying Citroën Ami” (Bild: Jacob Munkhammar)



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