Erbach, Heinz Willi Peuser und Karin Berkemann (Bild: D. Bartetzko)

Natürlich kann man die Sitzbank nicht ausklappen, wenn der eine Teil der Interviewer hier Ersatzteile transportiert. Da fährt der andere Teil der Interviewer gerne im Kofferraum mit (Bild: D. Bartetzko, im Bild: K. Berkemann, H. W. Peuser und ein Volvo)

Gute Gespräche über modernen Kirchenbau beginnen auf der Ladefläche eines Volvo – so zumindest, wenn man mit dem Architekten Heinz Willi Peuser unterwegs ist (zu den Hintergründen siehe links). Denn nach fast 88 Lebensjahren, davon 60 mit einer Ehefrau und fast 60 in einem Beruf, hat er sich den komfortablen Beifahrersitz redlich verdient. Wie schon einige Generationen seiner Familie vor ihm ist Peuser eigentlich Bau- und Möbelschreiner. In der Diele seines Bad Camberger Wohnhauses, das sein Urgroßvater 1887 errichten ließ, zeigt er nicht ohne Stolz sein Meisterstück aus dem Jahr 1952: ein Intarsienschrank mit Vogelmotiven und einer weiblichen Schönheit auf den furnierten Türen. “Heute würde man das sicher anders machen, aber handwerklich …”

Mit eben jener selbstbewussten Bescheidenheit nähert sich Peuser rückblickend seinem gesamten Werk, das vom Einzelmöbel im Bundespräsidialamt bis zur modernen Kirche im Westerwald reicht. Direkt nach dem Krieg war er beim Vater in die Lehre gegangen, um in Wiesbaden 1952 die Meisterprüfung abzulegen und im selben Jahr in Detmold ein Innenarchitekturstudium abzuschließen. Später sollten noch zwei Doktorentitel und verschiedene Lehrtätigkeiten hinzukommen. Aber vor allem arbeitete Peuser als selbständiger Architekt von Camberg aus an Neubauten und Sanierungen vorwiegend für kirchliche Auftraggeber.

“Bewußt keine spektakuläre Sache”

Den ersten eigenen kirchlichen Auftrag übernahm Peuser in Camberg: ein Kindergarten, der 1957 eingeweiht wurde – fast pünktlich zur Geburt seines ersten Sohns. 1960/61, kam der Ruf zum ersten Kirchenneubau, die maßstäbliche Filialkirche Hl. Kreuz in Hirzenhain. “Das war, was mir in vielfacher Hinsicht vorgeschwebt hat”, freut er sich noch heute über die Bauaufgabe. In Wallmerod im Westerwald konnte er dann bis 1964, in die Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) hinein, seinen ersten “großen” Kirchenneubau verwirklichen: Maria Königin. Auf einem pfeilförmigen Grundriss setzte er den Altar als Mitte und Ziel der darum gescharten Gemeinde in die Spitze. Nach außen zeigte er am Bau aufgemauerten Naturstein und stellte ihm einen ebensolchen schiefergedeckten Glockenträger zur Seite. Nach innen setzte der Glaskünstler Jupp Jost farbige Akzente.

Als zweiter großer Kirchenneubau folgte St. Mauritius (Weihe 1970) in Erbach im Taunus. Aus dem Grundriss-Pfeil wurde das gemeinschaftsfördernde Sechseck. Für die Fenster brachte der Glasmaler Jupp Gesing (mit den Werkstätten Donat) Skizzen des Architekten zum Leuchten. “Bewußt keine spektakuläre Sache”, nannte Peuser sein Anliegen. So vermittelte er mit Natursteinen zwischen den sichtbar belassenen Stahlbetonrahmen der neuen Kirche und dem verbliebenen Turm des Vorgängerbaus. Über Neubauten hinaus erweiterte Peuser historische Räume (z. B. Oberselters, St. Antonius, 1962), gestaltete Kapellen (z. B. Oberselters, Friedhofs- und Marienkapelle, 1969/70), errichtete Pfarrheime (z. B. Camberg, 1967) und Zentren mit Kapellen (z. B. die Altersheime in Arzbach bei Ems, 1964, oder in Dillenburg, 1965, 1983 erweitert nach Entwurf von Peuser) und beteiligte sich an Wettbewerben (z. B. Obertshausen, St. Thomas Morus, 1973).

“Eine der Sternstunden meines Lebens”

Rom, 1983 (Bild: Archiv H. W. Peuser)

Als Heinz Willi Peuser im Dezember 1983 mit Künstlerfreunden zur päpstlichen Audienz nach Rom reiste, lauschte er auch einem der “automatischen Kirchenführer” in einer der vielen historischen Kirchen der Stadt (Bild: Archiv H. W. Peuser)

In seinen späten Arbeitsjahren rückte Peuser noch einmal ein Stück näher an die “Weltkirche” heran: Er wirkte mit bei Kirchbau-Projekten in Tschechien (u. a. 1994-99 bei der Renovierung der barocken Klosterkirche Osek), beriet bei Neubauten in Bolivien (1978-79, 1987, 2000-01) und – für ihn eine der “Sternstunden” seines Lebens – wurde 1983 zu einer päpstlichen Audienz gebeten. Anlass war eine fast 500 Beispiele umfassende Dokumentation, die Peuser für die internationale Künstlervereinigung SIAC zusammengestellt hatte. Ab 1979 sammelte er Beispiele für die christliche Kunst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – und brachte damit, zwischen Inkunabeln von Helmut Mutschler oder Hans Striffler, von der Kathedrale in Brasilia von Oskar Niemeyer bis zur Kirche in Tokio von Kenzo Tange, auch einige der gekonnt maßstäblich, bis ins Detail handwerklich durchdrungenen Peuser-Entwürfe bis nach Rom. (kb, 23.8.16)

Literatur und Quellen

Archiv Prof. Dr. Ing. Dr. phil. Heinz Willi Peuser, Bad Camberg. (Weitere Archivalien sind abgelegt in: Kirchenbau und Kirchenkunst international. 1962-1983. Vatika – Rom, 1984; Materialien zum Werk von Peuser im Archiv des Architekturmuseums der TU München).

Peuser, Heinz W., St. Mauritius – Pfarrzentrum. Erbach im Taunus, hg. von der Katholischen Kirchengemeinde Erbach/Taunus, Erbach/Taunus 1970.

Peuser, Heinz W., Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul, Kreuzkapelle und Hohenfeldtkapelle zu Camberg. Kunstgeschichtl. Studie mit denkmalpflegerischer Inventarisation, Basel/Frankfurt am Main 1975 (zugl. Dissertation, Frankfurt am Main, 1975).

Peuser, Heinz W., Gnadenthal und die Jesus-Bruderschaft (Schnell und Steiner, Kleine Kunstführer 1249), München/Zürich 1984.

Peuser, Heinz W., Schlossausbauten aus Romantik und Historismus als bau- und denkmalpflegerische Aufgabe, Dissertation, Weimar, 1992/93

Peuser, Heinz W., Kirchenbau und Denkmalpflege in Ostdeutschland. Beispiele aus Studien an der TU Dresden, in: das Münster 1996, 3, S. 194-207.

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