In den Jahren 1929 / 30 hat die Architektin, Bildhauerin und Künstlerin Marlene Poelzig für sich und ihre vierköpfige Familie eine Villa im Berliner Westend entworfen, die sie zusammen mit ihrem Partner, dem Architekten Hans Poelzig, realisieren konnte. Die Villa war im Stil einer sanften Moderne gehalten, mit der Andeutung eines Flachdachs, Weiß verputzt, mit Muschelkalk abgesetzt, verflochten mit einem Garten, den Herta Hammerbacher designed hatte. Mit der Aufteilung der Räume und ihrer Lage im Haus schuf die Architektin ihrer Lebenssituation ein Zuhause und gleichzeitig ein anschauliches Beispiel früher emanzipatorischer Architektur. Als Beispiel sei genannt ihr eigenes Atelier, das im Erdgeschoss der Villa lag. Es war der Arbeitsraum einer Architektin und Künstlerin, genauso wie der einer Partnerin, die durch eine Tür direkt in das Atelier ihres Partners gelangen konnte und der Raum einer Mutter, die mit einem kurzen Blick durch das Fenster die im Garten spielenden Kinder beobachten konnte. Heute, nicht einmal hundert Jahre später, gibt es dieses seltene Beispiel emanzipatorischer Architektur der 1920er Jahre nicht mehr. Die Abrissbagger kamen im Herbst 2021 und das Haus stand nicht unter Denkmalschutz.
Nun erschien bei Urbanophil das Buch „Haus Marlene Poelzig, Berlin. Abriss und Aufbruch“. Die Herausgeberinnen, Hannah Klein und Hannah Dziobek von der Initiative Haus Marlene Poelzig, sehen das Buch nicht nur als eine Reminiszenz an das seltene und verlorene Zeugnis eines Architektinnenwerks, sondern auch als Aufbruch, sich weiterhin mit Marlene Poelzigs Werk, ihrer Biografie und den Fragen nach Autor*innenschaft, Gleichberechtigung und Feminismen, Care-Arbeit und Architektur, Archivpraxis, Denkmalschutz und Substanzerhalt sowie Protestkultur zu beschäftigen, die der Abriss des Hauses aufwirft. Verschiedene Autor:innen aus Wissenschaft und Architekturprotest haben sich für diesen Sammelband zusammengetan und vielfältige Forschungs- und Rechercheergebnisse zum Haus Marlene Poelzig, seiner Architektin und den es umschwirrenden Themen erarbeitet. Auf 280 Seiten finden sich zahlreiche, bislang noch meist ungesehene Fotografien der abgerissenen Villa und aus dem Werk von Marlene Poelzig sowie Forschungsergebnisse und Fragen, an die es anzuknüpfen gilt. Einen dieser weiterführenden Schritte vollziehen die Autor:innen des Buches bereits selbst und schlagen unter dem Titel „Substanzgesellschaft“ ein „Manifest für unseren Baubestand“ vor, das am 9. Juli in der Info-Reihe der Anti-Abriss-Allianz präsentiert und diskutiert wird. (kb, 2.7.25)


Berlin-Westend, Wohnhaus Poelzig, Architektin Marlene Poelzig, 1929/30, abgerissen 2021 (Bild: Max Krajewsky, 1930)