von Oliver Elser, Felix Koberstein und Daniel Bartetzko (24/3)

Das Ausstellen von Skulpturen im öffentlichen Raum ist eine etablierte Darstellung von Kunst. Was aber passiert, wenn dieser öffentliche Raum eine Miniatur seiner selbst ist? Ist dann die hierin ausgestellte Kunst auch nur eine Miniatur oder bleibt sie Kunst? Und ist der nachgebildete öffentliche Raum nicht gar selbst ein Kunstwerk? Das Projekt „Miniaturbiennale“ von Alexander Janz, Felix Koberstein und Klara Hülskamp rüttelt an Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten. Die in den 1970er Jahren in großen Bahnhöfen installierten Modellbahnautomaten der Firma Ehret sind ihr Spielfeld: In den 87-fach verkleinerten H0-Landschaften lassen sie beauftragte Künstler:innen deren Werke installieren – während die Modellbahn nutzbar bleibt. „A world to work with“ hieß 2022 das Erstlingswerk im Düsseldorfer Hauptbahnhof: kleine Kunstwerke in einer kleinen Kunstlandschaft. Unter dem Titel Colliding Worlds“ widmete sich 2024 die jüngst zu Ende gegangene Miniaturbiennale II der Virtualität von Weltwahrnehmung. Zwölf künstlerische Positionen suchten und erzeugten im Modellbahnautomaten am Frankfurter Hauptbahnhof Wahrnehmungsverschiebungen und Momente der Irritation inmitten der paradoxen Logik des scheinbaren Kleinstadtidylls.

Frankfurt Hauptbahnhof, Miniaturbiennale II August 2024 (Bild: Daniel Bartetzko)

Frankfurt am Main, Hauptbahnhof, Miniaturbiennale II, August 2024 (Bild: Daniel Bartetzko)

Ausstellungswürdig

Für das Thema (Bau-)Kunst auf der Modellbahn hat moderneREGIONAL ein Faible: Unsere 2017/18 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) und der Stuttgarter Architekturgalerie am Weißenhof präsentierte Ausstellung „märklinMODERNE“ hat sich mit den nachkriegsmodernen Modellbahnhäusern der Hersteller Faller und Co. befasst. Denn die fantasievollen Kunststoff-Bausätze haben in der Regel reale Vorbilder, sind aber mehr oder minder gezwungenermaßen stilisiert. Und sie entsprechen durchaus den architektonischen wie ästhetischen Idealvorstellungen ihrer Entwickler und auch denen ihrer Erbauer – den Modellbahnern.

Lieblingshäuschen des mR-Mitstreiters Daniel Bartetzko ist die „Villa im Tessin“ von Faller, bis heute einsamer Höhepunkt der Verflechtung von Miniaturwelt und Realität. Im Original 1958 durch die Brüder Guscetti im Schweizerischen Ambri nahe des Gotthard-Massivs errichtet, entstand 1960/61 im Schwarzwalddorf Gütenbach ein abgewandelter Nachbau durch den Faller-Firmenarchitekten Leopold Messmer. Und gleichzeitig durch Oswald Scherzinger, damals Modellentwickler der Firma, eine Miniatur für die Spielzeugeisenbahn. Der Bausatz B-271 ist ein Mix der beiden leicht unterschiedlichen Vorbilder, kombiniert mit Details, welche nur das (heute noch lieferbare) Modell aufweist. Die Grenzverschiebung zwischen Modell und Wunschvorstellung; ein Spielzeug, das selbst ein Kunstwerk geworden ist: So weit liegen märklinMODERNE und die Miniaturbiennale inhaltlich nicht auseinander …

Frankfurt Hauptbahnhof, Miniaturbiennale II (2024), Tim Etchells: "Never Sleep"  (Bild: Felix Koberstein)

Frankfurt am Main, Hauptbahnhof, Miniaturbiennale II, 2024, Tim Etchells, „Never Sleep“ (Bild: Felix Koberstein)

Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie

Auch Oliver Elser, Kurator am DAM und mit einem Beitrag im „märklinMODERNE“-Katalog vertreten, ist Liebhaber von Gebäude-Miniaturen. Die Ausstellung „Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie“ huldigte 2012 der schier grenzenlosen Ideen- und Materialvielfalt „ernsthafter“ Architekturmodelle aus dem Fundus des DAM. Dessen Gründungsdirektor Heinrich Klotz trug bereits vor der Eröffnung des Museums Modelle aus aller Welt zusammen, über 1200 Stück lagern dort heute in licht- und staubgeschützten Räumen.

Bereits 1999 dokumentierte Oliver Elser gemeinsam mit dem Künstler Oliver Croy die „Sondermodelle“ aus dem Nachlass des Wiener Versicherungsbeamten Peter Fritz: 387 Miniaturhäuser, kunstvoll aus Pappmaché, etwas Modellbahnzubehör, Zigarettenschachteln und Tapetenresten gefertigt. Stärker noch als bei den vorkonfektionierten Bausätzen hat hier jemand seiner Wunschwelt (Wohn-) Raum geschaffen. Doch anders als die Künstler der Miniaturbiennale hat es Peter Fritz nicht auf Verstörung angelegt. Er beschwört sie aber bisweilen in leicht bizarren Details (nicht ganz freiwillig) herauf.

Oliver Croy/Oliver Elser: "Sondermodelle", Katalog 1999 (Verlag Hatje Cantz)

Oliver Croy/Oliver Elser, „Sondermodelle“, Katalog, 1999 (Verlag Hatje Cantz)

„Ausprobieren und Experimentieren“

Der Gratwanderung zwischen Spiel und Ernst, zwischen Wahrnehmung und Wunschdenken, zwischen Alltag und dessen Nachbildung widmeten Felix Koberstein, Oliver Elser und Daniel Bartetzko beim moderneREGIONAL-Jubiläum am 7. September 2024 ein Gespräch. Geleitet durch Fotos einiger Kunstobjekte der Miniaturbiennale II, gerahmt von mehreren kleinen „Villen im Tessin“, überdacht von der Pyramide Marzahn-Hellersdorf, die selbst Gebäude gewordener Ausdruck der ästhetischen Vorstellungen ihrer Planer:innen – Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte – ist. Und die im Detail mindestens so verstörend wirkt, wie der Alltag in der überbordenden Modellbahnstadt. 90 Minuten Gespräch, mäandernd zwischen der Reflexion über revolutionäre wie reaktionäre Ansätze und über künstlerische Positionen im Großen und Kleinen sowie auch um die Zukunft des Modells in Kunst, Architektur und Spiel lassen sich nicht verständlich protokollieren. Denn es gab auch Exkurse über den besten Plastikkleber, Granulatzusammensetzungen und wie man Pringles-Chips konserviert. Drei ausführliche Statements sollen stattdessen die Standpunkte darlegen.

Felix Koberstein: „Modelle nehmen in der künstlerischen Produktion eine wichtige Rolle ein. Viele raumgreifende Projekte entstehen zuerst in kleinem Maßstab, bevor sie in dem ihnen angedachten Größenverhältnis umgesetzt werden. Das hat zumeist pragmatische Gründe. Viele Einschränkungen, die in der Realität bestehen, werden im Modell ausgehebelt. So lassen sich Ideen und Gedankenspiele anschaulich zur Disposition stellen, die aufgrund von Größe, Kosten, Sicherheitsrisiken oder anderer Einschränkungen nicht einfach realisiert werden können. Modelle dienen also dem Ausprobieren und Experimentieren im Atelier, aber auch als Anschauungsbeispiele zur Vermittlung von Konzepten. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Ästhetik des Modellhaften, insbesondere seit den künstlerischen Avantgarden der europäischen Moderne, selbst zum Interessenfeld künstlerischer Reflexion geworden ist.

Modelleisenbahnanlagen lassen sich in diesem Kontext ebenfalls als die Repräsentation einer – oft romantisch verklärten – Idee einer Wirklichkeit begreifen, die gleichermaßen Rückschlüsse auf die subjektive Wahrnehmung der Schaffer:innen als auch ihrer sozialen, politischen und ästhetischen Produktionsbedingungen zulässt. Das Kondensieren von realen Begebenheiten auf kleinstem Raum führt den Versuch der Simulation von Realität ad absurdum und verkehrt sich bei genauer Betrachtung ins Gegenteil. Die einzelnen Situationen, aus denen sich diese Szenerie konstruiert, mögen zwar – kopiert und verkleinert – der Realität entnommen sein, erzeugen aber in ihrer komprimierten und spielerischen Zusammenstellung ein Zerrbild. Lassen sich einige dieser Verzerrungen intuitiv erkennen und benennen, bleiben andere dieser Verzerrungen stumm.“

Düsseldorf, Miniaturbiennale I (2022), Isa Melsheimer: "Ich liebe dich bis zum Wahnsinn" (Bild: Miniaturbiennale/Felix Koberstein)

Düsseldorf, Miniaturbiennale I (2022), Isa Melsheimer, „Ich liebe dich bis zum Wahnsinn“ (Bild: Miniaturbiennale/Felix Koberstein)

„Ein ähnliches Machtgefühl“

Oliver Elser: „Das Modell hat die Kraft, Utopien zu visualisieren, und das mitunter eindrücklicher als jede Zeichnung. Vor allem in den 1960er Jahren wurden gigantische Architektenentwürfe gerne mit Modellen simuliert, da wirkten selbst die kompliziertesten verschachtelten Riesenuniversitäten beherrschbar. Ich bin überzeugt, dass Architekten am Modell ein ähnliches Machtgefühl empfinden, wie Modelleisenbahner an ihren Steuerpulten im Hobbykeller. Dass diese Welten auch sonst nah beieinander liegen können, haben wir 2012 an einem Ausstellungsobjekt in unserer großen Modellausstellung zeigen können: Vom Architekten- und Künstlerkollektiv Haus-Rucker-Co aus Österreich stammt das 1973 realisierte ‚Stück Natur eingeweckt‘. Im Inneren eines Weck-Glases steht da, umgeben von etwas grüner Wiese und Büschen aus Islandmoos, die kleine „Lattenscheune“ von Faller (B-282, bis heute lieferbar). Sie wirkt konserviert wie ein medizinisches Präparat. Das war in der Frühphase der ökologischen Bewegung natürlich ein augenzwinkernder Betrag zur Zeit – und ein kunstvolles Readymade.

Den echten Modellbahnern standen wir im DAM dagegen eher skeptisch gegenüber. Denn beim Romantisieren des Dampflokzeitalters und dem Erschaffen einer eigenen heilen Welt im Hobbykeller schwingt ja auch etwas Reaktionäres mit. Dass dies nicht immer so war, ja der Modellbahnmarkt vor 60 Jahren regelrecht progressive Ansätze hatte, merkten wir in der Vorbereitung von märklinMODERNE. Es gab eine Zeit, da wurde für die Modelleisenbahn genau dieselbe Architektur als Plastikspritzguss angeboten, die draußen in der echten Welt auch gerade auf den Baustellen entstand. Unten im Keller war man modern und fortschrittlich! Das soll jetzt nicht so klingen, als sei die Moderne das Maß aller Dinge.

Alltagsarchitektur fern jeder Avantgarde, kann auch reizvoll sein: Peter Fritz‘ improvisierte ‚Sondermodelle‘ (ausgestellt im DAM 2001, auf der Kunstbiennale in Venedig 2013) wirken echter als jedes Vorbild, denn in ihnen verdichtet sich, was man im Alltag beobachten kann: merkwürdige Anbauten, Reklametafeln, alles sehr bunt und verwinkelt. Daher kann ich auch dem viel zu vollen Mikrokosmos der Ehret-Modellbahnanlagen sehr viel abgewinnen, die auf etwa zwanzig deutschen Bahnhöfen zu finden sind. Alle zwei Jahre wird ein anderer Modellbahnautomat im Rahmen der Miniaturbiennale durch Künstlerinnen und Künstler bearbeitet. Da entsteht eine utopische Kunstausstellung im Kleinen, die aber beansprucht, im Rahmen der eigenen Gesetze plausibel zu sein. Die Preiser-Figürchen drängen sich wirklich vor den kleinen Plakaten, mit denen die Biennale selbstverständlich auch in der 1:87-Welt beworben werden muss. Die armen kleinen Leute! Das ‚Never Sleep‘ von dem Künstler Tim Etchells auf der Brücke mitten über der Kleinstadt stellt ja klar, wie es dort zugehen muss. An einem solchen Ort ist an Schlaf nicht zu denken.“

Berlin, Oliver Elser plus Miniatursiedlung (Bild: Karin Berkemann)

Berlin, Oliver Elser plus Miniatursiedlung (Bild: Karin Berkemann, 2024)

„Gnadenlos laut und verstörend“

Daniel Bartetzko: „Die Welt auf der Modellbahn hat, denkt man sich als Bewohner hinein, grundsätzlich etwas Verstörendes: Sie ist gnadenlos laut und eng. Ein Güterzug, der durch den Vorgarten fährt, eine Eisenbahnbrücke, die Zentimeter überm eigenen Dachfirst verläuft, eine Fabrik mit rauchenden Schloten Zaun an Zaun mit dem Gemüsegarten: Das sind nach menschlichem Ermessen alptraumhafte Wohnvorstellungen. Und doch finden sie auf der Idylle der Modellbahnplatte gezwungenermaßen statt, will man das komplette Alltagsleben auf ein mal zwei Meter abbilden. Des Alptraumhaften wird man sich erst bewusst, wenn man seine Phantasie über das zunächst völlig unschuldige Spiel mit den kreisenden Zügen hinaus bemüht: Das berühmte Faller-Hochhaus, das auch in der Miniaturbiennale II künstlerisch bearbeitet wurde, hätte in der Realität eine Grundfläche von vielleicht 40 Quadratmetern. Sein einziger Eingang, etwa 1,90 Meter hoch, ist ein besseres Schlupfloch. Auf der Eisenbahnplatte wirkt das Gebäude hingegen licht und großzügig, ein durchaus nicht unsympathischer Kapitalisten-Turm mit Mercedesstern auf dem Dach.

Der Vergleich mit einem ernsthaften Architekturmodell verdeutlicht die Faller-Schummelei: Das maßstäblich verkleinerte 1:87-Modell der WestLB Düsseldorf (1969–1975) von Harald Deilmann nimmt den Raum einer ganzen Modellbahn-Stadt ein. Die Ideallandschaft auf der formvollendeten Modellbahn simuliert eben nur einen Ort – die dadurch entstehenden Abgründe nimmt man zunächst nicht unbedingt wahr. Beklemmungen löst stattdessen der verkleinerte Deilmann-Bau aus, der in Realität zwar groß, aber eben keinesfalls gewaltig ist. Die Winz-Welt kann die Wirklichkeit nie zu 100 Prozent abbilden, dies würde uns verstören. Und zwar noch mehr als die Enge der Modelllandschaften, die gerahmt sind von Zügen, die niemals ihr Ziel niemals erreichen können. Sie sind dazu verurteilt, immer im Kreis zu fahren. Es ist paradox, doch es wirkt beruhigend – selbst wenn man sich der Absurdität der Situation da unten auf dem Tisch bewusst ist.“

Dreimal Faller Hochhaus B-905 , Katalog märklinMODERNE 2018 (Bild: Hagen Stier)

Dreimal Faller Hochhaus B-905, Katalog, märklinMODERNE, 2018 (Bild: Hagen Stier)

Berlin, Ausstellungszentrum Pyramide (Bild: Karin Berkemann, 2024)

Berlin, 7. September 2024 – Modellgespräch unterm Zickzackdach der Pyramide mit Felix Koberstein, Oliver Elser und Daniel Bartetzko (Bild: Karin Berkemann)


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Inhalt

LEITARTIKEL: Kann man mögen, muss man nicht

LEITARTIKEL: Kann man mögen, muss man nicht

Stephanie Herold und eine emotionale Annäherung an das Alexa in Berlin.

BEITRAG: Eine Pyramide in Franken

BEITRAG: Eine Pyramide in Franken

Matthias Ludwig und das Hotel Pyramide in Fürth.

BEGEGNUNGEN: Turm oder Nicht-Turm

BEGEGNUNGEN: Turm oder Nicht-Turm

Ralf Niebergall, Heinz Tellbach, Dieter Wendland, Louis Volkmann, Karin Berkemann und der Kirchenbau in Wendejahren.

BEITRAG: Kunst über Hellersdorf

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Niklas Irmen und das Kunstkonzept der 1990er Jahre für Berlin-Hellersdorf.

BEITRAG: Kristalliner Kulturtempel

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Vera Emde und der Werdegang des Münchener Kulturzentrums Gasteig.

BEGEGNUNGEN: Moderne unter Glas

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Oliver Elser, Daniel Bartetzko und Felix Koberstein uber Wahrnehmungsverschiebungen und moderne Bauten im Miniaturformat.

BEITRAG: Wider den rechten Winkel

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Alina Möhrer und zwei Räume der Christengemeinschaft der 1980er und 1990er Jahre.

BEITRAG: Die letzte Dekade

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Verena Pfeiffer-Kloss und die West-Berliner U-Bahn zwischen 1985 und 1995.

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