durch Chemnitz mit Martin Maleschka (25/2)
Eigentlich ist Martin Maleschka immer auf der Durchreise, um hier und dort anzuhalten für Orte der Ostmoderne. Schon im Studium (und das ist fast 20 Jahre her) machte er mit Bahn und Fahrrad eine Stippvisite in Chemnitz. Damals war sein Blick schnell, streifte vom Betonformstein zur Wellpolyesterplatte, einige kurze Aufnahmen, dann weiter zum nächsten Highlight. Heute, beim Wiederbesuch in der Kulturhauptstadt, geht der Fotograf und Ostmodernekenner mehr ins Detail. Muss er auch, denn er weiß zu gut um die Verluste der letzten Zeit. Seine Rolle hat sich verschoben, vom Erstentdecker auf Social Media zum dokumentierenden Bewahrer. Damit gerät ein Telefonat mit Maleschka rasch zum gedanklichen Zickzack durch Jahre und Orte von Chemnitz. Dass die beiden Stadtfarben Gelb und Blau dabei eine Hauptrolle spielen – es gibt bekanntlich keine Zufälle.

Lagerhalle im Chemnitzer Umland, Versuchsbau für die ehemaligen GFK-Überdachungen am Chemnitzer Omnibusbahnhof (Bild: Martin Maleschka)
Gelber GFK
Lange drohte der Verlust des Chemnitzer Omnibusbahnhofs, 1968 errichtet mit der gewagten Pylonenkonstruktion des Statikers Christian Weisse. Da fiel oft unter den Tisch, dass man direkt daneben die Dächer der Busbahnsteige längst entfernt hatte. Aber Maleschka fand, einem Hinweis des Ostmodernisten und Fotografen Sebastian Dämmer folgend, eine Spur der gewellten gelben GFK-Platten: Im Chemnitzer Umland haben sich zwei kleine Versuchsbauten mit eben jenen Dachelementen erhalten.
Der heutige Eigentümer nutzt einen der Räume als Lagerhalle, der andere verfällt malerisch vor sich hin. Als Maleschka und Dämmer anklopften, stießen sie zunächst auf Verwunderung. Immerhin wirken beide Bauten von außen wenig attraktiv. Doch im Inneren, wenn die Sonne durch die GFK-Elemente scheint, entsteht eine ganz eigene, gelb getönte Atmosphäre – noch gesteigert durch das Weitwinkelobjektiv. Auf Social Media erhielt Maleschka prompt begeisterte Reaktionen, die vom „sakralen“ Touch der Aufnahmen schwärmten. Von einem solchen Blickwechsel leben seinen Fotografien.

Chemnitz, Stadthalle und Kongresshotel, 1974, Kollektiv Rudolf Weißer, originale Ausstattung der Bauernstube des Hotels (Bilder: Martin Maleschka)
Ein Kessel Buntes
In der DDR war alles grau, diesem Vorurteil hat Maleschka viel entgegenzuhalten. Zum einen: Platte ist nicht gleich Platte. Denn, auch wenn es leicht nerdig wirken könne, für ihn komme es auf die Oberfläche an – und damit auch auf die Konstruktion an. Im Südosten von Chemnitz etwa, wo in den späten 1960er Jahren die Neubauten des Hans-Beimler-Gebiets entstanden, hat er eine seltene Fertigungsmethode wiedergefunden. Bei der Platte kam normalerweise zuerst der Beton und dann der Splitt. Doch hier produzierte man andersherum, sodass sich der flüssige Beton an vielen Stellen durch die Deckschicht drückte, bevor er erstarrte. Aber auch die farbige Seite der Platte, die Sanierungsmaßnahmen der Wendezeit, weiß Maleschka inzwischen zu schätzen. Seine Bilder feiern wundervoll überdrehte Fassadenmalereien, die einen Wohnblock in Burg oder Fachwerkhaus verwandeln.
Wirklich unruhig wird Maleschka, wenn er auf Zeitkapseln stößt, die einen direkten Blick in die Zeit der Ostmoderne erlauben. So wie der „Ehrenhain der Sozialisten“, auf dem Städtischen Friedhof 1982 von Künstlern wie Clauss Dietel gestaltet. Oder das Eissportzentrum mit zwei Sheddach-Hallen, eine zum Schlittschuhlaufen und eine zum Eisstockschießen. Nicht zu vergessen die letzten Hotelzimmer im berühmten Kongresshotel, ganz oben, die noch ihre originale Ausstattung aus den 1970er Jahren zeigen. Ein denkmalpflegerischer Akt? Nein, Maleschka verweist auf viele Beispiele wie dieses, bei denen der Hausmeister oder die Kindergärtnerin vor Ort sagten: Lass uns das mal aufheben, da hänge ich dran.

Chemnitz, Garagenhof der DDR-Zeit (Bild: Martin Maleschka)
Blaue Garagen
Im Kulturhauptstadtjahr ist Maleschka mit der Installation „Ersatzteillager“ geladener Künstler beim Projekt „3000 Garagen“, denn die waren zur DDR-Zeit mehr als ein überdachter Parkplatz. Hier blieb privater Raum für vieles von Sammelleidenschaft bis Bandprobe. Die Ausstellung versteht sich als Mitmachprojekt, das unbekannte Facetten der Ostmoderne näher bringt. Schon 2023 hatte der Fotograf das Thema mit einer eigenen Ausstellung aufgegriffen – mit vielen Bildern, einem ausgebauten Garagentor und einem Boden voller Schrauberzubehör. Einer seiner ersten Kontakte, der eine Wasserpumpenzange zur Installation beigesteuert hatte, kam nun erneut auf Maleschka zu. Jetzt öffnet der Vater eines ehemaligen Spielers beim CFC (Chemnitzer Fußball-Club) wieder seine Garage – darin verwahrt er Allerlei in der Vereinsfarbe Blau. Im Kulturhauptstadtjahr teilt er mit vielen anderen die Freude, mit ganz privaten Dingen „museumswürdig“ zu sein.
Text: Karin Berkemann
Rundgang

Chemnitz-Gablenz, mit Splitt bedeckte Platte der 1970 fertiggestellten Neubausiedlung im Hans-Beimler-Gebiet (Bild: Martin Maleschka)

Chemnitz-Gablenz, Plattenbauten in der 1970 fertiggestellten Neubausiedlung im Hans-Beimler-Gebiet (Bild: Martin Maleschka)

Chemnitz, Stadthalle und Kongresshotel, 1974, Kollektiv Rudolf Weißer, originale Zimmerausstattung des Hotels (Bilder: Martin Maleschka)

Chemnitz, Stadthalle und Kongresshotel, 1974, Kollektiv Rudolf Weißer, originale Zimmerausstattung des Hotels (Bilder: Martin Maleschka)

Chemnitz, Städtischer Friedhof, Ehrenhain der Sozialisten, 1982, Clauss Dietel, Hans Brockhage, Gottfried Kohl und Heinz Schumann (Bild: Martin Maleschka)

Kleine Versuchshalle im Chemnitzer Umland (Bild: Martin Maleschka)

Chemnitz, Eissporthalle, 1965, Conrad Merkel (Bild: Martin Maleschka)

Chemnitz, Halle zum Eisstockschießen (Bild: Martin Maleschka)

Chemnitz, Halle zum Eisstockschießen (Bild: Martin Maleschka)
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Inhalt

LEITARTIKEL: Kulturhauptstadt mit Ausdauer
Verena Pfeiffer-Kloss über eine Kulturhauptstadt, die lange abwartet, um sich dann zu überschlagen.

FACHBEITRAG: Kaufhäuser in Chemnitz
Fabian Schmerbeck über den Wettstreit der Warenhäuser.

BEGEGNUNGEN: Chemnitz blau-gelb
Mit Martin Maleschka auf Streifzug durch die Farbwelten der Chemnitzer Ostmoderne.

FACHBEITRAG: Chemnitz und die Automobilindustrie
Daniel Bartetzko über die Wiege der Massenmotorisierung in Sachsen.

PORTRÄT: Das Adventhaus in Chemnitz
Karin Berkemann über ein Paradebeispiel des Zackenstils.

INTERVIEW: „Jugendliche mit einem Kofferradio“
Nancy Mickel über ihr Azubi-Projekt: ein wiki zu Skulpturen und Plastiken in der Chemnitzer Innenstadt.

FOTOSTRECKE: Nova Gorica
Beate Düber war mit der Kamera in der anderen Kulturhauptstadt 2025.