von Matthias Ludwig (24/3)

Es sei die Faszination der Form gewesen, das Zeitlose, Schlichte, Schnörkellose, das Stabile wie Dynamische, Vollendete wie Logische, das die Bauherren der (Glas-)Pyramide in Fürth 1994 zu dieser besonderen Form bewog. Einfachheit und Größe wie Rückbesinnung auf jahrtausendealtes Wissen zeichne sie aus. Form und Wissen sei, kombiniert mit Hightech und modernster Forschung, wohl wieder wichtig geworden. Dieser Bau, ursprünglich als Teil einer Klinikanlage geplant, verkörpere so vielleicht auch einen Trend unserer Zeit.

Fürth, Hotel Pyramide, 1994 (Bild: Archiv Kamran Salimi, CC BY SA 3.0)

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Archiv Kamran Salimi, CC BY SA 3.0, 1994)

Reine Geometrie

In der Geometrie fußt jede Pyramide auf einem polygonalen Grundriss. Die Architektur hat meist das Viereck als Ausgangsform bevorzugt: Im Aufriss erhebt sie sich senkrecht über dem Mittelpunkt eines Quadrats, anders ihre schiefe Variante. In jedem Fall treffen sich die Seitenkanten oben in einem einzigen Schnittpunkt, in der Spitze.

Verschiedene Hochkulturen haben (Stein-)Pyramiden errichtet, wohl ohne voneinander zu wissen. Sie entstanden im Altertum insbesondere als Begräbnisstätten (in religiös-zeremoniellen Zusammenhängen) und als Tempel (in Mesopotamien oder Lateinamerika). Über die weitere Geschichte dienten sie meist als Denkmale oder Gedenkstätten, bis in jüngerer Zeit verbunden mit der bewussten Erinnerung an das Alte Ägypten. Denn hier haben sich rund 80 Exemplare erhalten, darunter die über 4500 Jahre alte Cheops-Pyramide, ein Königsgrab. Dieses einzige der Sieben Weltwunder, das heute noch aufrecht steht, maß ursprünglich etwa 146 Meter Höhe.

Paris, Louvre, Pyramide (Bild: Beau Wade, CC BY 2.0, 2004)

Paris, Louvre, Pyramide (Bild: Beau Wade, CC BY 2.0, 2004)

Initial am Louvre

Der Bau jener alten Pyramiden war sehr aufwändig, dazu gibt es zahlreiche Theorien, aber keine endgültigen Beweise. Ihr Ursprung lag wohl bei Grab- bzw. Kulthügeln. Der Weg führte weiter zu Stufenpyramiden, deren „Treppen“ vielleicht auch den Aufstieg zum Himmel symbolisierten. In der weiteren zeitlichen Entwicklung wurde darüber schließlich ein (auf der Baustelle glatt behauener) steinerner Mantel gelegt. Nicht zuletzt orientierte sich die Pyramidengrundfläche exakt an den vier Himmelsrichtungen. 

In jüngerer Zeit kennen wir auch andere Nutzungen für diese architektonische Ausdrucksform. Ein wichtiger Urbau war wohl die Pariser Glaspyramide für den neuen Haupteingang des Louvre. Sie wurde 1989 fertiggestellt als herausragender Teil eines größeren Reigens: Der „Grand Louvre“ gehörte zu den „Grands Projets“, die sich Staatspräsident François Mitterrand zum zweihundertsten Jahrestag der Französischen Revolution vorgenommen hatte.

Nach Plänen des chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei entwickelt, hat der 21,64 Meter hohe Glasbau im Innenhof des Louvre bis heute nichts an Faszination eingebüßt. Dabei steht auch er in einer Traditionslinie: 1792 gab es in Paris kurzzeitig eine hölzerne Pyramide, eine Märtyrergedenkstätte der Revolution. Zum Jubiläum 1889 wurde hier an die Errichtung einer – nicht realisierten – Steinpyramide gedacht. Die ägyptische Tradition aufnehmend, verspottete man Peis Glasbau zunächst als „Grabkammer der Sozialisten“. Er aber widersprach: „Meine Pyramide ist leicht, ist Leben.“ 

Ulm, Stadtbibliothek (Bild: Gary A Baratta, CC BY SA 3.0, 2012)

Ulm, Zentralbibliothek (Bild: Gary A Baratta, CC BY SA 3.0, 2012)

Auffallen um jeden Preis

Im Gegensatz zu altägyptischen Pyramiden, deren Steigung immer rational, also aus rationalen Zahlen entwickelt ist, verläuft die Louvre-Pyramide „irrational“ – sie beruht auf dem Goldenen Schnitt. Ab den 1990er Jahren inspirierte sie wohl eine ganze Reihe von Folgebauten. Im Hintergrund stand oft der Wunsch der Bauherr:innen, um jeden Preis aufzufallen. Das Chemie- und Pharmaunternehmen Merck etwa ließ sich in Darmstadt 1996 eine Glaspyramide für den Zugangsbereich errichten. Den von Gerd Behnisch geplanten Bau riss man 2014 wieder ab.

Gottfried Böhm gestaltete die Ulmer Zentralbibliothek 2004 als gläserne Pyramide. In Hannover findet sich, entworfen von Schuwirth & Erman, ein Restaurant in dieser Form. 2015 eröffnete man in Mainz eine derartige, weithin sichtbare Eventlocation. In Berlin-Hellersdorf verwirklichten Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler 1994 ein pyramidales Ausstellungszentrum. Selbst das benachbarte Marzahn hat seit 1995 eine eigene Pyramide, deren spitze Glasfassade einen Teil des 100 Meter hohen Bürokomplexes an der Landsberger Allee einnimmt.

Früher schon, im Bauboom nach dem Zweiten Weltkrieg, entstand eine Reihe von pyramidenförmigen Kirchen: von der Autobahnkirche St. Christophorus Baden-Baden (1978, Friedrich Zwingmann) bis zum Mariendom in Neviges (Gottfried Böhm, 1968), der gleich mehrere Pyramiden in sich vereint. Aus heutiger Sicht nehmen einige dieser Bauten eine Zwischenstellung ein: Sie beginnen, vordem geschlossene Pyramidenflächen aufzubrechen und das Innere nach außen zu öffnen. Sichtbar wird diese Entwicklung etwa bei St. Paulus in Fulda (1967, Herbert Rimpl), Herz Jesu in Kassel (1970, Erich Weber) oder St. Laurentius im oberfränkischen Buchbach (1971, Gerhard Mantke).

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1994)

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1994)

Ein Hotel für Fürth

Das 42 Meter hohe Pyramidenhotel in Fürth entstand bis 1994 nach Plänen des Architekten Erwin Erdlen. Zunächst dachte man an eine Nutzung, die medizinische Angebote sowie ambulante und stationäre Leistungen unter einem Dach verbindet. Doch diese Idee ließ sich in der extravaganten Bauform – angesichts veränderter gesetzlicher Vorgaben – nicht realisieren. Stattdessen wurde die Glaspyramide zum unabhängig betriebenen Hotel. Gleichwohl bildet sie bis heute den markanten, werbewirksamen Mittelpunkt der EuromedClinic, die dann im Umfeld errichtet wurde. Die Klinik spezialisierte sich auf minimal-invasive Eingriffe und wurde rasch zum Euro-Health-Park erweitert.

Parallel entstanden ähnliche Pyramiden-Nutzungen – etwa die Züricher Klinik Pyramide am See, das sogenannte Ferrohaus, das Justus Dahinden 1970 als Bürohaus gestaltet hatte. Seit 1993 dient es medizinischen Zwecken. Oder das 104 Meter hohe „Luxor Hotel and Casino“ in Las Vegas, das 1993 nach Entwürfen des Architekten Veldon Simpson fertiggestellt wurde. In Fürth war die Glaspyramide politisch schon früh umstritten. Was als Konkurrenz zum städtischen Klinikum gefürchtet wurde, blieb als medizinisches Forschungs- und Kongresszentrum durchaus gewollt. Im neuen Jahrtausend ging es dann mit der Privatklinik, die inzwischen auch Kassenpatient:innen aufnahm, unweigerlich bergab. 2013 wurde sie an die Schön-Klinik-Gruppe verkauft, der Standort 2020 geschlossen. Seitdem liegen weite Teile des Ensembles brach.

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1994)

Fürth, Hotel Pyramide, Prospekt der Beauty-Farm und Tische im Restaurant (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1994)

Die Zukunft scheint offen

Auch das 101-Zimmer-Hotel, das ganz klassisch auf einem quadratischen Grundriss ruht, entwickelte sich zunächst positiv und erlebte manch prominente Gäste. Im Süden von Fürth machen die blau spiegelnden Glasfassaden direkt an der Stadtautobahn „Südwesttangente“ deutlich auf sich aufmerksam. Aus der Vogelperspektive erweist sich die Pyramide als eindrückliches Gegenüber zum Rhein-Main-Donau-Kanal. Doch die tatsächliche Zufahrt durch die Europaallee fällt nur wenig repräsentativ aus. 2016, vier Jahre vor der benachbarten Klinik, wurde die Hotelpyramide geschlossen. Rechtsstreitigkeiten zwischen Pächter und Eigentümer, schließlich die Insolvenz des Betreibers sorgten für Schlagzeilen. 2018 versuchte man als „Excelsior Hotel Nürnberg Fürth“ einen Neuanfang, 2022 folgte die erneute Schließung. Seither steht der Bau leer, seine Zukunft scheint offen.

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1999)

Fürth, Hotel Pyramide (Bild: Klaus-Peter Schaack, CC BY SA 3.0, 1999)

Literatur

Conti, Flavio, Wie erkenne ich Ägyptische Kunst? Architektur. Skulptur. Malerei, Stuttgart 1979.

Haberlik, Christina, 50 Klassiker. Architektur des 20. Jahrhunderts, Hildesheim 2001.

Müller, Werner/Vogel, Gunther, dtv-Atlas zur Baukunst. Tafeln und Texte, Band 1, München 1985.

Sattin, Anthony/Franquet, Sylvie, Ägypten (Falk spirallo Reiseführer), Ostfildern 2004, 2. Auflage.

Ziob, Claudia, Keine Gäste mehr in der Pyramide: Fürther Hotels „Excelsior“ und „Schwarzes Kreuz“ sind geschlossen, in: Nürnberger Nachrichten, 26. August 2022.

Beck, Roland, Aus für die imposante Hotelpyramide in Fürth. Eigentümer-Firma hat Räumungsklage erwirkt, in: Bayerische Staatszeitung, 7. September 2016.

Fürther Hotel-Pyramide: Neueröffnung mit neuem Namen, in: Münchner Merkur, 9. Februar 2018.

Henzler, Claudia, Die Zukunft des Fürther Nobelhotels wird nun vor Gericht verhandelt, in: Süddeutsche Zeitung, 3. Mai 2017.


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