Pioniermoderne, Eisenbahnmoderne, Rohstoffmoderne, Medienmoderne, Kriegsmoderne, Automobilmoderne, Endzeitmoderne – in seinem neuen Buch durcheilt der Architekt Wolfgang Koelbl (TU Wien) in großen Schritten die letzten gut 150 Jahre von Los Angeles. Damit etikettiert er zugleich die Bauschübe der modernen Stadt an sich, denn in der US-amerikanischen Metropole sieht er diese Entwicklung beispielhaft verdichtet. Ihn interessieren jedoch nicht die stilistischen Schubladen der Architektugeschichtsschreibung, er sucht vielmehr nach den Leidenschaften, nach dem Antrieb der Planenden und Bauenden. Und nicht zuletzt nach den Gründen ihres Scheiterns.

Die Kraft des Individuums

Los Angeles folge nicht dem europäischen Leitbild, wo man sich nach einem hohen kollektiven Anspruch ausrichte: Man plane die Stadt, wie die Gesellschaft darin sein soll. In der US-amerikanischen Metropole hingegen baue jede*r Einzelne nur das, was er/sie gerade braucht. Und dies unterscheide sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Mal stehen materielle Werte im Vordergrund (die Erdölförderung um 1920), mal zählen nur die künstlichen Bilderwelten (die Filmmetropole um 1930). In manchen Phasen dreht sich alles architektonische Schaffen um ein Fortbewegungsmittel (die Eisenbahn der 1870er/80er, das Automobil der 1950er/60er Jahre), in vielen Fällen geht es um einen geistigen Wert oder eine Gestimmtheit (der Aufbruchsgeist der ersten Siedler:innen um 1850, der militärische Vortrieb um 1940, das Zusteuern auf die Katastrophe in der Gegenwart).

Die Ambitionen der Moderne

Eigentlich müsse man, so Koelbl, die Moderne auch von ihren Nicht-Ambitionen, von den Phasen des Ermüdens und Dämmerns, her beschreiben. Doch im Hauptteil seiner Publikation wendet er sich den sechs zentralen Ambitionen dieser Epoche zu: 1) Die Moderne erhebt den Anspruch, die Vergangenheit einzuebnen und völlig neu zu beginnen. 2) Die Moderne will sich erheben, quasi schweben. 3) Die Moderne will unbegrenzt mobil sein, “Rollfelder” ausbilden. 4) Die Moderne will nicht weniger als den ganz großen Wurf, die Masse, die Wüste zum Blühen bringen. 5) Die Moderne sucht das herausfordernde Fremde. 6) Die Moderne steuert auf die Katastrophe zu – mal leise, mal laut, in jedem Fall unausweichlich.

Moderne in Wellen

Für Koelbl verläuft die Moderne also nicht von A nach B, von der Klassischen zur Post-Moderne. Nicht ohne den Architekturgeschichtler:innen im Geist einen seiner Finger erhoben entgegenzurecken, bestreitet er eine akademisch-enge Stilabfolge. Vielmehr habe vieles, fast alles in den letzten Jahren weiter nebeneinander her existiert. Die Forschung richte allerdings ihren Scheinwerfer nur je auf die Dinge, die ihr gerade ins Konzept passen. Indem Koelbl die Gleichzeitigkeit der Moderne-Stile ausruft, ent-historisiert er sie. Es handle sich eher um eine Wellenbewegung. Und darin liege auch die große Hoffnung der „Endzeitmoderne“, wie er sie in Los Angeles aufgezeigt hat. „Wer die finale Erschöpfung überwunden hat, der beginnt mit der Moderne einfach wieder von vorne. Bis es nicht mehr geht.“ (kb, 4.4.21)

Koelbl, Wolfgang, Los Angeles. Endzeitmoderne, Jovis Verlag, Berlin 2020, Broschur, 17 × 24 cm, 608 Seiten, 80 Farbabbildungen, ISBN 978-3-86859-639-7.

Titelmotiv: “Endzeitmoderne” (Bild: Buchcover, Jovis-Verlag)

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