Der Glaube an Wissenschaft und Fortschritt verband die verschiedensten politischen Utopien des letzten Jahrhunderts miteinander. Diktatorische Regime propagierten ihn ebenso wie demokratische Staatsführungen. Die praktische Realisierung einer – wie auch immer gearteten – neuen Welt lag hier wie dort in der Hand von Experten, von Stadtplanern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern oder Architekten. Das Bild des unpolitischen, international vernetzten Spezialisten, der mit kühlem Kopf universelle Lösungen erarbeitet, erfreute sich großer Beeliebtheit – und machte manchen Vertreter dieser neuen Elite zum nationalen Symbol. Die jüngst erschienene Monographie “Building Europe on Expertise” zeichnet die Historie des langen 20. Jahrhundert als transnationale Expertengeschichte nach.
Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die akademische Professionalisierung der technisch-wissenschaftlichen Elite Europas Ende des 19. Jahrhunderts. Der Weg führt über die Weltausstellungen und die CIAM, über Le Corbusier und Wernher von Braun bis hin zum europäischen Raumfahrtprogramm und den Verträgen von Lissabon. Dabei zeigt sich ein Wechselspiel von Rationalismus und Realpolitik, von transnationaler Vernetzung und nationalstaatlicher Vereinnahmung der Experten. Der Autoren Martin Kohlrausch und Helmut Trischler eröffnen mit dem Band neue Perspektiven auf die Geschichte Europas und identifizieren das letzte Jahrhundert überzeugend als Jahrhundert für Experten. (jr, 26.1.15)
Kohlrausch, Martin/Trischler, Helmut, Building Europe on Expertise. Innovaters, Organizers, Networkers, Palgrave Macmillan, London/New York 2014, Englisch, 416 Seiten, ISBN 978-0230308053.