von Ulrich Coenen (Juli 2025)
Deutsche Kurstädte haben üblicherweise keine Skyline. Baden-Baden ist da eine Ausnahme, allerdings gammelt das einzige Hochhaus der Stadt seit einem Vierteljahrhundert vor sich hin. Nach ukrainischen Spekulant:innen versucht sich seit 2014 ein türkischer Investor am 1954 errichteten Bâtiment Administratif de Baden-Oos (kurz Babo). Das ehemalige Verwaltungsgebäude der französischen Streitkräfte im Stadtteil Oos steht seit deren Abzug 1999 leer. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Baden-Baden mehr als fünf Jahrzehnte französisches Hauptquartier in Deutschland. Die Besatzer:innen errichteten zahlreiche Bauten, darunter die Garnisonssiedlung Cité und eben das Babo.

Baden-Baden, Babo: Das ehemalige Verwaltungsgebäude der französischen Armee im Baden-Badener Stadtteil Oos ist ein Werk von Karl Kohlbecker und Karlsiegfried Keppeler (Bild: Ulrich Coenen)
Kritik aus dem Rathaus
Die Untätigkeit der beiden Investor:innen sorgte im Baden-Badener Rathaus immer wieder für Unmut. „Das Gebäude ist einem erbarmungswürdigen Zustand“, klagte der damalige Baubürgermeister Alexander Uhlig 2021 in einer Bauausschusssitzung. Der Eigentümer habe es „total heruntergewirtschaftet“. 2016 hatte die Stadt eine Baugenehmigung für das Babo erteilt. Diese sah den Umbau in ein Hotel vor. Geschehen ist allerdings nichts.
Nachdem Protagonist:innen der Neuen Sachlichkeit wie Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe Deutschland ab 1933 verlassen hatten, bestand nach dem Kriegsende 1945 Nachholbedarf, um wieder Anschluss an die internationale Architekturszene zu finden. Das Babo ist ein herausragendes Beispiel dieser Bestrebungen. 1954 wurde das elfgeschossige Hochhaus nach den Entwürfen von Karl Kohlbecker und Karlsiegfried Keppeler fertiggestellt. Von der einstigen Eleganz ist heute kaum noch etwas zu erkennen. Der desolate Zustand lässt das Babo eher wie einen Schandfleck erscheinen. Während mittelalterliche Burgen im Laufe der Zeit eine malerische Patina entwickeln können, ist moderne Architektur auf kontinuierliche Pflege angewiesen.
Wissenschaftlich gewürdigt
Das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg beschäftigt sich seit vielen Jahren auch wissenschaftlich mit dem Babo. 2002 hat Clemens Kieser unter dem Titel „Damals ein Novum: die Glasvorhangfassade“ einen Beitrag für das Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege verfasst. 2024 folgte der Artikel des Autorenteams Carla Heym, Peter Kifinger, Ahmad Aboukhriba und Christian Kayer mit der Überschrift „Chicago – Paris – Baden-Baden? Das Babo als Vorreiter deutscher Glashochhäuser“. Der Beitrag basiert auf der vom Denkmalamt beauftragten Untersuchung durch das Büro Kayser + Böttges | Barthel + Maus Ingenieure und Architekten in München, die 2022 abgeschlossen wurde.

Baden-Baden, Babo: Das ehemalige Verwaltungsgebäude zeigt eine der frühesten deutschen Vorhangfassaden (Bild: MG, via stadtwiki-baden-baden.de, CC BY SA 3.0, 1954)
Frühe Vorhangfassade
Das Babo-Ensemble besteht aus dem rund 40 Meter hohen Scheibenhochhaus, dem zweigeschossigen Empfangsgebäude und dem getrennt davon gelegenen, kleinen Verwaltungswohnhaus. Das Hochhaus ist ein Stahlskelettbau, der sich über freistehenden Stahlbetonpfeilern erhebt. Dabei orientiert es sich – vor allem im Hinblick die Aufständerung – an Le Corbusiers Wohngebäude Unité d’Habitation, das von 1947 bis 1952 in Marseille entstanden ist.
Der Architekt des Babo, Karl Kohlbecker aus dem badischen Gaggenau, war einer der Wegbereiter:innen der modernen Industriearchitektur in Deutschland. Sein 1930 gegründetes Büro wird heute in dritter Generation von den Enkeln Matthias und Florian geführt. Wie sein Freund Egon Eiermann widmete sich Karl Kohlbecker in der Nazizeit hauptsächlich dem Industriebau, wo er in modernen Formen entwerfen konnte. Kohlbecker plante und baute ab 1938 beispielsweise gemeinsam mit Emil Rudolf Mewes, Fritz Schupp und Martin Kremmer das Volkswagenwerk in Wolfsburg. Zu Kohlbeckers wichtigsten Schöpfungen nach dem Krieg zählen mehrere Fabriken und Verwaltungsgebäude für Daimler-Benz und Audi im In- und Ausland, aber auch das Rathaus in Gaggenau (1957). Kohlbecker und Keppeler planten ebenfalls zahlreiche Bauten für die französische Garnisonssiedlung in Baden-Baden.
Die elegante Vorhangfassade des Babo wurde mit vorgefertigten Wandelementen aus Glas, Stahl und Leichtmetallrahmen verkleidet. Das Treppenhaus mit den Aufzügen bildet einen eigenständigen Baukörper und ist mit 40 Metern etwas höher als das Bürogebäude. Es wurde mit Muschelkalkplatten verkleidet. Über eine verglaste Verbindungsbrücke ist das Hochhaus mit dem zweigeschossigen Nebengebäude verbunden. Dort waren ursprünglich Kantine, Garagen und Werkstätten untergebracht, später das Militärgericht. Der schmale Grundriss des Bürohochhauses wird in allen Geschossen durch einen Mittelkorridor charakterisiert, der die 235 Räume erschließt

Baden-Baden, Babo: Im Jahr 2010 war die gesamte Umgebung noch eine Brachfläche, heute ist alles bebaut. Nur das denkmalgeschützte Hochhaus gammelt immer noch vor sich hin (Bild: Ulrich Coenen)
Stahlblech-Hohlkastenelemente
Kieser weist darauf hin, dass Stahlskelettbauten mit vorgehängten Glasfassaden vorher in Deutschland nicht verwirklicht wurden. Wenig jüngere Beispiele seien die Verwaltungsgebäude des Kaufhofs in Köln und der Montanunion in Saarbrücken. Vorbilder für das Babo sind zwei New Yorker Wolkenkratzer: das Gebäude der Vereinten Nationen (1950, Wallace K. Harrison) und das Lever House (1952, Skidmore, Owings und Merrill).
Heym, Kifinger, Aboukhriba und Kayer beschreiben die baukonstruktive Ausbildung der Fassade des Babo, bei der es sich „entgegen der äußeren Erscheinung nicht um eine gängige Pfosten-Riegel-Konstruktion handelt, sondern um ein System von Stahlblech-Hohlkastenelementen mit vorgesetzter Verkleidung“. Die Verfasser blicken in die Baugeschichte: „So geläufig heute Bürotürme mit flächig verglasten Fassaden sind, die material- und herstellungsbedingten Begrenzungen des spröden Materials stellten lange eine wesentliche technische Herausforderung dar.“ Einerseits habe zunächst ein Trag- und Konstruktionssystem für die flächige Verglasung entwickelt werden müssen, andererseits habe es ein geeignetes Befestigungssystem für das zerbrechliche Material gebraucht. Die bauphysikalischen Probleme wurden erst in den USA der Nachkriegszeit befriedigend gelöst. Die Autoren verweisen auf die vollverglaste UNO-Hauptverwaltung in New York, an der Le Corbusier beteiligt war und das Hochhaushäuserpaar 860–880 Lake Shore Drive in Chicago von Mies van der Rohe.
Nach Jahren der Untätigkeit wachsen aktuell die Chancen für eine Sanierung des Babo. Gegenüber dieser Redaktion erklärt Alexander Wieland, Erster Bürgermeister und Baudezernent der Stadt Baden-Baden, dass der Eigentümer Apartments im Babo plant. Im Erdgeschoss soll ein Restaurant entstehen. „Das gesamte Ensemble soll erhalten bleiben“, berichtet Wieland. Geplant sei ein zusätzlicher Hotelneubau in unmittelbarer Nachbarschaft. „Wir sind froh, dass sich etwas tut“, sagt der Erste Bürgermeister. Lukas Walter berichtet als Sprecher des Landesdenkmalamtes, dass der Behörde noch keine Pläne vorliegen. „Grundsätzlich werden die Sanierung und Nutzung eines Kulturdenkmals jedoch begrüßt“, meint er.

Offenburg, Burda-Hochhaus: Saniert von 2002 bis 2004 durch Ingenhoven, Overdieck und Partner (Düsseldorf), ist der Bau (Kurt Ernst Walker, 1964) heute in seinem Erscheinungsbild völlig verändert. Links daneben findet sich das Parkhaus, das nach Plänen desselben Büros entstanden ist (Bild: Ulrich Coenen)
Neue Chancen?
Bei der Sanierung des Babo-Hochhauses wird es darauf ankommen, das charakteristische Erscheinungsbild und möglichst viel originale Bausubstanz zu bewahren. Das unerfreuliche Beispiel des zweiten berühmten Hochhauses in Mittelbaden zeigt, dass das nicht selbstverständlich ist: Das Burda-Hochhaus in Offenburg wurde zwischen 2002 und 2004 von Ingenhoven, Overdieck und Partner (Düsseldorf) umfassend umgebaut. Auf einem nur zwölf Meter breiten, elliptischen Grundriss errichtet, entstand es von 1961 bis 1964 nach Entwürfen des Baden-Badener Architekten Kurt Ernst Walker. Es orientierte sich am Vorbild des Pirelli-Hochhauses in Mailand, das 1960 nach Plänen von Gio Ponti und Pier Luigi Nervi fertiggestellt wurde.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends entsprach das Burda-Hochhaus nicht mehr den funktionalen Anforderungen des Medienkonzerns. Neben der Gebäudetechnik wurden die Fassade und die Dachaufbauten des bis auf das Stahlbetonskelett zurückgebauten Hochhauses erneuert. Dabei verlor das 67 Meter hohe, 15-geschossige Bauwerk viel von seinem ursprünglichen Charme. Das aufgeständerte Erdgeschoss wurde wie das gesamte Gebäude von der neuen zweischaligen Glasfassade umhüllt. Zeitlose Eleganz wurde effizienter Wärmedämmung und modischem Design geopfert.