von Rebekka Kremershof (21/3)

Mit dem Beginn der Pandemie im März 2020 hat sich die private und berufliche Lebenswelt spürbar verändert. Aus der Sicht der Abteilung Bildung und Vermittlung eines Museums sogar fundamental. Die Vermittlungsarbeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main war bis zu dem Zeitpunkt geprägt durch die Begegnung und das gemeinsame Arbeiten mit Form und Material. Von einem Tag auf den anderen blieben die Besucher:innen weg und als sich die Situation nach dem Sommer erneut verschärfte war klar, es müssen neue Wege beschritten werden. Oder, ganz im Sinne des Leitthemas dieser Publikation: Die Lücke möchte und muss mit anderen Mitteln geschlossen werden.

Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, Legobaustelle (Bild: Deutsches Architekturmuseum Frankfurt)

Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, Legobaustelle (Bild: Deutsches Architekturmuseum Frankfurt)

Statt Lego

An vielen Fronten kam im DAM die digitale Problemlösungs-Maschinerie in Gang. Digitale Führungen wurden organisiert, Ausstellungseröffnungen konnten live auf der ganzen Welt verfolgt werden. Was aber geschah mit Formaten, die sich scheinbar nicht digitalisieren lassen, beispielsweise mit der Legobaustelle? Seit 1985 ist sie eines der beliebtesten und bekanntesten Vermittlungsformate des DAM. Jedes Jahr kamen mehrere tausend Kinder und Erwachsene zusammen, um in einfachen Legobausteinen einen gemeinsamen Nenner zu finden, zu gestalten und Gebäude zu erschaffen. Es wurde nach Möglichkeiten des Transfers in den digitalen Raum gesucht und schnell war klar: Dots statt (Lego-)Klotz, wurde zum Motto der Stunde. Das Open-World Spiel Minecraft erschuf neue Möglichkeitsräume, der Lego-Community auch in den (für das Veranstaltungswesen definitiv) schwierigen Zeiten, ein solides Angebot zu machen. Minecraft wird nicht ohne Grund oft als das ‘digitale Lego’ vorgestellt, denn die beiden Spiele weisen eine große Schnittmenge auf.

Wie bei Lego werden auch im Spiel Minecraft Klötze aufeinander gestapelt, um Konstruktionen oder Gebäude zu erschaffen. Wenngleich angemerkt werden sollte, dass Minecraft durch die Aufhebung der physikalischen Gesetze an dieser Stelle noch mehr gestalterische Freiheit bietet. Beide Formate verfolgen kein festgelegtes Ziel. Das ermöglicht das Festlegen eigener Zielstellungen oder das Spiel um des Spielens willen. Zudem funktionieren beide, Lego und Minecraft, intuitiv und ermöglichen ein rasches Einsteigen und schnelle Erfolgserlebnisse. Der Komplexitätsgrad beider Spielwelten zeigt sich erst nach näherer Beschäftigung mit ihnen. Sie bieten sowohl für Anfänger:innen als auch für Fortgeschrittene angemessene Herausforderungen. Zudem benötigt man für beide Formate nicht zwingend eine einheitliche Sprache, was ein internationales Zusammenspiel möglich macht. Das digitale Minecraft ist hier klar im Vorteil.

Frankfurt_2099 (Bild: DAM Frankfurt)

Frankfurt_2099 (Bild: DAM Frankfurt)

Optisch simpel, anspruchsvoll im Detail

Obwohl Minecraft in seiner optischen Erscheinung schlicht und für viele auch gewöhnungsbedürftig ist, weckt es seit Jahren beständiges Interesse in der Szene. Seit 2009, als es erstmals auf den Markt kam, wurde es über 200 Millionen Mal verkauft. Mit diesen überzeugenden Argumenten im Hinterkopf, entwickelte das DAM nun die inhaltliche Fragestellung: Was passiert, wenn man sich Frankfurt in Fragmenten vorstellt, wenn nur noch einige wenige Gebäude stehen? Wie würde ein städtebauliches Szenario aussehen, wenn Spielende die Möglichkeit bekommen, durch ein Gebäude einen Beitrag zu einer kollektiven Zukunftsvision zu leisten und Lücken zwischen dem Jetzt und dem Morgen mit neuen Ideen zu füllen?

Realität wurden diese Überlegungen, als der DAM-Partner und Minecraft-Experte Josef H. Bogatzki (im YouTube-Universum bekannt als TheJoCraft) in das Projekt eingestiegen ist. Durch ihn konnte die Lücke zwischen Idee und Umsetzung geschlossen werden. Seine zehnjährige Erfahrung als Spieler und die beachtliche Reichweite seines YouTube-Kanals (aktuell 297.000 Follower) waren ohne Zweifel essenziell für den Erfolg des Projekts. Realisierbar wurde es dann durch die großzügige Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes und den Freunden des DAM e. V.

Frankfurt_2099 (Bild: Josef Einrich Bogatzki)

Frankfurt_2099 (Bild: Josef Heinrich Bogatzki)

Eine Gratis-Baulücke für jede:n

Basierend auf den Geodaten der Stadt Frankfurt am Main wurden Teile der Stadt maßstabsgetreu in eine Minecraft-Landkarte (im Folgenden Map genannt) übersetzt. Einige Gebäude wurden nachgebaut, der Rest der Map besteht bislang aus zahlreichen Baulücken, die durch neue Konzepte wiederbelebt werden können. Seit März 2021 steht den Spieler:innen ein Server zur Verfügung, auf dem Grundstücke besetzt werden können. Diese Grundstücke können nur von der Bauherr:in betreten werden (sie können also nicht von anderen zerstört werden). Sehr wohl kann man als Spieler:in aber über die Map „fliegen“ und Ideenreichtum sowie gestalterisches Können anderer bewundern.

Die Spieler:innen haben nun bis in den Oktober 2021 Zeit, ihre Ideen und Vorstellungen einer idealen gebauten Umwelt zu erschaffen. Wie realistisch diese sind, überlässt das DAM den Bauenden, denn ohne das freie Denken wäre es schlecht bestellt um die Entwicklung neuer Lösungsansätze für die Herausforderungen der Gegenwart. Bereits seit Mai 2021 ist es möglich, die eigenen Gebäude in einen Wettbewerb einzureichen. Denn auch die Vielzahl der digitalen Baulücken bietet nicht genug Platz, um die aktuell rund 10.000 bebauten Grundstücke auf dem Bau-Server allesamt in die Frankfurt-Map zu importieren. Die interessantesten, spannendsten, aber gerne auch schrillsten Visionen werden Einzug in die offizielle Frankfurt-Map finden.

Frankfurt_2099 (Bild: DAM Frankfurt)

Frankfurt_2099 (Bild: DAM Frankfurt)

Heterogene Zielgruppe

Dies leitet zu einer Besonderheit des Projekts über. Wie auch bei der Legobaustelle, ist die Zielgruppe von Frankfurt_2099 nicht homogen. Das DAM kann keine repräsentativen Statistiken über unsere Mitspieler:innen erstellen, weil (bewusst!) keine Angaben zur eigenen Person abgefragt werden. Die Ausnahme ist hier die Teilnahme am Wettbewerb. Daher wissen die Veranstalter, dass sich die Spannbreite von achtjährigen Grundschüler:innen über 30-jährige ITler:innen bis hin zu 60-jährigen Architekt:innen erstreckt. Weil dies zu erwarten war, wurden von Beginn an drei Gewinner:innen-Kategorien geschaffen, die sich auf das Alter der Spieler:innen beziehen und unterschiedliche Bewertungskriterien zugrunde legen.

Jedoch, und ganz im Sinne des Spiels selbst, ist der Weg das Ziel. Jede:r kann mitmachen, ganz unabhängig davon, ob er oder sie am Wettbewerb teilnehmen möchte. Der Bau-Server wird ebenso erhalten bleiben, wie die Frankfurt-Map. Somit ist für alle Teilnehmer:innen Platz. Wichtig war, dass die Erfahrung eines gemeinsamen Zusammenarbeitens möglich wird, auch wenn die Corona-Zeit das ‘Gemeinsame’ massiv erschwert hat. Die Resonanz auf das Projekt hat die Erwartungen übertroffen. Bereits im Mai 2021 war die 10.000er Marke an vergebenen Baugrundstücken geknackt. Es kamen Mails aus den USA und Mexiko, die von einer Teilnahme berichteten, was die Veranstalter in besonderem Maße freut. Es eröffnet auch in der Zukunft unzählige Möglichkeiten, über Landesgrenzen hinweg gemeinsam zu spielen und zu arbeiten. Das DAM ist gespannt, was die kommenden Monate noch bringen werden.

Frankfurt_2099 (Bild: DAM Frankfurt)

Konkurrenzlos

Zweifelsohne war (und ist) die Pandemie über alle Maßen anstrengend und brachte eine Vielzahl an negativen Side-Effects mit sich, die in keiner Weise gemindert werden sollen. Sie hat Krater geschlagen. Es brach vieles weg, ließ Lücken entstehen – sowohl im öffentlichen Leben als auch in persönlichen Begegnungen. Alle standen vor Brachland, welches neu bespielt werden musste. Die Not hat gewissermaßen die Augen geöffnet, denn das Spiel mit all seinen Vorzügen für die baukulturelle Bildung, gibt es schon seit Jahren. Es hat ein Ausbrechen aus der Routine gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Es bleibt die Frage, was passieren wird, wenn die Pandemie eingedämmt werden konnte. Werden die digitalen Formate in der musealen Vermittlungsarbeit auch dann in diesem Ausmaß gebraucht – oder war sie doch nur ein Lückenfüller? Für das DAM steht fest: Digitale Vermittlungsformate werden die analogen nicht ersetzen. An dieser Stelle sollte der Gedanke jedoch nicht aufhören. Die Verfasserin möchte diesen Artikel mit einem Zitat des DAM-Partners Josef H. Bogatzki beenden: “Sie müssen es überhaupt nicht, denn digitale und analoge Formate stehen nicht in Konkurrenz. Vielmehr ergänzen und bereichern sie sich gegenseitig. Wichtig ist es, den Reichtum zu erkennen und zu nutzen.”

Frankfurt_2099 (Bild: Jakob Poessinger)

Titelmotiv: Frankfurt_2099 (Bild: Jakob Poessinger)

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Inhalt

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