von Daniel Bartetzko (21/2)

Sei wie der Tidyman: Müll gehört nicht auf die Straße! Dafür gibt es im öffentlichen Bereich Abfalleimer. Nicht immer dort, wo man sie am nötigsten braucht, und auch nicht immer aufmerksam durch die in der Regel zuständigen Kommunalbetriebe geleert. Aber immerhin gibt es sie, und dass die „Mistkübel“ – wie sie in Österreich wenig blumig genannt werden – oft arg überfüllt sind, zeugt davon, dass sie von den Meisten als Ort für den kleinen Unrat des täglichen (Straßen-) Lebens akzeptiert und genutzt werden. In uns allen steckt der Tidyman. Okay – wer? Na, der stilisierte Herr, der ein ebenso stilisiertes Stück Papier in einen Papierkorb wirft. Und millionenfach weltweit auf Warenbehältnissen wie Plastikblistern und Getränkedosen prangt. Er mahnt, den Abfall korrekt zu entsorgen.

Links: Berlin, Papierkörbe an Straßenbahnmasten, 1926; rechts: Tidyman (Bilder: links: Bundesarchiv Bild 102-03092, CC BY SA 3.0, rechts: CC0)

Keep Britain Tidy

Der Tidyman betreibt freilich keine akribische Sortentrennung, ist nicht gegendert und führt die Bezeichnung „Mann“ im Namen. Das legt seine Ursprünge eindeutig in die Zeit vor der Identitäten-Explosion. Und tatsächlich hat er rund 60 Jahre auf dem kerzengeraden Buckel: Der Saubermann, so die korrekte Übersetzung, tauchte zuerst Mitte der 1960er in den USA auf, ab etwa 1970 auf den weit verbreiteten US-amerikanischen „Budweiser“-Bierdosen. Bald übernahmen ihn mehrere Getränkehersteller und 1969 in Europa bereits die Kampagne „Keep Britain Tidy“. Mit steigendem Umweltbewusstsein nahm seine Verbreitung ab den späten 1970ern stark zu. In der Slowakei ist heute seine Abbildung auf allen Verpackungen ab einer bestimmten Größe gar gesetzlich vorgeschrieben. Und neben den mannigfaltigen Verballhornungen und sinnvollen Umnutzungen – wie beispielsweise den ein Hakenkreuz entsorgenden Tidyman – ist vor allem eins kurios: Seine exakte Herkunft und sein Schöpfer sind nicht (mehr) bekannt. Er war irgendwann halt einfach da. Die Lernplattform www.skillshare.com mit zwei Millionen Mitgliedern startete 2017 anlässlich einer neuen „Keep Britain Tidy“-Kampagne einen Aufruf zur Herkunft des Logos – ohne Ergebnis. Was irgendwie auch wieder schön ist in der durchorganisierten und kaum noch Geheimnisse mehr bergenden, weltweiten Informationsgesellschaft …

Auf öffentlichen Abfalleimern ist der Tidyman nach wie vor häufig abgebildet – auch wenn er in Großstädten von Werbung oder „lustigen“ Sprüchen kommunaler Betriebe zunehmend verdrängt wird – etwa: „Wir kümmern uns um jeden Mist“ oder „Schlag mir den Bauch voll“, haha. Die Geschichte der öffentlichen Müllbehältnisse ist aber im Gegensatz zur Herkunft des stilisierten Wegwerfers recht gut dokumentiert. Natürlich wurde insbesondere in Städten schon im 18./19. Jahrhunderts auf Sauberkeit an repräsentativen Plätzen geachtet. Doch das Aufstellen und die Standardisierung öffentlicher Abfallbehälter nahm ihren Lauf parallel mit den Anfängen der kommunalen Müllabfuhr. Der Pariser Präfekt Eugène Poubelle als Vorreiter sorgte 1884 per Dekret dafür, dass der Haushaltsmüll in einem verschlossenen Behältnis zur Abfuhr bereitgestellt werden sollte. Der Name Poubelle wurde bereits 1890 offiziell zum französischen Begriff für Abfalleimer – welch Ehre … In Deutschland zählte die Stadt Köln zu den ersten entsorgungswilligen Kommunen; in den Jahren ab 1890 wurde die Müllabfuhr organisiert, ab 1894 war sie auch für die Sauberkeit auf den öffentlichen Plätzen der Innenstadt zuständig – das „System Colonia“ war geboren. Übernommen wurde es seinerzeit als erstes von der Stadt Wien. In der Schweiz war für die Müllabholung seit den Anfangstagen die Firma Ochsner zuständig, die 1902 normierte Mülltonnen nach dem „Patent Ochsner“ vorstellte – samt passender Müllfahrzeuge. Und natürlich hat Ochsner dann auch die ersten Mülleimer für den öffentlichen Raum gestaltet.

Woodstock, 1969 (Bild: James M Shelley, CC BY SA 4.0)

Woodstock, 1969 (Bild: James M. Shelley, CC BY SA 4.0)

Die Überreste von Woodstock

Das steigende Müllaufkommen ist untrennbar mit der Industrialisierung und dem explosionsartigen Wachstum der Städte Ende des 19. Jahrhunderts verbunden. Für einen weiteren Schub sorgte die Freizeit- und Eventgesellschaft ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Hippie-Festival Woodstock hinterließ 1969 gewaltige Müllberge im US-Örtchen Bethel, die so gar nicht zu Love & Peace passen wollten. Neben der Sorglosigkeit der Besucher sorgte freilich auch das Fehlen einer Müll-Infrastruktur für den verstreuten Unrat. Und wohl, dass die wenigen Behältnisse zu dezent gestaltet waren. Mit den Jahren wurden öffentliche Mülleimer auffälliger und bunter, das Design anspruchsvoller. Dies ist in weiten Teilen so geblieben, obwohl mittlerweile kommunaler Sparzwang und überall entstehende Frugal-Papparchitektur eigentlich auch eine andere Formensprache der Straßenmöbel fördern. Tatsächlich gibt es längst eine Menge polierter Edelstahl-Kübel oder in Fifty Shades of Grey lackierte Grauslichkeiten.

Doch neben den aktuellen anthrazit-weißen Wohnkisten säumen noch immer oft organisch geformte Mülleimer in Orange oder Giftgrün die Bürgersteige. Der Grund ist simpel: Gut sichtbare und formal gelungene Behälter werden (positiv) wahrgenommen und infolgedessen auch bereitwilliger genutzt. Sie vermeiden die Vermüllung einer Gegend, das sogenannte „Littering“. Feldforschungen hierzu wurden bereits zu Woodstock-Zeiten in den USA betrieben: In Richmond hatte das Aufstellen von großen, ansprechend designten und deutlich sichtbaren Abfallbehältern entlang der Highways zur einer Reduzierung des Littering um 28,6 Prozent geführt. Eine Untersuchung in Football-Stadien zeigte, dass in bunte Mülleimer mehr als die doppelte Menge Unrat hineingeworfen wurde als in ihre dezent dunklen Pendants.

Das Problem des Littering ist gerade in den vergangenen Jahren, in denen es die Stadtgemeinschaft zunehmend nach draußen zog, wieder zum größeren Problem geworden. Gerade in großen Parks ist es mit bloßen Mülleimern kaum mehr getan, hier werden zunehmend Container aufgestellt. Doch die bunte Pop-Kultur ist dort, wo ein kleiner Kübel ausreicht, noch immer angesagt – sogar aus wissenschaftlich belegbaren Gründen.

Berlin, Mülleimer (Bild: Michael.F.H.Barth, CC BY SA 4.0, 2019)

Immer der Norm nach

Trotz der Farbenpracht muss aber alles seine Ordnung haben. Was wäre unsere Heimat ohne das Deutsche Institut für Normung? Die Beschaffenheit eines Kunststoff-Mülleimers, Fassungsvermögen 50 Liter, Regenschutzhaube und Entriegelung mittels Dreikantschlüssel regelt die DIN 30713. Wer als Nicht-Eingeweihter nachlesen möchte, was genau diese Norm beinhaltet, muss dafür allerdings ordentlich Geld investieren: Der Beuth-Verlag, eine Tochter des Deutschen Instituts für Normung, verwaltet die Niederschriften streng. Wer nicht selbst plant, Mülleimer für den öffentlichen Raum zu entwerfen, kann verzichten. Es ist dann einfach nur beruhigend zu wissen, dass der Eimer, in denen man gerade seinen Starbucks-Becher befördert, diesen kompetent aufzunehmen in der Lage ist. Denn er erfüllt schließlich die DIN 30713.

Apropos Entwurf: Natürlich ist ein Mülleimer nicht unbedingt sexy. Doch angesichts vieler jahrzehntelang bewährter Modelle, deren Anblick jede/r kennt, ist es geradezu grotesk, dass ihre Designer weitgehend unbekannt blieben. So sind also „State Hawaii“, „Push Swinger“, oder „Cubo Galeno“ scheinbar elternlose Geschöpfe aus feuerverzinktem Stahl oder HDPE Kunststoffspritzguss. Und offenbaren damit ihre Nähe zum ebenfalls herkunftslosen Tidyman. Ein Geschmacksmusterschutz scheint gleichfalls nicht zu bestehen, da die Eimer – unter variierenden Namen – von diversen Firmen wie Sulo, Wesco oder Kuka produziert werden, ohne sich auffällig zu unterscheiden. Gemeinsam ist den meisten das Schloss mit dem Dreikant, mit dem sie aus ihrer Wand- oder Masthalterung zwecks Entleerung gelöst werden (Das Schloss ist natürlich genormt, logisch).

Mülleimer Serie 800 (Bild: Firma Thieme)

Mülleimer Serie 800 (Bild: Firma Thieme)

Kaum recherchierbar

Auch wenn die Designgeschichte kaum recherchierbar ist, gibt es doch einen Tipp für Neugierige: Auf der Seite absperr-schilder-technik.de findet man ein Wunderland der Abfallkörbe. Von der Edelstahl-Abfallstation „Munich“, welche unter anderem auf den Bahnsteigen der Deutschen Bahn steht (Preis: 1.611 Euro), bis zum Mülleimer „State Florida“ (halbrund, gelocht, Fassungsvermögen 20 Liter, Preis ab 91 Euro; gerne auf Baumarkt-Parkplätzen positioniert) findet sich dort fast alles, was seit mindestens 60 Jahren produziert wird und das Entsorger-Herz höher schlagen lässt. Viele fast vergessene Müll-Klassiker sind tatsächlich noch heute lieferbar. Klar, ihren Sinn verlieren sie auch nicht. Unrat fällt immer an. Auch wenn die wissenschaftliche Recherche nach Namen, Gestaltern und Herkunft gescheitert ist: Nutzen wir die Kübel nach Kräften. Und seien wir wie der Tidyman!

Mülleimer (Bild: Tilo Hauke, CC BY SA 3.0)

Titelmotiv: Mülleimer (Bild: Tilo Hauke, CC BY SA 3.0)



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