von Dina Dorothea Falbe (25/1)
Die „Kieler Woche“ ist bis heute bekannt als Segel-Event samt Volksfest und Kulturprogramm. Weniger bekannt ist das ostdeutsche Pendant: Die „Ostseewoche“ wurde 1958 als Konkurrenzveranstaltung ins Leben gerufen, um die internationale Anerkennung der DDR als Staat zu fördern. Indem gezielt Personen des öffentlichen Lebens aus skandinavischen Ländern eingeladen wurden, sollten Beziehungen zu den westlich geprägten Ostseeanliegerstaaten aufgebaut werden. Um die Gäste zu beeindrucken, scheute man keine Kosten und Mühen: Für die Schau zeitgenössischer Kunst auf der Biennale der Ostseeländer entstand 1969 in Rostock der einzige Neubau für Kunstausstellungen in der DDR. Die denkmalgeschützte Kunsthalle erstrahlt heute in neuem Glanz. Und mittlerweile ist auch die drei Jahre zuvor errichtete Messehalle „Bauwesen und Erdöl“ nach Entwurf von Ulrich Müther (1934–2007) denkmalgerecht saniert.

Rostock-Schutow, Messehalle nach Sanierung, 2024 (Bild: Alexander Voss/Deutsche Stiftung Denkmalschutz)
Schnell zu errichten und fortschrittlich
Ab 1966 sollten auch die wirtschaftlichen Stärken der DDR im Rahmen der Ostseewoche öffentlichkeitswirksam präsentiert werden: Für die Ostseemesse wurde daraufhin in Rostock-Schutow ein eigenes Gelände erschlossen. Auf der Suche nach einer Konstruktion, die schnell zu errichten war, aber auch die Fortschrittlichkeit des Bauwesens der DDR repräsentieren würde, fiel die Wahl auf die heute berühmten Betonschalen von Ulrich Müther. Die beiden versetzt angeordneten Hyparschalen auf quadratischem Grundriss der Messehalle „Bauwesen und Erdöl“ waren die ersten, die der Binzer Baumeister in dieser Form errichtete. Es war auch sein erstes Projekt außerhalb der Insel Rügen und die erste Zusammenarbeit mit dem Architekten Erich Kaufmann (1932–2003) vom VEB Hochbauprojektierung Rostock. Nach der Beauftragung bleiben Müther und seinen Mitarbeitern nur 150 Tage, also knapp fünf Monate, um die Schalen zu projektieren und zu bauen.

Rostock-Schutow, Libellenweg, Messehalle „Bauwesen und Erdöl“, Plan von 1966 (Scan: Müther-Archiv, Hochschule Wismar)
Der Beginn einer Erfolgsgeschichte
Bei der Eröffnung der Ostseemesse im Juli 1966 zeigte sich Müthers Messehalle mit ihrer charakteristischen Dachform als Hingucker und wurde ein großer Erfolg. Ulrich Müther berichtete 2006 im Gespräch mit der Denkmalpflegerin Dr. Tanja Seeböck: „Und als ich auf dem Messegelände ankam, haben die schlecht klingenden Lautsprecher mit blechernem Ton von dem jugendlichen Rationalisator Ulrich Müther geplärrt, der im Rahmen der FDJ-Initiative [lacht] dieses international bedeutende Bauwerk gemacht hat. Und unser Parteisekretär von Rügen, ein Franz Franzen, sagte zu mir: ‚Du bist ja hier die ganz große Mode, nicht eingeladen, aber Ausstellungsstück‘.“
Der Binzer Bauingenieur hatte bis dato nur drei Schalenbauten auf der Insel Rügen errichtet. Erst die Messehalle begründete ihre Erfolgsgeschichte in der DDR und darüber hinaus. Mit diesem Bau gelang Ulrich Müther der berufliche Durchbruch. In seinen Erinnerungen wurden die ersten Folgeaufträge bereits am Abend der Eröffnung vergeben: „Nachts gab es noch einen Staatsempfang in Warnemünde in dem Bauhaus-Kurhaus, in dem alten von 1928. Da wurde bis morgens um drei richtig gesoffen mit den Funktionären. Und in dieser Nacht wurde festgelegt, dass der ‚Teepott‘ in Warnemünde das nächste Objekt ist und die Mehrzweckhalle in Rostock-Lütten Klein. Weil der ‚Teepott‘ dem Konsum gehörte, und wenn der Konsum so einen Bau bekommt, dann muss die HO auch einen haben, die bekam die Mehrzweckhalle.“

Rostock-Schutow, Ostseemesse 1966 (Bild: Müther-Archiv, Hochschule Wismar)
Prototyp der quadratischen Hyparschalen
Beim Bau der Messehalle in Rostock nutzte Ulrich Müther noch herkömmlichen Ortbeton, der über einen Schlauch aufgebracht und händisch verteilt und verdichtet wurde. Die folgende Nachfrage an Schalenbauten war ein gutes Argument für die Weiterentwicklung des Unternehmens und die Ausstattung mit neuer Technik: Etwa zwei Jahre nach Fertigstellung der Messehalle wurde ein Spritzbetongerät der Firma Torkret angeschafft, das eine einfachere und gleichmäßigere Betonierung der gekrümmten Tragwerke und damit eine höhere Betonqualität ermöglichte.
Mit der Messehalle errichtete Müther auch den Prototyp der Hyparschalen auf quadratischem Grundriss – eine Grundform, die er mit abgewandelten Parametern in vielen seiner zukünftigen Projekte wiederholte, auch bei der Messehalle Magdeburg oder der Stadthalle Neubrandenburg. Seeböck schreibt dazu: „Der Vorteil war, dass Müther den einmal geplanten und berechneten Schalentyp bei anderen Projekten nur noch an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen musste. Aufgrund der bereits vorliegenden Erkenntnisse und Erfahrungen konnten dadurch sowohl der Planungs- als auch der Herstellungsprozess vereinfacht und verkürzt werden. Diese Kriterien entsprachen den speziellen Anforderungen des Bauwesens in der DDR an planerische und wirtschaftliche Effizienz.“

Rostock-Schutow, Messehalle im Bau, 1966 (Bild: Müther-Archiv, Hochschule Wismar/Nachlass U. Müther)
Vom Abrissobjekt zum Baudenkmal
Die Geschichte der Ostseemesse blieb schließlich eine kurze: 1975, keine zehn Jahre nach Fertigstellung der Messehalle, fand sie zum letzten Mal statt. Die DDR hatte mit ihr ebenfalls einen Durchbruch erreicht, allerdings auf dem Gebiet der internationalen Anerkennung. Das Messegelände verlor seine Funktion, die Messehalle wurde zeitweise als Autohaus genutzt. Nachdem ein geplanter Abriss im Jahr 2000 glücklicherweise nicht stattfand, erhielt das Gebäude im Jahr 2002 Denkmalstatus. Der Rostocker Denkmalpfleger Peter Writschan berichtet von Überlegungen, weitere bauliche Reste des Messegeländes unter Schutz zu stellen und bei der Ausarbeitung eines neuen Bebauungsplans für das Areal stärker auf dieses Erbe einzugehen. Die ehemalige Messehalle „Bauwesen und Erdöl“ selbst lässt seit Abschluss der Sanierungsarbeiten im Jahr 2022 wieder ihre ursprüngliche Gestaltung erkennen.

Rostock-Schutow, Messehalle, Sanierung, 2022 (Bild: Wilfried Dechau)
Bauphysikalisch neu gedacht
Die in Weiß bzw. Schwarz-Blau gehaltene Stahlkonstruktion der Fassade war zwischenzeitlich in einem einheitlichen Grau-Ton gestrichen worden. Dank historischer Fotos und Untersuchungen des Bestandes zur Bestimmung der Farbwerte konnte die historische Farbgebung aus dem Jahre 1966 rekonstruiert werden. Der stark beschädigte Sockel wurde aus eigens hierfür angefertigten Ziegeln im Originalmaß erneuert. Nachträglich eingefügte Einbauten wurden entfernt, um den Raumeindruck der etwa 700 Quadratmeter großen Halle wieder erlebbar zu machen.
Die substanzielle Sanierung sollte zugleich die energetische Qualität des Gebäudes verbessern, um die Ganzjahresnutzung als Fachgeschäft für Angelbedarf zu unterstützen. Das ursprünglich für den sommerlichen Messebetrieb konzipierte Gebäude musste bauphysikalisch-energetisch neu gedacht und, immer unter Berücksichtigung der Denkmalqualitäten, neu konstruiert werden. Die originalen Stahlpfosten der gestaltgebenden Pfosten-Riegel-Fassaden blieben in situ erhalten. Eine neu entwickelte Glasfassade mit Dreifach-Verglasung wurde als Ersatz für die vorherige Konstruktion von innen hinter die Stahlpfosten gesetzt. Aufgrund des geforderten Sonnenschutzes besitzt das neue Glas einen leichten farbigen Schimmer.

Rostock-Schutow, Messehalle Sanierung, 2022, Außenansicht (Bild: Wilfried Dechau)
Die Haustechnik aus dem Untergrund
Die integrale Haustechnikplanung ermöglicht es, das Gebäude auf einem der Bausubstanz zuträglichen Innenklima zu halten. Dazu wurde individuell für den großen Luftraum unter den Hyparschalen eine Kombination aus kontrollierter Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung, Fußbodenheizung und -kühlung konzipiert. Der massive Heizestrich und der Klinkerfußboden dienen dabei als Speichermasse. Die komplette Haustechnik brachten die Architekten in einem unterirdischen Haustechnikraum, dem sogenannten Groundcube, in Gebäudenähe unter. Die Energieerzeugung erfolgt über eine Erdwärmepumpenkaskade und einen Geo-Collect-Absorber. Anlässlich des 90. Jubiläums von Ulrich Müther widmeten das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern und das Müther-Archiv an der Hochschule Wismar eine Fachtagung der Sanierung der ehemaligen Messehalle in Rostock-Schutow. Das Projekt wurde 2023 mit dem Publikumspreis des Ingenieurpreises Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet und gilt als Vorzeigebeispiel für die Zusammenarbeit von Eigentümer, Planern und Denkmalpflege.

Rostock-Schutow, Grafik ca. 1966 (Scan: Müther-Archiv, Hochschule Wismar/Nachlass U. Müther)
Literatur
Boehme, Joe Gerrit u. a. (Bearb.), Ulrich Müther auf der Ostseemesse. Die denkmalgerechte Sanierung der Messehalle in Rostock-Schutow (Publikationen des Müther-Archivs 4), Wismar 2024.
Seeböck, Tanja, Schwünge in Beton. Die Schalenbauten von Ulrich Müther, Schwerin 2016.
Rodig, Uwe, Die Ostsee muss ein Meer des Friedens sein – die Ostseewochen im Bezirk Rostock (Archivalie des Monats), auf: kulturwerte-mv.de, Landesarchiv Greifswald, Juli 2009.
Sebert, Ulrike, „In dieser Woche war die Stadt eine andere“, in: Nordkurier, 18. September 2024.
Scheffler, Tanja, Dicht am Original, in: Bauwelt 2024, 10.
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Inhalt

LEITARTIKEL: Auf die Messe, fertig, los …
Jürgen Tietz über wiederkehrende Lust und Leid eines Messebesuchs.

FACHBEITRAG: Müthers Durchbruch auf der Ostseemesse
Dina Falbe über die Messehalle „Bauwesen und Erdöl“, die erste Hyparschalenkonstruktion von Ulrich Müther.

FACHBEITRAG: Hinter der historischen Hülle
Ira Scheibe über die Kölnmesse (1928) und ihre Umgestaltung in die Rheinhallen (2010).

FACHBEITRAG: Das kühle Dach der Nachwendezeit
Verena Pfeiffer-Kloss über den Weg der Messe Leipzig auf ihr neues Gelände.

PORTRÄT: Einzigartig und verloren
Matthias Ludwig über die gesperrte ZF-Arena Friedrichshafen.

INTERVIEW: Neu gefundene Sprachweisen von Architektur
Eckhard Gerber im Gespräch über die Neue Messe Karlsruhe (2003).

FOTOSTRECKE: Stuttgarter Ost-West-Beziehungen
Eine Bildertour durch die Messe Stuttgart (2007) und die jährlich dort stattfindende Oldtimermesse Retro Classics.