von Christoph Klanten (20/4)

Es muss knapp 30 Jahre her sein, als meine kleine Schwester beim Spielen den Zweikampf mit der Bürotür meines Vaters verlor. Seither hat ihre linke Augenbraue eine kleine Fehlstelle, genau dort, wo die Türkante einschlug. Nicht zuletzt dadurch werden wir bis heute an ein prägendes Ereignis unserer gemeinsamen Kindheit erinnert, das untrennbar mit der Sparkasse Bottrop verbunden ist: Das Drama trug sich in der Hauptstelle eben jenes Sparkassengebäudes zu, in dem mein Vater damals in der ersten Etage arbeitete.

Bottrop, Sparkasse, Blick aus dem sechsten Obergeschoss (Bild: Sparkasse Bottrop)

Freier Blick

Dem Gebäude am Bottroper Pferdemarkt, 1958 nach Entwürfen der Bürogemeinschaft des Düsseldorfer Architekten Hanns Dustmann mit dem Bottroper Kollegen Theo Althoff errichtet, konnte ich damals noch nicht besonders viel abgewinnen. Seine gestalterischen Qualitäten wurden mir erst viel später bewusst, was auch für die nähere Umgebung gilt. Neben der Sparkasse lassen hier mehrere Wohn- und Geschäftshäuser (trotz späterer Veränderungen) den Geist ihrer Entstehungszeit erkennen. Das Ensemble steht bis heute für den Wirtschaftswunder-Aufbruch der damals arg ramponierten Ruhrgebietsstadt. Die sieben Vollgeschosse der Sparkasse waren für das Bottrop der Nachkriegszeit eine Ansage – und für mich als Kind auch. Mein Vater zog irgendwann mit seinem Büro vom ersten Stock in die oberste Etage. Die ersten Besuche ganz oben im Sparkassengebäude waren durchaus beeindruckend: freier Blick über (fast) das ganze Ruhrgebiet. Da konnte man lange gedankenverloren am Fenster verharren und dem ameisengroßen Treiben auf dem Vorplatz zusehen.

Gegenüber der Sparkasse stand übrigens ein “Wasserschlösschen” (mit einem typischen Ruhrgebiets-Kiosk), das zur gleichen Zeit wie die Sparkasse fertiggestellt wurde – mit ebenfalls auskragenden Vordächern, halbrund geschwungen und mit Mosaikfassaden. Bei der Neugestaltung der Fußgängerzone wurde der Bau vor knapp 20 Jahren durch einen Glaspavillon ersetzt, in den dann eine Café-Kette einzog. Aus der Perspektive eines Heranwachsenden habe ich das begrüßt: Endlich mal ein halbwegs cooles Café in Bottrop. Heute vermisse ich das “Wasserschlösschen”, war das ehemalige Vis-à-vis der beiden 1950er-Jahre-Gebäude doch durchaus stadtbildprägend.

Bottrop, Sparkasse, aktuelle Ansicht (Bild: Sparkasse Bottrop)

Irgendwie schade

Auch die Veränderungen und Brüche gehören zu “meiner” Sparkasse und ihrem Umfeld – die zeittypische Rasterfassade allerdings ist ab dem ersten Obergeschoss weitgehend original erhalten. Die gestalterische Qualität hat sich mir nur nach und nach erschlossen. Den subtilen Wechsel zweier Granitarten unterhalb der Fenster beispielsweise bemerkte ich tatsächlich erst als Erwachsener. Und dabei kam ich hier über viele Jahre auch auf dem Weg zur Schule vorbei. Was mir hingegen schon als Kind gefiel, waren die bunten Bleiglasfensterchen im Treppenhaus auf der Rückseite des Gebäudes. Diese gingen leider vor wenigen Jahren bei einer Renovierung verloren.

Überhaupt wundert man sich, wie sehr sich ein Gebäude im Laufe der Zeit verändert, obwohl es eigentlich “immer schon so aussah”. Lange verschwunden sind das einstmals grazil auskragende Vordach und die Schaufenster mit Übereckverglasungen im Erdgeschoss. In der Schalterhalle führt eine Treppe in einen offenen Kellerraum mit Schließfächern. An den Rändern der Treppe standen damals noch Hydrokulturen, die trotz des Büroklimas erstaunlich opulent aussahen. Die Teppiche in den Büros waren ganz neu, hellgrau. Ihr Flor schimmerte je nach Lichteinfall und Faserrichtung, sodass man Muster in den Teppich malen konnte.

Bottrop, Sparkasse, Oberlicht von 1994/95 in der Schalterhalle (Bild: Sparkasse Bottrop)

Klein Louvre

Die ursprüngliche Deckenverkleidung der Schalterhalle und die sog. Rheinlandkuppeln aus Plexiglas waren in meiner Kindheit schon nicht mehr vorhanden. Neu war hingegen (seit einer großen Renovierung in den 1990er Jahre) die Glaspyramide in der Decke der Schalterhalle. Damals erschien sie mir spektakulär, eine architektonische Delikatesse. Irgendwie erinnerte sie mich an große Kaufhäuser – sie gab der Schalterhalle etwas Großstädtisches, sozusagen die Bottroper Interpretation der Pyramide vor dem Pariser Louvre.

Vor rund zehn Jahren erfolgte eine letzte umfassende Renovierung der Bottroper Sparkasse, die sich vor allem auf das Innere erstreckte. Nun kehrte viel von der ursprünglichen Luftigkeit zurück, die man bei vorherigen Maßnahmen für eingezogene Zwischendecken geopfert hatte. Mein Vater verlor während dieser Bauphase übrigens einmal kurzzeitig die Fassung: Ein erboster Kunde hatte sich in der Kommentarspalte der lokalen Tageszeitung beschwert, wie man “sein Geld” für einen frischen Anstrich des Foyers verschwenden könne. Geblieben ist (neben der ursprünglichen Fassade) der markante rote Sparkassen-Schriftzug auf dem Dach. Das sich drehende “S”, eine weithin sichtbare Landmarke, schien mir – aus kindlicher Sicht – ebenfalls spektakulär.

Bottrop, Sparkasse, heute verlorene Treppenhausverglasung (Bild/Titelmotiv: Wilfried Feck, Sparkasse Bottrop)

Was bleibt?

Mein Vater wird in zwei Jahren in den Ruhestand gehen – eine Vorstellung, an die auch ich mich erst gewöhnen muss. Auch zahlreiche seiner Kollegen (in meiner Erinnerung alle noch “irgendwie jung”) sind mittlerweile in Altersteilzeit. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Das ist erstens ziemlich abgedroschen und gilt zweitens nicht nur für Sparkassengebäude. Aber vielleicht teilt ja inzwischen jemand meine Meinung, dass es irgendwie schade ist um die verlorenen farbigen Treppenhausfenster.



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