Je weniger man selbst etwas kann, desto größer ist die Bewunderung für diejenigen, die es können – und lieben. So auch bei der gestrigen Foto-Tour mit Gregor Zoyzoyla. Für das perfekte Bild des Altarblocks nimmt er schon einmal den davor aufgestellten Gekreuzigten in die Umarmung. Richtig so, haben doch die Bauten des Architekten Friedhelm Grundmann alle Zuwendung verdient. Denn bis 1969 machte er (gemeinsam mit Otto Sandtmann) aus dem Inneren der kriegszerstörten Hauptkirche St. Trinitatis in Altona einen modernen White Cube. In diesen Gemeinschaftsraum stellte der Freiburger Künstler Peter Dreher ein- und ausschwingende rote Holzeinbauten und zarte Prinzipalien. Und eben jene hatten es dem Fotografen besonders angetan.
Wie aus dem Lehrbuch für Betonliebhaber: Student kuschelt Kunststein (Bild: beton-campus.de)
Damit folgt Gregor Zoyzoyla einem aktuellen Trend: Da wird die Verfasserin beim öffentlich-rechtlichen TV-Interview in der Kirchbau-Inkunabel gefragt: Möchten Sie nicht einmal sanft über den brutalistischen Baukörper streichen? (Nö, anfassen kostet extra.) Für Vierbeiner kann man ein stylishes Beton-Bett erwerben (notfalls mit Flausch-Einlage). Selbst Studierende reiben im Urlaub freiwillig ihre Wange am grauen Kunststein – um einen Fotowettbewerb der Beton-Industrie zu gewinnen. In ernsthafteren Zusammenhängen werden ähnlich libidinöse Phänomene gar als “Housefucking” diskutiert. Bei der Internetrecherche besser nicht zu verwechseln mit “Archlicking”, das verstopft nur den Newsfeed mit fußorientierten Angeboten zweideutiger Art.
Erste Kostprobe: Hamburg, U-Bahnhof “Lübecker Straße” (Grundmann/Sandtmann, 1961) (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Gute Architektur gibt eben ein gutes Gefühl. So dürfen wir uns von moderneREGIONAL schon auf hoffentlich viele Fototouren mit Zoyzoyla freuen. Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Frank Schmitz von der Uni Hamburg bahnen wir aktuell eine Ausstellung über zwei Baugattungen an, wie sie widersprüchlicher nicht sein könnten: U-Bahn- und Kirchenbauten, mit denen Friedhelm Grundmann seine Wahlheimatstadt Hamburg über fünf Jahrzehnte ober- und unterhalb der Erde prägte. Und viele dieser Architekturen werden gerade alles andere als sanft behandelt. Da werden Gottesdiensträume weggespart und U-Bahnstationen vandaloproof überformt. In diesem Sinne: Make love, not Sanierung! (21.10.19)
Praktische Übungen ohne Beton: Gruppenfoto – Daniel Bartetzko, Karin Berkemann, Frank Schmitz und Gregor Zoyzoyla – im Hamburger Untergrund (Bild: Gregor Zoyzoyla)
Titelmotiv: Hamburg-Altona, Hauptkirche St. Trinitatis, der Fotograf Gregor Zoyzoyla bei der Arbeit (Bild: Daniel Bartetzko)