mit Grafiken von Felix Matschke (25/4)
Schon der Expressionismus liebte es, Teller und Wände mit der Sprühpistole zu verzieren. Mit der Airbrush-Technik ließen sich rasch und effektvoll Farbübergänge gestalten und Emotionen hervorlocken. Für moderneREGIONAL hat der Illustrator Felix Matschke diese Tradition ins Digitale übersetzt, und sich damit auf die Spur der großen Kirchen und Filmpaläste der 1920er und frühen 1930er Jahre begeben. (Texte: Karin Berkemann)
Böse Zungen behaupten ja, dass die Parabel von alle jenen zaudernden Architekt:innen erfunden wurde, die sich zwischen dem traditionellen Spitzbogen und der geraden Bauhauskante nicht entscheiden konnten. Doch kaum einer hat diesen Kompromiss so kunstvoll in Szene gesetzt wie der große Kirchenbauer Dominikus Böhm. Als er 1932 St. Engelbert in Köln-Riehl auf ein Treppenpodest setzte, verband er gleich noch das Beste aus zentralisierenden und gerichteten Raumkonzepten. Dass diese Inkunabel heute meist kurz unter „Zitronenpresse“ verhandelt wird? Geschenkt.

Köln-Riehl, St. Engelbert (Grafik: Felix Matschke, 2025)

Berlin, Universum-Kino (Grafik: Felix Matschke, 2025)
Ob das noch Expressionismus ist, oder nicht doch schon Neue Sachlichkeit. Wer mag da streiten, denn ein Erich Mendelsohn steht über solchen Kleinlichkeiten. Das 1928 als Universum eingeweihte – und danach noch viele Namen tragende – Kino zeigte nur drei kurze Jahre Filme. Seitdem dient der Bau am Lehniner Platz in Berlin als Bühne für ganz unterschiedliche Musik- und Textformate. Auch die Mendelsohn-Fassade wurde bis 1981 umfassend wiederhergestellt. Geblieben sind die dynamischen Stromlinien-Formen, als könnte der Bau von jetzt auf gleich in See stechen.
Ein Stück Asien, viel Gotik und eine Prise Filmflitter – und fertig ist eine beeindruckende Kirche. So zumindest hielten es die Architekten Ernst und Günther Paulus 1929 bei der Kreuzkirche in Berlin-Schmargendorf. Zuerst durchschreitet man ein Portal mit Pagodendach, reich geschmückt mit blau glasierten Formen und Figuren. Und nach einem langen dunklen Gang öffnet sich schließlich der weite Kirchenraum mit azurblauen Bänken. Die Farben der Altarwand schließlich wurden, es gibt ja keine Zufälle, in Airbrushoptik aufgetragen.

Berlin-Schmargendorf, Kreuzkirche (Grafik: Felix Matschke, 2025)

Breslau/Wrocław, Deli-Lichtspiele (Grafik: Felix Matschke, 2025)
Es könnte ein Heiligenschein sein, wenn es kein Kino wäre: Mit den Deli-Lichtspielen in Breslau, inzwischen leider zerstört, gelang Hans Poelzig 1926 ein Meisterstück. Hatte man sich über die geschwungenen Treppen bis zu den Rängen emporgearbeitet, war der Sternenhimmel zum greifen nah. In mehreren Ringen verdichten sich die Deckenleuchten zur hell überstrahlten Mitte hin. Darunter trägt selbst das Orgelgitter ein rhythmisches Sternenmuster.
Der Maurermeister Carl Rabitz war ein Freund des begrünten Flachdachs, zumindest hielt er das Patent dafür. Mit diversen Erfindungen, die leicht und günstig Putz und Drahtgeflechte an Wand und Decke brachten, erlangte er nicht nur Geld. 1887 verlieh man ihm sogar den Ehrentitel des Königlichen Hof-Maurermeisters. Seine wahren Verdienste dürften darin liegen, vielen bemerkenswerten Bauten das nötige Maß an Leichtigkeit verschafft zu haben. Auch Dominikus Böhm griff für St. Johann Baptist in Neu-Ulm 1927 zu einem Rabitz-Kniff. Wie anders wäre dieses wundervolle, jede „echte“ Gotik übertrumpfende Netzgewölbe zu erklären, das über dem Schiff zu schweben scheint.

Neu-Ulm, St. Johann Baptist (Grafik: Felix Matschke, 2025)

„Der Golem, wie er in die Welt kam“, Filmkulisse (Grafik: Felix Matschke, 2025)
Als wäre beim Töpferkurs auf Lanzarote alles, aber auch wirklich alles schiefgegangen … Tatsächlich dreht sich der Stummfilm-Klassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“ 1920 um einen Klumpen Lehm. Daraus wird mit etwas Magie der Golem, der beschützen soll und dann doch tragisch endete. Für die Filmkulisse schufen Hans Poelzig und Kurt Richter amorphe Welten, die vertraute Versatzstücke aus Architektur und Einrichtung mit verschlungenen Alptraumgebilden mischen.
Die meisten aktuellen Fotografien der Kirche am Hohenzollernplatz, die Ossip Klarwein und Fritz Höger 1933 gestalteten, leben von der Farbe. Denn fast 30 Jahre nach der Einweihung fügte der Künstler Achim Freyer neue Fenster hinzu, deren Widerschein jeden Regebogen blass aussehen lässt. Doch der Grafiker Felix Matschke taucht das Kirchenschiff für moderneREGIONAL nun ganz in ein ruhiges Blau – und verhilft der fulminanten Architektur damit wieder zu ihrem Recht.

Berlin, Kirche am Hohenzollernplatz (Grafik: Felix Matschke, 2025)

Berlin, Großes Schauspielhaus (Grafik: Felix Matschke, 2025)
Nicht umsonst war Kino lange gleichbedeutend mit Filmtheater. Die ersten, die seriösen Vorbilder für die Lichtspielhäuser lagen eben beim Schauspiel. So dürfte es kein Zufall sein, dass Hans Poelzig für Kinobauten viele der Motive und Strukturen nutzte, die er bereits 1919 mit seiner Frau Marlene Moeschke-Poelzig beim Großen Schauspielhaus in Berlin erprobt hatte. Deshalb durfte sich diese schönste aller Tropfsteinhöhlen hier in Matschkes Kino-Kirchen-Bilderstrecke einreihen. Ausnahmsweise.
Download
Inhalt

LEITARTKEL: Lichtspiele
Klaus-Martin Bresgott über Kirche und Kino im Expressionismus.

FACHBEITRAG: Filmwürdig
Konstantin Manthey über Berliner Kirchen, wie sie die Ufa nicht schöner hätte bauen können.

FACHBEITRAG: Mehr als „ein viereckiges Stück Leinwand“
Manuela Klauser über Dominikus Böhm, den Stummfilm und eine Kirche in Neu-Ulm.

FACHBEITRAG: Kulissenräume
Markus Dauß über Lichtspiele und Raumkulissen im Film und Kinobau des Expressionismus.

PORTRÄT: Der begehbare Projektor
Karin Berkemann über die Infrastruktur der Lichtspielhäuser, die sich von den Kirchen gar nicht so sehr unterscheidet.

INTERVIEW: „Mit diesen schiefen Winkeln“
Dietmar Adler über Kino auf Zeit in Kirchen für die Ewigkeit.

BILDERSTRECKE: Im Sprühnebel
Felix Matschke im Stil und zu Motiven der expressionistischen Lichtarchitekturen.

