Burkhard Wollny im Gespräch über seine DDR-Touren in den 1970er/80er Jahren (24/4)

Vor 60 Jahren begann Burkhard Wollny (*1950), geboren in Berlin und aufgewachsen in Stuttgart, Eisenbahnen zu fotografieren. Für den gerade 14-Jährigen waren Dampflokomotiven die bevorzugten Motive. In Westdeutschland hatte man ihr Ende bereits eingeläutet, die Zukunft der Schiene sollte elektrisch sein. Anfang der 1970er Jahre gab es im Bereich der Deutschen Bundesbahn (DB) schließlich kaum noch Dampfloks. Doch da war noch der zweite deutsche Staat: Auf dem Gebiet der DDR, in der die staatliche Eisenbahn noch immer Deutsche Reichsbahn (DR) hieß, zählten Dampflokomotiven bis weit in die 1980er Jahre zum Fuhrpark. Der letzte planmäßige Dampf-Einsatz war am 29. Oktober 1988 (!) zwischen Magdeburg und Halberstadt. Wenn man sich also auf die erfolgreiche Suche nach den Dampfrössern der Baureihe 01, der DDR-Baureihe 65.10 (von 1954 bis 1957 in Babelsberg produziert) oder der während des Zweiten Weltkriegs gebauten Baureihe 52 begeben wollte, tat man dies am besten auf dem Gebiet der DDR. Und bis Ende der 1970er in West-Berlin – dort, wo die Gleisanlagen von der DR befahren wurden.

So wurde Burkhard Wollny in den 1970er und 1980er Jahren ein häufiger Gast in der Deutschen Demokratischen Republik, ausgestattet mit einem West-Berliner „Behelfs-Ausweis“, der nach dem Berlin-Abkommen von 1971 mit Tagesvisa die Einreise in die DDR problemlos ermöglichte. Und mit einer „Praktica“-Spiegelreflexkamera aus DDR-Produktion. Sie machte den höflichen jungen Mann, der immer wieder mit Auto und Kamera-Ausrüstung einreiste, trotzdem nicht unverdächtiger: Die Stasi nahm ihn irgendwann ins Visier. Bis sie um 1980 merkte, dass er offenbar wirklich harmlos ist: „Der direkte Nachweis einer Feindtätigkeit konnte nicht erbracht werden“, steht in den Akten zu Burkhard Wollny. Im Buch „Geheimsache Reichsbahndampf: Die Stasi-Akte ,Fotograf’“ sind seine Erlebnisse dokumentiert. 2022/23 zeigte das Deutsche Technikmuseum Berlin 57 seiner DDR-Fotografien in der Sonderschau „Alltag an Schienen“. Burkhard Wollny ist übrigens gelernter Bankkaufmann und arbeitet als Unternehmensberater. Mit moderneREGIONAL sprach er über Rechts-Links-Abbiegemanöver, das Schicksal der schnellen Abwicklung und über deutsch-deutsche Geschichte.

Berlin, Station Griebnitzsee, 1998 (Bild: Burkhard Wollny)

moderneREGIONAL: Mitte der 1970er reisten Sie erstmals in die DDR, und Züge zu fotografieren. Wie entstand diese Idee?

Burkhard Wollny: Ich fotografiere die Eisenbahn seit 1964 und habe Jahre später die DDR besucht, weil dort mehr Dampfloks im Einsatz waren. In Westdeutschland wurden sie ja ab den späten 1960er Jahren immer schneller ausgemustert. Meine Freunde aus Berlin gaben mir Hinweise, wo in der DDR noch hauptsächlich Dampfloks fuhren.

mR: Sie haben sich extra einen West-Berliner „Behelfsausweis“ besorgt. Was hatte das für Gründe – haben Sie tatsächlich in Berlin gelebt, oder ging es auch da vor allem ums Fotografieren?

BW: Den Behelfsausweis haben Freunde für mich besorgt. Mit ihm konnte ich problemlos und vor allem ohne Visum in die DDR einreisen, sodass ich die Züge fotografieren konnte.

West-Berlin, DR-Lok der Baureihe 01 am Bahnhof Savignyplatz, 31. Juli 1974 (Bild: Burkhard Wollny)

mR: Interessierten Sie auch die Gebäude der DDR-Reichsbahn oder waren eher die Dampfloks und generell die Züge Ihre Motive? Waren Kontakte zu den Mitarbeitern der DR möglich oder war das riskant?

BW: Meine Motive waren immer die Züge mit Dampfloks, die Gebäude dienten nur als Hintergrund meiner Fotos. Die Unterschiede in den Bahnanlagen wurden erst im Lauf der Zeit größer, als im Westen die Bauten der beendeten Dampflok-Ära abgerissen oder umgebaut wurden. Im Umgang mit den DDR-Bürgern war ich stets freundlich und vorsichtig. Später hatte ich dann viele nette Kontakte zu Eisenbahnern im Erzgebirge, vor allem in dieser Gegend waren die Einreise und auch das Fotografieren völlig problemlos. Die große Fotoausrüstung weckte nie Argwohn.

mR: Nach einiger Zeit gerieten Sie trotzdem ins Visier der Stasi. Was war der Verdacht – und wie haben die DDR-Behörden gemerkt, dass Sie offenbar kein Agent sind? Oder haben sie es niemals realisiert?

BW: Mit der Zeit merkte ich selbst, dass die Stasi mich überwachte; wohl, da ich so oft in die DDR einreiste. Im Erzgebirge waren wir fast ungestört, in der Region Saalfeld wurde es dann mitunter kritisch. Ständig hatten wir Verfolger in beigen Wartburgs hinter uns. Manchmal haben wir sie mit kleinen Tricks abgeschüttelt – etwa links geblinkt, rechts abgebogen – das reichte mitunter. Mein Auto wurde auch ständig an der Grenze durchsucht. Die Grenzer fanden jedoch nichts. Ich war immer sehr nett zu ihnen und wirkte auf Dauer offenbar doch sehr harmlos. Ab etwa 1980 hatten wir dann kein „Begleitpersonal“ mehr.

Ost-Berlin, DR-Lok der Baureihe 01 im Bahnhof Warschauer Straße, 1978 (Bild: Burkhard Wollny)

mR: War Ihnen damals bewusst, dass sie als Westdeutscher DDR-Geschichte dokumentieren?

BW: Damals dachte ich nicht, dass ich als Westdeutscher DDR-Geschichte schreiben würde. Zunächst waren für mich die Fahrzeuge im Einsatz interessant. Und auch die Erlebnisse mit der Stasi gehörten damals ja eher zum Alltag.

mR: Wie empfanden Sie die Jahre ab 1989? Ahnten Sie, dass das in die Jahre gekommene Reichsbahnnetz inklusive seiner Bahngebäude sehr bald verschwinden oder total umgestaltet wird?

BW: Ja, es war meiner Meinung nach zu erwarten, dass sich nach dem Mauerfall auch in der DDR vieles verändern würde. Ich habe allerdings nicht geahnt, dass das Reichsbahnnetz derart schnell verschwinden würde. Ich finde es auch schade, dass es manche historischen Bauwerke, die bis zum offiziellen Ende der DR 1993 überlebt haben, heute nicht mehr gibt.

Die Fragen stellte Daniel Bartetzko.

Burkhard Wollny, 2022 (Bild: Liudmila Wollny)

Der 1846 eröffnete Bahnhof Hagenow Land mit einer Diesellok der Baureihe 202, 1983 (Bild: Burkhard Wollny)

Titelbild: Ruppersdorf (Oberlausitz), Schrankenwärter vor einer rekonstruierten Kriegslok der Baureihe 52, ca. 1980 (Bild: Burkhard Wollny)


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Keine Werbung (Bild: Dennis Skley, CC BY ND 2.0, 2015, via flickr.com)

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