Peter Cachola Schmal im Gespräch über den Meister des Quadrats (25/3)
Ein wenig Kreis, mehr Dreieck und vor allem: Quadrat, Quadrat, Quadrat. Der Formenkanon, auf den sich Oswald Mathias Ungers (1926–2007) in geradezu schmerzhafter Konsequenz zurückzog, ist mit „puristisch“ noch vorsichtig beschrieben. „OMU“ baute nach einem Ordnungsprinzip aus Grundbauformen, dem Typus des Gebäudes gab er dabei auch Vorrang vor der Funktion. Das Studium der Architektur absolvierte er von 1947 bis 1950 bei Egon Eiermann, einem weiteren Meister der architektonischen Ordnung. Die Grundstruktur und letztlich auch der heilige Ernst, mit dem Ungers baute, orientiert sich an Karl Friedrich Schinkel oder Andrea Palladio. Doch so kompromisslos wie er reduzierten selbst die großen historischen Vorbilder ihre Formensprache nicht.

Reduzierter Kunsttempel der Neunziger: Kunsthalle Hamburg, Galerie der Gegenwart, OMU 1993–1996 (Bild: Razvan Orendovici, via Wikimedia Commons, CC BY 2.0)
Das 1984 eröffnete Deutsche Architekturmuseum Frankfurt (DAM) ist ein lupenreiner Ungers: Es ist ein Museum für das Haus an sich – sinnfällig dargestellt durch das „Haus im Haus“ im dritten Obergeschoss. Die Nutzbarkeit des Gebäudes ist einerseits katastrophal, andererseits war dieser Bau als Denkmal seiner selbst zu erwarten, als man Ungers als Architekten auswählte. DAM-Gründungsdirektor Heinrich Klotz beauftragte bei ihm sogar die mutmaßlich unbequemsten Stühle der Welt für das Auditorium (über die sich C. Julius Reinsberg für moderneREGIONAL schon einmal mit dem ehemaligen stellvertretenden DAM-Direktor Wolfgang Voigt unterhielt). Sie sind als Teil des Gesamtkunstwerks unverzichtbar.

Reinster Ungers’scher Purismus, 1979–1984 in eine entkernte Gründerzeitvilla implantiert: das Deutsche Architekturmuseum am Museumsufer Frankfurt/Main (Bild: Epizentrum, CC BY SA 4.0)
Seit 2006 ist Peter Cachola Schmal (*1960) Direktor des DAM, in dem er zuvor ab 2000 als Kurator arbeitete. Von 2021 bis Mitte 2025 bezog er mit dem Museum ein Interimsquartier, da das in die Mauern einer entkernten Gründerzeit-Villa gesetzte Ungers-Gebäude saniert werden musste. Seit Sommer ist es fertig – und sieht genauso aus wie zuvor. Genau das war auch das Ziel der Arbeiten am Haus-Denkmal-Haus. So lange wie er arbeitete kein Direktor zuvor in und mit diesem Bau, und so wollte moderneREGIONAL wollte von Peter Cachola Schmal wissen, ob 25 Jahre im Ungers-Kosmos womöglich mentale Spuren hinterlassen.

Den rechten Winkel seit einem Vierteljahrhundert im Blick: Peter Cachola Schmal (Bild: Daniel Bartetzko, 2025)
Daniel Bartetzko: Die Eckigkeit ist ein vor allem in den 1980ern populäres Phänomen. Oswald Mathias Ungers selbst hatte Quadrat und Dreieck aber schon vorher zum Programm erhoben. Ist das DAM-Gebäude nun ein Kind seiner Zeit oder geht sein Entwurf darüber hinaus?
Peter Cachola Schmal: Selbstverständlich ist das DAM ein Kind seiner Zeit. Wir sind immer dem Zeitgeist unterworfen, bewusst oder unbewusst. Das Haus hat sehr starke skulpturale Qualitäten, wie man jetzt, nach der Sanierung, noch besser erleben kann, und die bleiben. Man erkennt Qualität oft erst nach Jahren, wie bei Filmen. Manche, wie „Der Pate“ oder „Taxi Driver“ bleiben starke kräftige Aussagen, andere wirken fad, substanzlos oder eben zeitgeistig, aber heute nichtssagend. Das Gleiche gilt auch für die Architektur.

Alles frisch – wie 1984: Das Haus im Haus im Mai 2025 nach der Sanierung (Bild: Moritz Bernoully)
DB: Nach mittlerweile 25 Jahren im DAM: Macht die ewig neue Auseinandersetzung mit dem schwierig zu bespielenden Bau nicht irgendwann müde?
PCS: Gerade waren wir vier Jahre mit ganz anderen räumlichen Herausforderungen konfrontiert, von den spannenden provisorischen Loft-Räumen im ehemaligen Neckermann-Bau bis hin zur rustikalen Scheune im Hessenpark, oder dem chaotischen öffentlichen Raum in Frankfurt. Nun also wieder im DAM. An der aktuellen Filipino-Ausstellung Sulog im 3. OG neben dem Haus im Haus sieht man, wie der amerikanische Architekt Edson Cabalfin sich von Ungers hat beeindrucken lassen mit seinem 3D-Holz Grid. Das passt gut. Das DAM hat spannende Räume und sie sind alle anders, das introvertierte 1. OG verlangt andere Antworten als das lichte EG mit seinen neuen Gärten, die wir gerade in die Höfchen pflanzen. Die Dauerausstellung im 2. OG wird Anfang nächstes Jahr umgestaltet werden und eher an 1984 erinnern, an die Zeit vor ihrer Einrichtung.

Den gewürfelten Ungers adaptieren: Die aktuelle Ausstellung „Sulog – Phillipinische Architektur im Spannungsfeld“, bis 18. Januar 2026 im DAM (Bild: Moritz Bernoully)
DB: Würde das Architekturmuseum auch in einem organisch gestalteten Gebäude funktionieren, beziehungsweise würden die Ausstellungen anders aussehen?
PCS: Klar. Die Bauten prägen uns, wie Winston Churchill schon richtig sagte. Es wäre ein anderes Architekturmuseum und hätte andere Austellungen. Es gibt nur wenige custom-built Architekturmuseen auf der Welt, das new institute in Rotterdam von Jo Coenen, das Blox in Kopenhagen von OMA, das kleine norwegische von Sverre Fehn sind einige Beispiele. Das DAM war das erste dieser Art.

Von OMU zu OMA, die custom-built Idee bleibt die gleiche: Blox Kopenhagen (2016), Sitz des Dansk Arkitektur Center/Danish Design Centre (Bild: Leif Joergensen, CC BY SA 4.0)
DB: Auch der Dekonstruktivismus stellt die Nutzer der Gebäude vor hohe Ansprüche und propagiert die Architektur als Kunstwerk. Trotz diesen Gemeinsamkeiten: Ist er im Aufbrechen von Ordnung vielleicht sogar das Gegenteil von Ungers‘ streng strukturierter Arbeit?
PCS: Der Dekonstruktivismus war sehr kurzlebig und nicht sehr beliebt bei seinen Nutzern. Die Feuerwache von Zaha Hadid auf dem Vitra Campus zum Beispiel wurde von ihren Nutzern abgelehnt und ist heute ein Stuhlmuseum, es gibt also kaum regelmäßige Nutzer, außer den Aufsichten. Die dürften es hassen, weil einem körperlich schwindlig wird von den leicht schrägen Treppen und Ebenen, die den Gleichgewichtssinn unterlaufen. Wir lehnen alle Arten von Unordnung ab, die unsere Wahrnehmungen verstören. Ungers verweist dagegen auf jahrhundertealte visuelle Muster. Wir laufen im rechten Winkel durch die Welt, wegen der Erdanziehungskraft. Lotrecht und waagerecht, wie das Wasser, sind die Naturgesetze auf unserem Planeten. Die römischen Achsen cardo (Nord-Süd) und decumanus (Ost-West) verliefen rechtwinklig und waren die Grundlage aller römischer Bebauungen, die chinesischen Städte (Feng Shui) waren ebenfalls streng nach Himmelsrichtungen angeordnet. So versuchten wir mit dem Universum in Einklang zu stehen.

2021 zu Gottfried Böhms 100. Geburtstag: Das DAM-Auditorium wird zum Mariendom Neviges – so lange, bis man sich hinsetzt (Bild: Moritz Bernoully)
DB: Das Wichtigste zum Schluss: Es läuft „Ben Hur“ im Kino – 212 Minuten Film lieber auf einem Ungers-Stuhl aus dem DAM-Auditorium oder in einem Eames-Chair verbringen?
PCS: Haha. Die Antwort ist klar. Wir stehen zwar lotrecht, aber das Sitzen ist an sich unnatürlich laut Physiotherapeuten. Also lieber auf einem Sofa herumliegen, arabisch ṣuffa für eine gepolsterte Bank, oder eben auf einem Eames Chair loungen. Doch das Loungen war bestimmt kein erstrebenswerter Zustand für OMU.
Die Fragen stellte Daniel Bartetzko.

Das Loungen war nicht Ungers Intention – manchmal gibt es aber Grund dafür: DAM am Tag der Wiedereröffnung 2025, kurz vor dem Abendprogramm mit Musik und Tanz (Bild: Daniel Bartetzko, 2025)
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Inhalt

LEITARTIKEL: Die Ecke und ihre Schwester
Cordula Schulze über eine ordnungschaffende Denkform in verwirrenden Zeiten.

FACHBEITRAG: James Bond in Südwestdeutschland
Uwe Bresan über den zuletzt aus der Zeit gefallenen „Architektur-Rastelli“ Chen Kuen Lee.

FACHBEITRAG: Das Haus als Manifest
Daniel Bartetzko über das Lebensprojekt des Architektur-Aufbrechers Günther Domenig.

FACHBEITRAG: Egal wohin, Hauptsache voran!
Till Schauen über Glanz und Elend der Kante im Automobildesign.

PORTRÄT: Arcoroc Octime
Karin Berkemann über einen achteckigen Designklassiker, der nie einer sein wollte.

INTERVIEW: „Mit dem Universum in Einklang“
Peter Cachola Schmal über Wohl und Wehe eines Museumsbaus, der vom Meister des Quadrats geschaffen wurde.

FOTOSTRECKE: Kirchenelemente
Gregor Zoyzoyla und sein fotografischer Blick auf die kantige Kirche der römisch-katholischen Hochschulgemeinde Köln.

