Dietmar Adler über Kirche und Kinos (25/4)

Als Dietmar Adler seine Pfarrstelle im niedersächsischen Bad Münder antrat, war er positiv überrascht: Das Städtchen hatte ein Kino. Doch leider hing an dessen Tür das Schild „Betriebsferien“ – auch noch nach Monaten, denn das Lichtspielhaus war eigentlich schon seit Jahren geschlossen. Als sich dann vor Ort eine Initiative bildete, um Filme an unterschiedlichen Orten zu zeigen, war Adler natürlich mit dabei. Seitdem, seit rund 25 Jahren, präsentiert er in den Gemeinderäumen einmal im Monat die ganze Palette vom Blockbuster bis zum Arthouse-Streifen. Doch am liebsten sind ihm die Stummfilm-Klassiker, wenn sie in seiner winterdunklen Kirche über die Leinwand flackern. moderneREGIONAL sprach mit dem evangelischen Theologen und bekennenden Cineasten über expressionistische Kulissen, improvisierte Orgelbegleitung und offene Wünsche.

Horst von Harbou, Filmset zu "Metropolis", 1926 (Bild: PD, via Wikimedia Commons)

Horst von Harbou, Filmset-Fotografie zu „Metropolis“ (Fritz Lang, 1927) in Babelsberg (Bild: PD, via Wikimedia Commons, 1926)

Wider die Symmetrie

„Wenn ich ins Kino gehe, lerne ich etwas über Menschen“, dessen war sich Dietmar Adler schon früh sicher. Das taugt nicht nur zur Unterhaltung, sondern zahlt sich auch bei der Predigt aus. Als Adler in seiner Kirche zusätzlich mit der Filmarbeit startete, meldete sich der Bautzener Domorganist Michael Vetter, der früher in der Gemeinde gearbeitet hatte. Auf Festivals begleite er Stummfilme, ob so etwas nicht auch eine Idee für Bad Münder sei. Das war es, und ist es seit gut 20 Jahren. Seitdem improvisiert Vetter zu Klassikern auf der Kirchenorgel – mal ganz frei, mal mit Anklängen an bekannte Melodien, aber immer ohne Partitur. Adler schätzt diese „expressionistische Begleitungen zu diesen oftmals expressionistischen Filmen“.

Die Stummfilm-Abende im November verändern auch die Kirche: Sobald die Leinwand aufgebaut ist, verdeckt sie den Altar und das Kreuz. „Das macht etwas mit uns, das macht aber auch etwas mit dem Raum“, betont Adler. Selbst wenn draußen nur noch die Straßenlaternen leuchten, ganz dunkel ist es der Kirche nie. Sie stammt aus dem Jahr 1840, als der Klassizismus gerade, symmetrische, nach vorne gerichtete Räume hervorbrachte. Auf dieses Konzept trifft ein Film, der 80 Jahre später einem anderen Geist folgte: „expressionistisch, mit diesen schiefen Wänden und diesen Wegen, die sich so gar nicht der Symmetrie fügen wollen“. Von dieser besonderen Spannung leben die November-Termine.

Nosferatu-Aufführung mit Musikbegleitung (Bild: Fanny Arnaudin, CC BY SA 3.0, 2011)

Vorführung des Stummfilm-Klassikers „Nosferatu“ (1922, Friedrich Wilhelm Murnau) mit Musikbegleitung (Bild: Fanny Arnaudin, CC BY SA 3.0, 2011)

Der Raum ist danach ein anderer

Bei der Auswahl für die Stummfilm-Abende ist man in Bad Münder offen. „Der müde Tod“ (1921, Fritz Lang), „Faust“ (Friedrich Wilhelm Murnau, 1926), „Metropolis“ (Fritz Lang, 1927) oder „Golem“ (1920, Paul Wegener und Carl Boese), all das wurde in der Kirche schon gezeigt. Auch das Grusel-Genre war vertreten, mit „Nosferatu“ (1922, Friedrich Wilhelm Murnau) sogar gleich zweimal. Immerhin sei es „der großartigste Dracula-Film, den man sich vorstellen kann“, schwärmt Adler. Aber auch jüngere Werke wie „E. T.“ (1982, Steven Spielberg) kommen doppelt zu ihrem Recht. Konfirmand:innen-Eltern brachten ihre Kinder mit, um ihnen einen Helden der eigenen Jugend vorzustellen. Verbessert hat sich vor allem die technische Seite. Wo am Anfang 16-Millimeter-Filme Spule für Spule gewechselt werden mussten, kommt jetzt Digitales zum Zug. Zwar entspreche das der Intentionen der Filmschaffenden, doch Adler fehlt gelegentlich der analoge Reiz – „das hatte sehr viel mehr an Materialität“.

In einem zweiten Format kombiniert Adler regelmäßig zwei scheinbar fremde Partner: Gottesdienst und Kino. Dieses Mal steht die Leinwand leicht schräg, damit der Altar und (bei Bedarf) auch der Weihnachtsbaum sichtbar bleiben. So können Stellen aus der Bibel, Musikstücke und Filmzitate miteinander ins Gespräch gebracht werden. Ziel ist für Adler der Dialog, keine Vereinnahmung. Denn, das ist ihm wichtig, der Film sei „ein verdammt starker Partner, den wir uns da ins Gotteshaus holen“. Nach einer Pause kommt das bewegte Bild dann unkommentiert zu Wort. Rotwein und Knabbersachen, die es in der Pause zu kaufen gibt, können die Gäste dafür gerne mit an den Platz nehmen. Und während zu den Stummfilm-Abenden vor allem Kulturbegeisterte kommen, findet der Film-Gottesdienst eine breitere Zielgruppe. Adler erinnert sich besonders gerne an den Silvester-Vorabend, als sich eine festlich gestimmte Gottesdienstgemeinde um den Klassiker „Dinner for One“ (1963, Heinz Dunkhase) versammelte.

US-amerikanische Werbung für den Film "Faust", 14. Dezember 1926 (Bild: Metro-Goldwyn-Mayer (U.S. distributor), PD, via Wikimedia Commons)

US-amerikanische Werbung für den Film „Faust“ (1926, Friedrich Wilhelm Murnau), 14. Dezember 1926 (Bild: Metro-Goldwyn-Mayer (U. S. distributor), PD, via Wikimedia Commons)

Back to the Roots

So wie Dietmar Adler das Kino in die Kirche holt, so bringt er auch den christlichen Blick ins Kino. Genauer gesagt, in die Arbeit von ökumenisch bzw. multireligiös besetzten Interfilm-Jurys, die Auszeichnungen auf Festivals vergeben. Dabei gehe es nicht um platte biblische Bezüge, sondern um Anknüpfungspunkte in Sachen Humanität. Und der Schwerpunkt liege, natürlich, vor allem „bei ästhetisch guten Filmen“. Für Adler selbst war das Dschungelbuch „so ein Erweckungserlebnis“, und natürlich jeder der Chaplin-Filme. Die würde er nur zu gerne einmal in Bad Münder zeigen, aber hier ist es schwer bis unmöglich mit den Filmrechten. Bei den deutschen Expressionismus-Filmen sieht es da besser aus, weil sie über Archive gut zugänglich sind.

Filme in Kirchen zu zeigen, ist das nicht ein Weg zurück in die 1920er Jahre? Als sich kleine Gemeinden sonntags im Gasthaus oder in der Schulaula versammelten, als das Wanderkino den Projektor in der Dorfkneipe oder im Park aufstellte? Der Gedanke gefällt Dietmar Adler. Als er in Bad Münder mit dem Kirchenkino begann, erzählte die Gemeindesekretärin von ihrem Vater, der als Filmvorführer gearbeitet hatte. „Wir sind auch so auf Wanderschaft gegangen“, erzählt er. Die Initiative zeigte bereits Werke des New British Cinema in einem Pub, oder bespielte ein Kaufhaus mit einem Film, der sich um Spielzeug drehte. Der Raum macht eben doch den Unterschied.

Das Gespräch führte Karin Berkemann.

Zum Nachhören

moderneREGIONAL-Podcast zum Interview mit Dietmar Adler zu Kirche und Kino

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Keine Werbung (Bild: Dennis Skley, CC BY ND 2.0, 2015, via flickr.com)

Inhalt

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Klaus-Martin Bresgott über Kirche und Kino im Expressionismus.

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Konstantin Manthey über Berliner Kirchen, wie sie die Ufa nicht schöner hätte bauen können.

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Manuela Klauser über Dominikus Böhm, den Stummfilm und eine Kirche in Neu-Ulm.

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Markus Dauß über Lichtspiele und Raumkulissen im Film und Kinobau des Expressionismus.

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