Interview mit Leon Gaas

Gäbe es den Fliegenpilzkiosk unter den Facebookgruppen, es wäre diese: “Nachkriegsarchitektur der 50er, 60er und 70er”, gegründet und moderiert von Leon Gaas (25, Ersatzteileverkäufer in einem Autohaus). Der virtuelle Liebhabertreff versteht sich als “Sammelplatz für Fotos und Geschichten zu noch bestehenden Gebäuden” dieser Aufbruchszeit. Fern von jeder Archporn- oder Insta-Ästhetik sammeln sich hier charmante Schnappschüsse von Türknäufen, Werbetafeln und Gartenzäunen. moderneREGIONAL sprach mit Leon (in der Facebookgruppe ist man per Du) über den Reiz des Normalen.

moderneREGIONAL: Leon, gerade sind Brutalismus und Bauhaus angesagt. Warum faszinieren Dich ausgerechnet die 1950er Jahre?

Leon Gaas: An der Architektur der 1950er und frühen 1960er Jahre reizen mich vor allem die klaren Elemente wie große Glasflächen, harmonische Formen und symmetrische Linien gepaart mit der Kunst am Bau: Mosaikfliesen, wundervoll gestaltete Fenster, Wandbilder oder auch ganz banale Glasbausteine sind einfach schön anzusehen. Das ist eine willkommene Abwechslung zur schnöden modernen Architektur, die sich in manchen Punkten zwar ähnelt, aber längst nicht mehr den Charme der 1950er erreicht.

mR: Magst Du mehr die Architektur oder das Alltagsdesign? Oder ist es das Lebensgefühl?

LG: Für mich ist es tatsächlich das Gesamtpaket. In erster Linie begann meine Liebe zu den 1950er Jahren durch alte Autos: Frühkindlich durch meinen Vater geprägt und quasi in alten Volkswagen aufgewachsen, habe ich mich in den vergangenen Jahren immer tiefgehender damit beschäftigt. Auch meine Wohnung besteht zu einem großen Teil aus allem möglichen Kram aus eben diesem Jahrzehnt. Das Interesse an der Architektur wurde durch Literatur zu Tankstellen aus dieser Zeit geweckt.

mR: Ich frage das als selbst “speziell Interessierte”: Giltst Du in deiner Generation als Sonderling?

LG: Als Sonderling vielleicht nicht, aber anders als die meisten bin ich schon. In meinem Freundeskreis befinden sich zwar einige etwa Gleichaltrige mit alten Autos und gewissem Interesse für Oldtimer & Co. Doch das Interesse über fast alle Gebiete so dermaßen zu erstrecken wie ich, ist schon exotisch. Ich lebe den Stil und das ganze Drumherum der vergangenen Zeit voll aus: Ich fahre ein altes Auto, habe meine Wohnung zeittypisch eingerichtet und sammle auch sonst alles Mögliche, was mir aus dieser Zeit in die Hände fällt. Party machen und das, was eben dazu gehört, ist dagegen überhaupt nichts für mich.

mR: Du hast 2018 die Facebookgruppe “Nachkriegsarchitektur der 50er, 60er und 70er Jahre” gegründet, die aktuell über 1.300 Mitglieder hat. Wer sind Deine Mitstreiter und was verbindet Euch?

LG: Meine Mitstreiter sind vor allem Menschen, die sich genauso wie ich für diese Architekturepochen interessieren. In der Gruppe tummeln sich 1950er-Jahre-Fans, Architekten, Lehrer, Architekturstudenten … Einfach Leute, denen diese Epoche architektonisch gefällt. Uns verbindet vor allem die Begeisterung dafür, was an alten Gebäuden noch vorhanden ist – und die Hoffnung, dass vieles von diesem alten weiterhin vorhanden bleibt.

mR: Dein liebster Post der letzten Wochen?

LG: Aus so vielen tollen Beiträgen der Gruppe einen einzigen Beitrag herauszunehmen, ist nicht leicht. Aber ich glaube, ich wähle ganz kitschig den ersten Gruppenbeitrag meiner neuen Freundin. Dort hat sie das ehemalige Kino Gloria in Regensburg vorgestellt, das leider immer weiter verkommt und nach vielen Besitzerwechseln wahrscheinlich entgültig dem Ende geweiht ist. Allein die Tatsache, dass meine Freundin genauso verrückt ist wie ich und nach alten Gebäuden Ausschau hält, lässt diesen Post für mich so besonders sein.

mR: Und was fehlt Dir noch zu deinem Glück?

LG: In Bezug auf das Architektur-Thema fehlt mir zu meinem persönlichen Glück tatsächlich nur noch, dass ein Gebäude durch eine Initiative in der Gruppe gerettet und dem Denkmalschutz übergeben werden kann. Ansonsten bin ich gerade ziemlich glücklich mit dem, was ich mache und was passiert. Eine schöne romantische 1950er-Jahre-Hochzeit in einer zeittypischen Kirche wäre noch etwas, aber das wird sich hoffentlich irgendwann von selbst ergeben. Zum Schluss möchte ich mich bei allen Unterstützern und Mitgliedern der Gruppe bedanken, die mich täglich zum Staunen bringen und so fleißig auf Fotosafari gehen. Ansonsten bin ich tatsächlich sehr froh darüber, dass ich von meiner Freundin, meinem Freundeskreis und meiner Familie mit meinen ganzen Eigenheiten so hingenommen werde, wie ich bin und dabei so gut wie möglich unterstützt werde. Mir geht es wirklich gut damit.

Das Gespräch führte Karin Berkemann (7.7.19).

Titelmotiv: Leon Gaas in seiner themengerecht ausgestatteten Wohnung (Foto: privat)

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