Eigentlich hat Frankfurt alles richtig gemacht. Ein zerstörtes Gebäude lässt sich nicht wiederholen, sondern im besten Fall neu deuten. So ermöglichte das Architektenkollektiv um Rudolf Schwarz, Eugen Blanck, Gottlob Schaupp und Johannes Krahn der zerbombten Paulskirche 1948 einen Neuanfang – außen erkennbar am flachen Dach, innen erlebbar auf zwei Ebenen. Damit die Demokratie an ihrer Wiege nicht vergisst, wie verletzlich sie ist. Auch als am Rand der Neuen Altstadt (angesichts der kommenden Sanierung) erneut sehr laut darüber nachdachgedacht wurde, ob man der Kirche ihr Kuppeldach wiedergeben soll, war sich die Fachöffentlichkeit rasch einig: Wo, wenn nicht hier, muss die Wunde offen gehalten werden. Denn längst dient der liturgische Raum als Gedenk- und Versammlungsstätte und macht diesen Job in seiner Nachkriegsgestalt hervorragend. Doch immer noch klemmt es an der Paulskirche. Ein Demokratiezentrum (wo auch immer) soll den Symbolwert heben, der Start der Sanierung selbst steht in den Sternen – und irgendwie vorzeigbar müsste alles sein bis 2023, bis zum 175. Jubiläum der Nationalversammlung von 1848.
Ein Jubiläumsdruck ähnlicher Art entsteht gerade in Berlin und Hamburg, wo man sehr konkret darüber diskutiert, in der Reichspogromnacht zerstörte Synagogen wiederaufzubauen. Als Synagogen. Lange hatten sich jüdische Gemeinden (zu Recht) geweigert, diese symbolische Last zu schultern. Um unsere Schuldgefühle sollten wir uns bitte selbst kümmern. In Marburg, um nur ein Beispiel zu nennen, entstand die neue Synagoge nicht auf dem zentralen Grundstück des Vorgängerbaus. Die Gemeinde zog vielmehr in ein expressionistische Versicherungsgebäude. Beide leben gut damit. Aber der Wind hat sich gedreht. Jetzt ist von jüdischer Seite zu hören: Die Nazis sollen – auch architektonisch! – nicht das letzte Wort haben. Bleibt zu fragen, ob wir uns dafür gleich in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zurückbauen müssen. Doch den Schreck von Halle im Nacken und die “1700 Jahre jüdisches Leben” für 2021 im Blick sieht man sich hier und dort unter Zugzwang. Der alte Glanz muss wieder her.
Beides – synagogale Wiederaufbaupläne und Paulskirchen-Sanierung – werden aktuell mit großzügigen Bundesmitteln bedacht. Und in beiden Fällen vermisst man ein wenig das Vertrauen in die Architektur. Eine Gedenkstätte soll ergänzt und erklärt, eine Synagoge mit dem Griff in die Kiste der Baugeschichte gestärkt werden. Als könnte eine Handvoll Leuchttürme die symbolische Last einer ganzen Republik tragen. Wenn im Bauhaus-Jubeljahr ein Bauhaus-Bau wie das Fränkische Überlandwerk in Nürnberg zur Disposition steht. Wenn St. Hedwig in der Hauptstadt im Handstreich in den Klassizismus zurückversetzt wird, ist es um die föderalen Qualitäten unserer Baukulturlandschaft nicht allzu gut bestellt. Für die Paulskirche ist noch alles offen – und die Experten diskutieren. Ganz konkret am 14. Dezember. Bleibt nur: Hingehen. Meinung haben. Mitreden. (2.12.19)
Titelmotiv: Frankfurt am Main, Paulskirche (Bild: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Christine Krienke)