In der Zentralschweiz befindet sich eine außergewöhnliche Sakrallandschaft. Über 60 bedeutende sakrale Orte verzeichnet allein der Verein Sakrallandschaft Innerschweiz in der 4500 qkm kleinen Region, bei einer Bevölkerungsdichte von nur 183 Menschen pro Quadratkilometer. Einer dieser Orte ist das Kloster Baldegg, 1968 bis 1973 entworfen und realisiert von Marcel Breuer und Beat Jordi. Breuer gewann 1968 den Wettbewerb für den Neubau des Klosters, den die Baldegger Schwestern ausgelobt hatten, da das bis dahin von ihnen als Kloster genutzte Alte Schloss Baldegg zu klein geworden war. Das neue Kloster wurde aus zwei Gebäudekomplexen komponiert: einem Hauptgebäude, dem Mutterhaus, von Marcel Breuer und dem vier Jahre später errichteten Pflegeheim, das der Schweizer Architekt Beat Jordi, beim Bau des Mutterhauses bereits Mitarbeiter von Breuer, verantwortete.

Jürgen Beck, Schweiz, Kloster Baldegg, aus der Serie „Durch die Jahreszeiten“ (Bild: Jürgen Beck)
Derzeit stehen in der Sakrallandschaft der Innerschweiz, insbesondere in den Klöstern, umfassende Veränderungen an. Viele Klöster suchen neue Wege in die Zukunft, aus demographischen Gründen. Ihre regionale Verantwortung wahrnehmend haben die Departements Design und Kunst sowie Technik und Architektur der Hochschule Luzern die Plattform „Sakrallandschaft Zentralschweiz“ gegründet. Sie möchten die Transformationsprozesse der Klöster erstens aus den Perspektiven von Baukultur, materieller und immaterieller Kulturgüter und regionalplanerischer Perspektiven begleiten und zweitens neue Bildungsformate schaffen, die sie aus der Tradition und aus dem impliziten Wissen des gemeinschaftlichen Lebens der Klöster vor dem Hintergrund der digitalen Transformation entwicklen möchten. In ihrem ersten Teilprojekt befasste sich die Hochschule mit dem Kloster Baldegg – aus Anlass des kürzlichen 50. Jubiläums seiner Weihung, aber natürlich auch aufgrund der herausragenden Architektur des Baus, dem prominenten Urheber Marcel Breuer und der engen Zusammenarbeit zwischen den Schwestern und dem Architekten während des Planungs- und Bauprozesses.

Jürgen Beck, Schweiz, Kloster Baldegg, aus der Serie „Durch die Jahreszeiten“ (Bild: Jürgen Beck)
Ein erstes Ergebnis dieses Projekts ist die Publikation „Im Kloster Baldegg. Klösterliches Leben in einem Bau von Marcel Breuer“, das im November 2024 im Schweizer Verlag Scheidegger & Spiess erschienen ist. In dem großformatigen, 360 Seiten umfassenden Buch kommen Wissenschaftler:innen ebenso zu Wort wie die franziskanischen Schwestern des Klosters. Brillante Fotografien, unter anderem von dem Fotografen Jürgen Beck, sowie zahlreiche historische Aufnahmen aus dem Bauprozess und den frühen Jahren des Klosters lassen die Leser:innen die Atmosphäre und das Leben im Kloster spüren. „Im Kloster Baldegg“ ist tatsächlich ein außergewöhnlich schönes Buch. Vom ersten haptischen Eindruck bis zur letzten Seite entfaltet es eine Sanftheit, die der fein gearbeiteten Ota-Bindung, dem weichen Einband, der wie alle Teile des Buches auf unbestrichenem Volumenpapier gedruckt ist, und dem leicht um das Buch gelegten amerikanischen Schutzumschlag zu verdanken sind. Die Druckqualität ist durchweg hervorragend, Bild- und Textsatz sind detailliert ausgearbeitet und markant akzentuiert.

Marcel Breuer und Sr. Basilda Umbricht im Gespräch, 1973 (Bild: Sr. Veritas Scharrer, Archiv Kloster Baldegg)
In das Buch führt der erste Teil der Fotoessays von Jürgen Beck, Künstler und Fotograf aus Zürich. In regelmäßigen Sequenzen begleiten seine Fotos die Leser:innen durch die Jahreszeiten in Baldegg und bilden damit einen roten Faden beim Lesen, ja vielleicht ein Sinnbild des Kirchenjahres. Daneben stehen eine Fotodokumentation der Sr. Marie-Ruth Ziegler, die den Alltag im Kloster porträtierte sowie eine Bildstrecke zum Bauprozess, die unter anderem die Zusammenarbeit zwischen den Schwestern und den Architekten zeigt. Zahlreiche Originalskizzen Breuers sind zu sehen, die Fabrikation der Betonelemente oder die Platzierung des Kreuzes auf dem Pflegeheim. Zugleich unterstreichen Aufnahmen zur Einsegnung des Bauplatzes, zur Einweihung des Klosters oder zum Umzug der Schwestern in das neue Mutterhaus, dass sich die Architektur nie von der Funktion und Nutzung des Baus loslösen wollte. Insbesondere, aber nicht nur in der Kuration der Abbildungen zeigt das Buch die enge und respektvolle gemeinsame Arbeit der Beteiligten beim Bau des Gebäudes und wird damit gleichsam zu Fortführung dieser.

Aus der Fotodokumentation: leben, arbeiten und beten (Bild: Sr. Marie-Ruth Ziegler, Archiv Kloster Baldegg)
Die Aufsätze in dem Band beleuchten unter anderem Marcel Breuers Spätwerk (Silke Langenberg und Robin Rehm), den Kontext des helvetischen Brutalismus (Marcel Bächtiger) und die Baugeschichte des Klosters im Überblick. In ihren Essays reflektieren Schwestern des Klosters ihre Arbeit im Lauf der Jahrzehnte, ihrem „Lebensprogramm“ (Sr. Renata Geiger) und ihrer Werte sowie ihre Beziehungen zum Gebäude. Als Besonderheit erscheint religionsferneren Leser:innen der Text von Gabriela Christen, die unter dem Titel „Das Kleid zum Bau“ den Prozess zur Entstehung eines neuen Ordenskleides für die Baldegger Schwestern aufgearbeitet hat, der zeitgleich mit dem Bau des neuen Klosters begann und sich noch einige Jahre nach dessen Fertigstellung hinzog. Dem Kleid lag, so schreibt Gabriela Christen, die gleiche Vision zugrunde wie dem Bau von Marcel Breuer: „neu gestaltet, zukunftsgerichtet, aber auf den Werten des franziskanischen Lebens basierend, nämlich schlicht und praktisch für die Arbeit und unkompliziert in der Pflege.“ Diesem Buch, kann man meinen, liegt in bester Weise eine ähnliche Idee zugrunde. Die Klarheit und spirituelle Tiefe, die die Autor:innen dem Bau zuschreiben, kann man der Publikation ebenso attestieren. (pk, 12.1.25)


Jürgen Beck, Schweiz, Kloster Baldegg, aus der Serie „Durch die Jahreszeiten“ (Bild: Jürgen Beck)