Stellt euch vor, es ist Vernissage und keiner wird reingelassen. So zumindest sieht gerade die Realität vieler Ausstellungsmacher aus. Im besten Fall gibt es eine “Flüster-Eröffnung” ohne Ansprachen im kleinen Kreis. Soziale Distanzierung zu Corona-Zeiten ist nicht zuletzt auch Kultur-Distanzierung. Die leergefegten Straßen erinnern Betagte an Edgar-Wallace-Fernsehabende – und Mittelbetagte an die autofreien Sonntage der Ölkrise von 1973. Für kurze Zeit gehörten die Autobahnen wieder den Spaziergängern. Aus kindlicher Perspektive hatte das etwas Beruhigendes: Alle teilten dasselbe Vergnügen und dieselbe Beschränkung. Jetzt hat ein Virus genau diesen Effekt. Ob die Maßnahmen nötig und sinnvoll sind, mögen Kundigere beurteilen. Nur die Folgen für das Kulturprekariat könnten verheerend sein.

Freie werden nur für das entlohnt, was auch stattfindet. Keine Ausstellung, kein Honorar. Ebenso ergeht es Filmvorführungen, Konzerten, Theaterpremieren u. v. m. Was dem Landwirt der Hagelschaden, ist für den rücklagearmen Kulturschaffenden nun der Corona-Bann. Denn während die Kosten für Miete und Versicherung weiterlaufen, fällt die Gage aus. Eine Pandemie hätte man bei der letzten Honorarverhandlung halt einplanen müssen. Vielleicht helfen da wieder die Strategien aus Ölkrisenzeiten: “Pool it / Bildet (Fahr-)Gemeinschaften!” Wenn sich unterbezahlte Geistesarbeiter (natürlich berührungsfrei) zusammenrotten, könnte sich dieses Mal tatsächlich etwas bewegen.

Per Onlinepetition fordern bereits gut 140.000 Unterzeichnende staatliche “Hilfen für Freiberufler und Künstler” in Corona-Zeiten. Schließen wir uns diesem Anliegen an, nicht nur virtuell. Investieren wir in Hoffnung: Kaufen wir Jahreskarten fürs Museum, ein Abo fürs Theater, einen Mehrfachgutschein für die Oper. Hamstern wir gute Klolektüre, investieren in kunstvollen Wandschmuck fürs unfreiwillige Homeoffice. Damit der private Raum nicht völlig verzweckt wird. Wenn Kultur im öffentlichen Rahmen nicht mehr möglich ist, holen wir sie uns nach Hause. Bücher lesen, Platten auflegen, Fotoalben ausgraben, den Diaprojektor anwerfen – ganz wie 1973. Dann werden das hier vielleicht irgendwann mal ganz wunderbare “Weißt du noch”-Geschichten. (15.3.20)

Karin Berkemann

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