Ach, es klingt ja so einleuchtend: “Es gibt ein Recht auf Wohnraum, aber keines auf das eigene Kartoffelbeet”, schrieb Paul Wrusch am Samstag in der Rubrik “Die steile These” in der taz. Sie ahnen es: Es geht um die Kleingärtner, die in den berstenden, überteuerten Städten wertvollen Platz für günstigen Wohnraum wegnehmen. “Der Schrebergarten ist verstaubte Bundesrepu­blik, ist Spießertum und Egoismus. Ist Abschottung gegen Fremde, Angst vor Veränderung und überhaupt auch oft rechts, bedenkt man die zahlreichen verwitterten Deutschlandflaggen, die über fast jeder Gartenkolonie wehen”, haut der offenkundige Liebhaber der moralischen Argumentation munter fast eine Million Menschen in die Pfanne. Dabei ist doch alles so einfach: “Wer Natur und Erholung in der Stadt will, soll in den Park gehen. Wer ein kleines Idyll abseits vom Stadttrubel sucht, soll aufs Land ziehen.” Noch immer habe ich die Ironie in der ironisch überbauten Kolumne nicht wirklich gefunden.

Aber gut, die gerade sehr hoch gehandelte Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling rät ja als Argumentationverstärker: “Denken und sprechen Sie nicht primär in Form von Faktenlisten und einzelnen Details. Denken und sprechen Sie zunächst immer über die moralischen Prämissen.” Doch hier dürfte dann wirklich mal im positiven Sinne das Fressen vor der Moral kommen: Abgesehen davon, dass die meisten Kleingärtner ihr Recht, Kartoffeln anzubauen mit einer Pacht bezahlt haben, stehen weitere Erklärungen aus. Etwa, wieso ausgerechnet auf den freiwerdenden Kleingartenflächen günstiger Wohnraum entstehen werde – an der Schaffung von selbigem scheitern Städte und Gemeinden seit Jahrzehnten. Ist Kleingartenboden gesegnet? Und ob man den nicht eben wenigen Laubenpiepern mit Migrationshintergrund eine rechte Gesinnung und die Absicht, sich gegen Fremdes abzuschotten, vorwerfen kann, ist gleichfalls anzuzweifeln. Fremd könnte diesen Leuten höchstens sein, wenn jemand ihr Tun, an dem über Generationen nichts Verwerfliches moniert wurde, mit der Sensibilität einer Dampfwalze als unsozial und (stadt-) gesellschaftsschädigend anprangert, ohne ihnen zu erklären, warum. Steile These halt …

Es gibt ein Recht auf Wohnraum. Es gibt in der Tat zu Unrecht als billigen Wohnraum genutzte Gärten. Ja, es gibt auch Kleingartenbereiche in städtischen Lagen, die entbehrlich sind. Und ja, es gibt den moralischen Druck (und die politische Verpflichtung) Wohnen bezahlbar zu halten. Dieses nun aber mit dem Zubetonieren der letzten grünen Flächen zu versuchen und gleichzeitig Mitmenschen pauschal das Recht auf ihre Art der Kleinen Flucht abzusprechen, trägt nur weiter zur Spaltung der Gesellschaft bei. Es an Fakten orientiert zu erklären und einen (sozialen) Lösungsansatz für alle Beteiligten zu formulieren, wäre doch mal einen Versuch wert. Man könnte ja auch eine Erhebung des Durchschnittseinkommens der Kleingärtner in der Bundesrepublik durchführen. Nicht unwahrscheinlich, dass es unter dem eines Redakteurs in Festanstellung liegt. Vielleicht fehlt manchen von jenen zum Runterkommen auch nur ein gemütlicher Abend unter Freunden. Im Garten. Bei selbstgemachtem Kartoffelsalat. Keine steile These. (29.7.19)

Daniel Bartetzko

Titelmotiv: Hannover, Dauerkolonie Annateich (Bild: Axel Hindemith, CC0)

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