Eigentlich, so meint man, wurden alle Seiten des französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier schon beleuchtet. Seine Theorien und Frauen, seine Schriften und Bauwerke. Nicht zuletzt sein umfassender Einsatz im indischen Candigarh, der Bau einer indischen Provinzhauptstadt als utopischer Entwurf, hat die Forschung immer wieder zu Büchern und Ausstellungen veranlasst. Im Windschatten dieses Vorhabens wurde Le Corbusier in den frühen 1950er Jahren ins indische Ahmedabad eingeladen. Der dortige Bürgermeister konnte ihn überzeugen, den neuen Sitz des Textilherstellerverbandes, das Millowners’ Association Building, zu entwerfen. In der Unabhängigkeitsbewegung Mahatma Gandhis hatte der Verband eine tragende Rolle eingenommen, entsprechend sollte der 1954 fertiggestellte Neubau den Geist eines modernen, weltoffenen Indien verkörpern.
Vieles am Verwaltungssitz in Ahmedabad – von den sonnenbrechenden Brises Soleil über das offene Foyer, das mehrere Etagen und Funktionen eines Sichtbetonbaus miteinander in Beziehung bringt – gehört zu den Markenzeichen Le Corbusiers. Zudem erprobte er hier Elemente, die er rund zehn Jahre später beim Carpenter Center for the Visual Arts in Harvard wieder einsetzen sollte. Mehrdad Hadighi, Professor an der Pennsylvania State University, nimmt den Bau als Ausgangspunkt, um in seiner neuen Publikation beim Birkhäuser Verlag zentrale theoretische Linien Le Corbusiers auszuziehen. Dabei spannt er einen Bogen von der Schrift „Vers une architecture“ bis zum Einfluss der Schriftsteller Paul Valéry und John Ruskin. Grund genug, sich durch das reich bebilderte Buch zu schmökern und einen (fast) neuen Le Corbusier für sich zu entdecken. (kb, 7.10.25)
Ahmedabad, Millowners’ Association Building (Bild: Sanyam Bahga, CC BY SA 3.0, 2009)