Berlin tut sich schwer mit seinen Kuppeln, spätestens seit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Schon die Frage, ob der Architekt Sir Norman Foster dem wiederaufgebauten Reichstag eine Haube aufsetzen sollte, geriet zum Streit um das neue Selbstverständnis der Hauptstadt. Am Ende glückte der Kunstgriff, die gläserne Kuppel zum Zeichen von Transparenz und Offenheit zu stilisieren. Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses hingegen setzt auf blickdichte Detailtreue – bis hin zum nachgebildeten Kreuz mit biblischem Spruchband, beide finanziert aus privaten Spenden. Und wieder entzündet sich an diesem Bauteil eine Grundsatzdebatte: Was haben christliche Zeichen mit revanchistischen Untertönen im säkularen Berlin zu suchen, noch dazu über einem künftigen Ort der Wissenschaften?

Berlin, Humboldtforum (Bild: Mike Peel, CC BY SA 4.0, 2017)

Berlin, Wiederaufbau des Schlosses/Humboldtforum, Konstruktion der Kuppel, 2017 (Bild: Mike Peel, CC BY SA 4.0)

In Blickweite zur Domkuppel steckt der Teufel im Detail. Für das umstrittene Schloss-Spruchband vermischte Friedrich Wilhelm IV. zwei Bibelzitate (Apostelgeschichte 4,12/Philipper 2,10): “Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.” Das Verschneiden von Bibelversen klingt für jeden theologisch vorgebildeten Leser wie quietschende Kreide auf einer Tafel: Geht gar nicht! Denn beide Originalverse sprechen einzeln von der Freiheit des Gläubigen von weltlicher Willkür. Die Berliner Inschrift hingegen mahnt zum Staatsbückling im Namen der Religion. An dieser Stelle sind sich die meisten Kommentatoren einig, dass eine Chance vertan wurde. Wenn es denn unbedingt eine Rekonstruktion sein muss, hätte man die königliche Inschrift (ohne die angestrebte historische Silhouette zu beeinträchtigen) besser durch einen neuen künstlerischen Impuls ersetzt und damit elegant die Vorgeschichte des Gebäudes kritisch kommentiert.

Berlin, Wiederaufbau des Schlosses/Humboldtforum, Aufsetzen der Kuppel, Sommer 2020 (Bild: © SHF, Foto: David von Becker)

Berlin, Wiederaufbau des Schlosses/Humboldtforum, Aufsetzen der Laterne, 2020 (Bild: © SHF, Foto: David von Becker)

Das Kuppelkreuz hingegen wird sehr unterschiedlich gewertet. Manche verweisen auf die historischen Wurzeln (es gehört halt zu unserer Kultur), andere wünschen sich eine versöhnliche Neudeutung (tolerante Nächstenliebe statt preußischem Staatskirchentum), wieder andere fürchten revanchistische Signale. Eine Schieflage erfährt die berechtigte Diskussion, sobald von “dem” Christentum die Rede ist. Wenn sich Kanzel und Thron zusammentaten, wurde allzu oft unterdrückt, ausgebeutet und gemordet. Doch einen Glauben mit seinem fehlbaren Bodenpersonal gleichzusetzen, greift auch bei anderen Religionen zu kurz (der Islamismus ist nicht “der” Islam, die Politik des Staates Israel ist nicht “das” Judentum). Die eigentliche Front verläuft nicht auf dem Dach, sondern am Fundament: Für ein weltoffen daherkommendes Nutzungskonzept ein Bauwerk der Monarchie zu rekonstruieren, ist widersinnig. Wer würde für ein veganes Restaurant einen Schlachthof wiederherstellen? (1.6.20)

Karin Berkemann

Titelmotiv: Berlin, Wiederaufbau des Schlosses/Humboldtforum, 2016 (Bild: Julius1990, CC BY SA 4.0)

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