Am südöstlichen Rand Berlins – in Köpenick, zwischen dem sanftgewellten Grün der Müggelberge und dem gleichnamigen See – erhebt sich seit 1961 ein schmales weißes Kleinod: der Müggelturm samt Ausschankterrassen . Aus knapp 30 Metern Höhe bestaunte einst ganz Ost-Berlin das märkische Idyll und die eigene Stadt. Schon 1880 schrieb Theodor Fontane zu diesem Flecken Erde: “Auf Quadratmeilen hin nur Wasser und Wald. Nichts, was an die Hand der Kultur erinnerte.” Kurz darauf ließ der Industrielle Carl Spindler einen hölzernen Aussichtsturm errichten. Seitdem können hier geplagte Großstädter durchatmen.

Der alte und der neue

Dem Zeitgeschmack entsprechend, bekam der Turm wenig später ein fulminantes Makeover: Mit einem Stilmix aus italienischer Renaissance und chinesischer Pagoden sorgte der Entwurf von Max Jacob viele Jahrzehnte für exotisches Flair am Müggelsee. Die Köpenicker hatten ihren Platz an der Sonne. Nach zwei überstandenen Weltkriegen kam dann das Ende des ersten Müggelturms am 19. Mai 1958 überraschend: Bei Schweißarbeiten geriet der Holzturm in Brand.

In der jungen DDR herrschte noch himmelsstrebender Aufbruchsgeist. Und so ist es nicht verwunderlich, dass ein blutjunges Architekten-Kollektiv von der Kunsthochschule Berlin-Weissensee den eilig initiierten Wettbewerb zum Neubau für sich entscheiden konnte. Im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks (NAW) verwirklichte man das Ensemble mit Spenden und viel Eigeninitiative (selbst die Architekten verzichteten auf ihr Honorar). In Anlehnung an die großen Vorbilder der klassischen Moderne entstand ein luftiger, asymmetrisch gegliederter Vergnügungskomplex aus Terrassen, Pergolen und dem pointierten Aussichtsturm. Mit seinem galant aufgeständerten Betondach verhieß er eine freudvolle sozialistische Zukunft und konnte keinen größeren Kontrast zu seinem dunklen Vorgängerbau erzeugen.

Unter Schutz und im Verfall

Den letzten Schliff bekam der Bau durch ein feines abstraktes Fassadenrelief. Man war zurecht Stolz auf die neuen Bauten, die es nicht bedurften sich vor dem internationalen Vergleich zu verstecken. Der Entwurf gilt als eines der frühesten Zeugnisse des Paradigmenwechsels in der DDR Architektur. Man bedenke, dass nur wenige Jahre zuvor die Stalin-Allee als mustergültige sozialistische Baukunst gegolten hatte. Folgerichtig wurde das Ensemble des Müggelturms 1995 unter Denkmalschutz gestellt.

Nach der Wende begann für das Lokal am Müggelturm eine über 20-jährige Eigentümer-Odyssee. Gemacht wurden vor allem Pläne: ob als Hotel oder immer wieder als Spielwiese für Architekturstudenten, alles blieb auf dem Papier. Währenddessen drang Feuchte ein und das einst strahlend weiße Juwel verkam zum Schatten seiner selbst. Erst im vergangenen Jahr konnte das einst beliebte Ausflugslokal wieder Sommerfrischler empfangen: Matthias Große hat das Areal 2014 erworben und denkmalgerecht aufpoliert. Und als ob ein Turm nicht genug wäre, möchte Große ihm nun einen baugleichen Zwilling verpassen. Dieser hätte gegenüber seinem älterem Bruder den Vorteil, durch einen Fahrstuhl barrierefrei zu sein. Bereits während der Sanierung stand ein Aufzug im Turm zur Debatte, wurde jedoch von der Denkmalschutzbehörde verhindert. Über einen sogenannten “Skywalk” sollen in Zukunft die Aussichtsplattformen verbunden werden.

Große Pläne

Allerdings stößt die Zwei-Türme-Idee auf ein zwiespätiges Echoe: Aus den Reihen der zuständigen Politiker erreichen den Eigentümer durchaus positive Stimmen. Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) etwa unterstützt das Vorhaben, da so alle Menschen etwas von der malerischen Aussicht profitieren könnten. Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden ist heutzutage obligatorisch, konstatierte der Grüne-Bauexperte Andreas Otto. Der Vorsitzende des Denkmalrats von Treptow-Köpenick, Stefan Förster (FDP) hingegen unterstellt Große eine zu üppige Fantasie und dem Vorhaben nur eine kleine Realisierungs-Chance: Weder städtebaulich, noch Denkmal- und naturschutzrechtlich sei an die Doppeltürme vom Müggelsee zu denken.

Der heute 87-jähirge Siegfried Wagner, damals einer der jungen Architekten im Kollektiv, äußerte sich ebenfalls despektierlich zu den neuen Plänen. Kitschig und entwürdigend sei das Vorhaben. Er wolle sich selbst aktiv am Erhalt des Ensembles beteiligen. Denkmalgerechte Pläne mit barrierefreier Erschließung sollen bald aus seiner Hand beim Denkmalamt vorliegen. (jm, 10.2.19)

Anmelden

Registrieren

Passwort zurücksetzen

Bitte gib deinen Benutzernamen oder deine E-Mail-Adresse an. Du erhältst anschließend einen Link zur Erstellung eines neuen Passworts per E-Mail.