Baugeschichte ist immer auch ein bisschen Kriminalgeschichte, zumindest im Fall des Buchs „Der Maßstab im Städtebau“, das jüngst aus Fundstücken rekonstruiert werden konnte. Von 1942 bis 1944, mitten im Krieg, hatte der Architekt Peter Grund (1892–1966) dieses Handbuch konzipiert und mithilfe des schreibgeübten Pfarrers Paul GIrkon aufs Papier gebracht. In der Weimarer Republik hatte Grund zunächst gemeinsam mit seinem Berufskollegen Karl Pinno gearbeitet, bis er als Direktor der Kunstakademie in Düsseldorf 1935 die künstlerische Oberleitung der „Reichsausstellung Schaffendes Volk“ übernahm und die Propagandaschau 1937 schließlich eröffnete. Nach Kriegsende prägte Grund als Oberbaudirektor den Wiederaufbau von Darmstadt. Mit seinem im Textteil unvollendet gebliebenen Buch „Der Maßstab im Städtebau“ wandte er sich noch im Krieg deutlich gegen die gigantomanischen Wiederaufbaufantasien der NS-Zeit.
Im Girkon-Nachlass, im Archiv der westfälischen Landeskirche in Bielefeld, hatte sich lange unbemerkt ein Manuskript von „Der Maßstab des Städtebaus“ erhalten. Die Grund-Zeichnungen zum Buch, ebenso 420 städtebauliche Pläne und rund 400 Fotos mussten infolge von Erbstreitigkeiten sogar von einer Darmstädter Müllkippe gerettet werden und stehen jetzt sicher im Baukunstarchiv NRW. Mit diesen Funden – dem Textteil aus dem Bielefelder Archiv und den Bildern von der Darmstädter Müllkippe – konnte das Werk rekonstruiert werden. Den Rahmen bot ein DFG-Forschungsprojekt von TU Dortmund, FH Dortmund und Philipps-Universität Marburg, in Kooperation mit dem Baukunstarchiv NRW, dem Stadtarchiv Darmstadt und dem Architekturmuseum der TU München. Das wiederhergestellte Buch wurde nun veröffentlicht, als Teil drei der Grund-Werkmonografie des Baukunstarchivs NRW. Für 2025 sind zwei weitere Bände angekündigt: der Essay-Band „Der Architekt Peter Grund und die Tradition in der Moderne“ sowie der zugehörige Werkkatalog (kb, 9.12.24)
Darmstadt, John-F-Kennedy-Haus, heute Literaturhaus, nach Entwürfen von Peter Grund 1951 fertiggestellt (Bild: dontworry, CC BY SA 3.0, 2011)