von Daniel Bartetzko (23/2)

Mit Gebäuden, auch schon mit bloßen Begriffsbezeichnungen, verbindet man oft einen Klang. Beim Wort „Kraftwerk“ denkt die Mehrheit noch heute an das akustische Gewitter einer Dampfmaschine oder die ungefilterte Geräuschkulisse einer Turbinenhalle. Feuer im Schlund, bewegte Stahlmassen, zischende Kessel: Vorm geistigen Auge türmen sich monumentale Klinker-Kathedralen des frühen 20. Jahrhunderts auf, aus denen tiefschwarz rauchende Schlote ragen. Und der Soundtrack dazu? Heavy Metal. Oder die sich gerne mit Rauch und Feuer umgebenden Rammstein. Aufgrund der industriellen Referenz passt natürlich auch Techno, und dann gibt es ja auch noch die zwischen den Polen changierende Stilrichtung Industrial, Nomen est Omen.

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Berlin, “Berghain”, Techno-Club in ehemaligem Kraftwerk (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2018)

Vom Kraftwerk zum Musikort

Viele frühe, wuchtige Kraftwerksbauten haben es nach ihrer Stilllegung tatsächlich zum Musikort geschafft: Das Berghain und das E-Werk, beide in Berlin, sind populäre Standorte. Der Techno-Club Berghain befindet sich im 1953/54 errichteten ehemaligen Fernheizwerk der Karl-Marx-Allee. Die „Eventlocaton“ E-Werk ist das ehemalige Umspannwerk Mitte von 1924 bis 1928. Die Fabrik- und Kraftwerksästhetik gibt diesen Orten ein Image, das von zahlreichen Musikbands, wirklich gerne in Heavy Metal oder Techno angesiedelt, gleichfalls aufgegriffen wird. Zwei berühmte Beispiele entziehen sich jedoch einer exakten musikalischen Zuordnung. Dabei waren sie einflussreich und genreprägend – wahrscheinlich gerade durch die musikalische Grenzüberschreitung. 1977 verewigte die britische Band Pink Floyd auf dem Cover des Albums „Animals“ die Londoner Battersea Power Station (1929-33). Sieben Jahre zuvor gründeten Ralf Hütter und Florian Schneider ihr Bandprojekt Kraftwerk, mit dem sie zwar Energiezentralen nie ausdrücklich besangen, sie aber untrennbar im Namen führten.

Pink Floyd - Animals, Originalplatte, ca. 1977 (Bild: privat)

Pink Floyd, Animals, Originalplatte, ca. 1977 (Bild: youtube-Still)

Von “Animal Farm” zur Power Station

Die Hülle von „Animals“ zeigt das wohl bekannteste historische Kraftwerk der Welt. Die Battersea Power Station, von Giles Gilbert Scott entworfen und damals noch in Betrieb, ist hier aber nicht Symbol musikalischer Urgewalt. Das Motiv hat einen optischen Haken: In der Mitte des vorderen Schornsteinpaars fliegt ein Schwein. Auf der Platte donnert kein Heavy Metal, sondern Progressiv-Rock in drei episch langen Stücken, gerahmt von zwei kurzen Einspielern. Das Kraftwerk ist Synonym für den Kapitalismus und das Streben nach Kraft und Energie; das Schwein verweist aufs inhaltliche Konzept der thematisch zusammenhängenden Songs. Bassist Roger Waters teilte in seiner Geschichte die Menschheit in Hunde, Schweine und Schafe – eine Paraphrase auf George Orwells 1945 erschienenes Buch “Animal Farm” mit umverteilten Rollen. Die “Dogs” sind die Kapitalisten, die für ihren Profit über Leichen gehen würden. Die “Pigs” sind eine Mischung aus Politikern und Predigern, die den Menschen das konforme Verhalten lehren wollen. Die “Sheep” sind schließlich die breite Masse, die von den Schweinen belehrt und den Hunden ausgebeutet wird.

Roger Waters’ bisweilen zynische, moralistische Ideen mögen heute umstritten sein. Auf „Animals“ geraten die Kopfgeburten indes noch nachvollziehbar. Live wurden die Songs des Albums nach 1978 nie mehr aufgeführt, das fliegende Schwein blieb aber Teil der Konzerte von Pink Floyd. Roger Waters nutzt es heute noch und löste zuletzt wieder Diskussionen aus. Mittlerweile ist es mit Symbolen zugepflastert, und darunter war auch ein Davidstern. Das weit weniger plakative Covermotiv von 1977 (das übrigens keine Fotomontage ist), beeindruckt hingegen auch nach 46 Jahren noch. Ich schweife kurz ab: Das Kraftwerk Nord des Volkswagenwerks in Wolfsburg (1961/19651966) ist architektonisch ähnlich inszeniert wie die Battersea Power Station, und auch hier wirkt es wie ein Symbol für einen kraftvollen, harschen Kapitalismus.

Kraftwerk, Trans Europa Express (englische Version), Original-Plattencover, ca. 1980 (Foto: privat)

Kraftwerk, Trans Europa Express (englische Version), Original-Plattencover, ca. 1980 (Foto: privat)

Von Kohlekraft zur Kernenergie

Ganz anders gingen die Düsseldorfer Kraftwerk die Musik und ihre Symbole an. Klassische Instrumente, insbesondere Gitarren, verschwanden Anfang der 1970er aus ihrem Sound. Die Gründer Ralf Hütter (der Ende der 1960er Architektur studierte) und Florian Schneider (Sohn des Architekten Paul Schneider-Esleben) waren dem planerischen Entwerfen von Musik stets näher als einem hedonistischen Aus-dem-Bauch-heraus-Spielen. Nach Anfängen im Krautrock verortete sich klanglich das, was sie ab Mitte der 1970er spielten (und Ralf Hütter noch immer unterm Namen Kraftwerk bis heute spielt), nicht in überhitzte, laute Maschinenräume. Die synthetischen Sounds beschworen eher Schaltzentralen, Büros und geheimnisvolle Serverräume herauf. Oder platt gesagt: Waren Pink Floyd Kohlekraft, so sind Kraftwerk Kernenergie. 1975 erschien geradezu folgerichtig das Album „Radioaktivität“. Zwei Jahre später, im Jahr von „Animals“, brachte Kraftwerk „Trans Europa Express“ heraus. Verpackt in einem Cover, das sich einer schwarz-weißen Wirtschaftswunder-Ästhetik bedient.

Textlich auf wenige rudimentäre Sätze verknappt, war der Gesang von Ralf Hütter meist durch Vocoder verfremdet – oder als bewusster Kontrast zur rein elektronischen Musik mit menschlichem Makel belegt. Das 23-Minuten-Stück „Autobahn“, 1974/75 der erste Hit auch in den USA, ist archetypisch. Im Refrain geradezu infantil angelegt („Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“) und eher ungelenk gesungen, öffnen sich musikalisch neue Dimensionen: Alles fliegt, alles flirrt, alles kommt von irgendwoher. Eine Autofahrt, das Reisen im TEE, selbst die Atomkraft werden im Kraftwerk-Kosmos mystifiziert, freilich ohne inhaltlich Stellung zu beziehen. Was weit entfernt von den gesellschaftskritischen Anklagen auf „Animals“ ist. In den 1990ern werden Kraftwerk dann doch politisch, als der Text von „Radioaktivität“ zum Anti-Atomkraft-Statement erweitert wird: „Stop Radioaktivität/Weil’s um uns’re Zukunft geht/Stop Radioaktivität/Für dich und mich in All entsteht/Strahlentod und Mutation/Durch die schnelle Kernfusion.“ Wieder klingt der Text wie ein Kinderreim, wieder trägt ihn Ralf Hütter mit emotionsloser Stimme umgeben von schwebenden Klangwelten vor.

Openair-Auftritt von Kraftwerk in Zürich, 2012 (Bild: Zürichopenair, CC BY SA 3.0, 2012)

Openair-Auftritt von Kraftwerk in Zürich, 2012 (Bild: Zürichopenair, CC BY SA 3.0, 2012)

Musik als Industriekultur

Die industrielle Revolution veränderte die Menschheitsgeschichte. Das Gesamtwerk von Pink Floyd kann man als Kommentar zu den gesellschaftlichen Umbrüchen dieser (heute allmählich endenden) Ära sehen. Kraftwerk, die sich von allen Rock-Klischees stets stark abgrenzten, gelang hingegen eine musikalische Revolution. Natürlich, sie haben die Geschichte der Menschheit nicht beeinflusst, die Geschichte der populären Musik aber sehr wohl. Ein Konzert muss nicht immer aus gitarrenschwingender Kraftmeierei oder introvertiertem Gezupfe bestehen. Auch nicht aus Chören oder Orchestern. Hier sind es vier fast bewegungslose Herren hinter Technikpulten, hinter ihnen eine große Projektionsfläche, die zur Musik laufende Animationen zeigt. Der visualisierte Sound der Kraftwerk-Auftritte ist mittlerweile in 3-D zu erleben. Das Konzept von Kraftwerk ist Architektur (besser: Klangarchitektur) in Reinform. Ihr Werk und teilweise auch das von Pink Floyd ist eigentlich längst Teil der Industriekultur.

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Bonusbeitrag

Inhalt

LEITARTIKEL: Energiebauten

LEITARTIKEL: Energiebauten

Michael Hascher zur langen Geschichte der modernen Kraftwerke.

FACHBEITRAG: E-Werk Luckenwalde

FACHBEITRAG: E-Werk Luckenwalde

Ira Mazzoni über ein ehemaliges Kraftwerk, das als Kreativort mit “Kunststrom” reaktiviert wurde.

FACHBEITRAG: Pumpspeicherwerk Niederwartha

FACHBEITRAG: Pumpspeicherwerk Niederwartha

Gunnar Klack über ein Kraftwerk aus dem Jahr 1930, das für die rasante Entwicklung des modernen Stromnetzes steht.

FACHBEITRAG: Müll­verbrennungs­anlage Spittelau

FACHBEITRAG: Müll­verbrennungs­anlage Spittelau

Karin Berkemann über einen Bau der 1970er Jahre und eine Idee von Friedensreich Hundertwasser.

INTERVIEW: "Das war eine klassische Schnapsidee"

INTERVIEW: “Das war eine klassische Schnapsidee”

Andree Weißert über die Idee des Atomtellers und ihre Folgen.

PORTRÄT: Sendungs­­bewusste Kraftwerke

PORTRÄT: Sendungs­­bewusste Kraftwerke

Daniel Bartetzko über Musik als Industriekultur, denn: Waren Pink Floyd Kohlekraft, so sind Kraftwerk Kernenergie.

FOTOSTRECKE: Lollipops

FOTOSTRECKE: Lollipops

Mit langen Belichtungszeiten halten Fotograf:innen die Windräder an, mit einem überraschenden Effekt.

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