Im Rheinland hatte die evangelische Landeskirche ein Bausystem mit zwei Typen aufgelegt. Für diese “versetzbaren Kleinkirchen” wählte man aus einem Wettbewerb (1959), nach verschiedenen Probebauten auch anderer Architekten, zwei Montagesysteme für die Serienfertigung: Vom zeltförmigen Typ A (Helmut Duncker mit Martin Görbing, Düsseldorf) entstanden so mindestens 27 Stück, vom flachgedeckten Typ B (Otto Leitner mit Johann Huf, Unterpfaffenhofen bei München) waren es mindestens acht Exemplare. Vor allem die Duncker-Kirchen erfreuten sich großer Beliebtheit, da sie Pragmatik mit einer besonderen Raumstimmung zu verbinden wussten. Bis heute strahlen diese Montagebauten etwas von der Bescheidenheit aus, die Otto Bartning ab 1948 mit seinen Notkirchen zum Programm erhoben hatte. Im Fall der rheinischen Kleinkirchen war sie zusätzlich erwünscht, um die Predigtstätten nicht zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Sie sollten ein Provisorium bleiben und später zur nächsten Gemeinde weiterwandern.
In Düsseldorf steht eine dieser, hier 1962 vom Diakonischen Werk errichteten Typenkirchen im Westener Feld, die ursprünglich als Orthodoxes Zentrum für Exil- und Diasporagemeinden diente. Der Holzmontagebau wurde 2008 abgegeben an die orthodoxe Gemeinde zu den Heiligen Erzengeln und lief seitdem unter dem Patrozinium Hl. Nikolaus von Myra. 2016 stand der Bau zum Verkauf, inzwischen hat die orthodoxe Gemeinde ihre ehemalige Gottesdienststätte verlassen. Sie plant – mit einem zu überbrückenden Interim – den Umzug in die “ehemalige Krankenhauskapelle und die erneuerten bzw. neu errichteten Räume in der Hospitalstraße 1 in Düsseldorf-Benrath”. Die neue Eigentümerin der Holzkirche im Werstener Feld, die rumänisch-orthodoxe Gemeinde, soll auf dem Areal einen Neubau planen, der Abriss soll unmittelbar bevorstehen. (kb, 11.12.21)
Düsseldorf, Hl. Nikolaus, 2009 (Bild: Wiegels, GFDL oder CC BY SA 3.0)
Mitte der 1960er Jahre kamen die beiden großen christlichen Konfessionen für einen Moment nah zusammen: Die einen witterten die Reformluft des Zweiten Vatikanischen Konzils, die anderen stellten die Gemeindearbeit zunehmend selbstbewusst neben die Liturgie. In beiden Fällen wurde der langgestreckte Kirchenraum gerne gestaucht oder gerundet, immer öfter umfingen die Bänke oder Stühle nun das liturgische Geschehen. Doch Protestant:innen und Katholik:innen teilten auch ein Problem. Nach Kriegsende hatte sich mit den Flüchtlingsströmen die traditionelle konfessionelle Verteilung verschoben. In ehemals katholisch geprägten Regionen waren wachsende evangelische Gemeinden entstanden (und umgekehrt), und beide forderten passende Räumlichkeiten. Dafür suchten die Kirchenleitungen in den 1960er Jahren nach preisgünstigen Lösungen. In den daraufhin entwickelten Fertigbausystemen war die längsgerichtete Zeltform besonders beliebt. Was sich konstruktiv als praktisch erwies und zeitgleich ebenso bei Ferienhäusern (Finnhütten) Schule machte, füllten die Theologen nur allzu gerne mit geistlichem Gehalt. Ob “wanderndes Gottesvolk” oder “Zelt Gottes unter den Menschen”, diese neuen Kirchen weckten hohe Erwartungen.
Links ein programmatisch bescheidener Duncker-Typ des rheinischen Kleinkirchenprogramms: Düsseldorf, Hl. Nikolaus (Bild: Wiegels, GFDL oder CC BY SA 3.0, 2009); rechts der repräsentativere Prototyp der Frank-Kirchen der Diözese Rottenburg-Stuttgart: Dusslingen, St. Paulus (Bild: Hansjörg Lipp, CC BY SA 2.0., 2012)
Wanderkirchen und Betonzelte
Im Rheinland wurde durch die evangelische Landeskirche in den 1960er Jahren ein Bausystem mit zwei Typen aufgelegt. Für diese “versetzbaren Kleinkirchen” wählte man aus einem Architekturwettbewerb (1959) nach verschiedenen Probebauten zwei Montagesysteme für die Serienfertigung: Vom zeltförmigen Typ A (Helmut Duncker mit Martin Görbing, Düsseldorf) entstanden so mindestens 27 Stück, vom flachgedeckten Typ B (Otto Leitner mit Johann Huf, Unterpfaffenhofen bei München) waren es mindestens acht Exemplare. Der Vorzug der Duncker-Kirchen lag darin, dass sie viel Pragmatik mit einer besonderen Raumstimmung zu verbinden wussten. Bis heute strahlen diese Montagebauten etwas von der Bescheidenheit aus, die Otto Bartning mit seinen Notkirchen (ab 1948) zum Programm erhoben hatte. Im Fall der rheinischen Kleinkirchen wurde die gestalterische Zurückhaltung zudem genutzt, um die Predigtstätten nicht zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Sie sollten ein Provisorium bleiben und später zur nächsten Gemeinde weiterwandern.
Wo man im Rheinland eine Holzkonstruktion ausbildete, wählte die Diözese Rottenburg-Stuttgart ein anderes Material: “Zwischen 1964 und 1975 wurden 26 Kirchen des Typs Frank aus vorgefertigten Stahlbetonteilen zusammengesetzt”, zählt die Kunsthistorikerin Ulrike Plate in ihrem Grundsatzbeitrag zu den süddeutschen Systemkirchen. Bis Mitte der 1970er Jahre kam das Bistum auf insgesamt rund 100 Fertigbauten, denn neben der Frank-Kirche verfügte man über Modelle der Architekten Paul Nagler (1962-1967) und Gerold Reutter (1964-1975, 1968-1975). Der Herrenberger Architekt Wilhelm Frank hatte seine Pläne 1963 vorgestellt, mit dem er den hölzernen Nagler-Typ weiterentwickelte. Für eine Sitzzahl von 200 bis 240 wurden über einer Grundfläche von 25 x 16,3 Metern acht Binder aufgerichtet, die ebenso wie die Wandelemente in Stahlbeton gehalten waren. Im Inneren ergänzten sich backsteinsichtige Wandflächen mit den betonsichtigen Bindern und der hölzernen Deckenverschalung. Für dieses Konzept interessierten sich seinerzeit nicht nur die Gemeinden der Diözese, sondern auch das Militärbischofsamt in Bonn.
Links ein künstlerisch akzentuiertes Beispiel des norddeutschen Kapellenbaupogramms, hier nach einem Entwurf von Henry Schlote: Dahme, Geroldskapelle (Bild: kirche-grube.de); Rechts eine der späten Frank-Kirchen mit reicher Ausstattung: Ellwangen, Hl. Geist (Bild. Ovaaron, via mapio.net)
Zeichenhaft und beweglich
In den 1960er/70er Jahren entstand in Schleswig-Holstein ein evangelisches “Kapellenbauprogramm”. Entlang von zwei Wettbewerben (1961/69) wurden standardisierte Lösungen ausgebildet, die man lokal um individuelle Entwürfe ergänzte. Auch hier fanden sich unter den Grundmodellen verschiedene Varianten des Zelt-Typus. Während der Architekt Henry Schlote ebenfalls ein langgestrecktes Firstzelt schuf, ging sein Berufskollege Hanns Hoffmann einen Schritt weiter. Sein Wettbewerbsbeitrag von 1961 wurde mehrfach im Rahmen des Programms umgesetzt, doch jedes Mal vor Ort angepasst. Dabei variierte er das Vier-, Sechs- und Achteck hin zu einem zwar noch liturgisch gerichteten, aber gestalterisch zentralisierenden Gottesdienstraum, den eine Faltdecke zeltartig zusammenbindet.
Während der Norden zuletzt bei individuellen Lösungen landete, perfektionierte das Bistum Rottenburg-Stuttgart seine Serienfertigung. Nach einem Prototyp erwarb man von Frank das Recht, weitere Kirchen dieses Modells zu errichten. Für jede Umsetzung erhielt der Architekt einen Pauschalbetrag, die Urheberrechte blieben bei ihm. Zur Vorfabrikation wurden verschiedene Anbieter verpflichtet (z. B. die Betonwerke Schwieberdingen), nur die Innenausstattung erfolgte individuell vor Ort. Was beide Konfessionen bei ihren Typenkirchen teilten, war die Freude am warmen Holz- und Backsteinton. Dabei hielten die rheinischen Protestant:innen ihr Konzept bewusst bescheiden, doch schon die norddeutschen Lutheraner:innen zeigten einen wachsenden Kunstsinn und auf katholischer Seite siegte rasch die Freude am Feierlichen. Neben der Öl- und Wirtschaftskrise waren es dann wohl auch die neuen liturgischen Bedürfnisse, die dem Serienkirchentum beider Konfessionen vorerst ein Ende setzten. Mit den beginnenden 1970er Jahren wurde der gerichtete Standardraum vom orts- und gemeinschaftsbezogenen Zentrum abgelöst.
Links eine Entwicklung hin zum Zentralraum: Grundriss-Entwürfe von Hanns Hoffmann im Kapellenbauprogramm (Bildquelle: hanns-hoffmann.de); rechts der längsgerichtete Gottesdienstraum: Fertigteilkirche “Typ Frank”, Grundriss (Bildquelle: Merkle, Gottlieb, Kirchenbau im Wandel, Rottenburg-Stuttgart 1973)
Wer sich keine Kirche leisten kann, der leiht sich eine – und gibt sie weiter, wenn er sie nicht mehr braucht. Nach diesem Prinzip wurden im Rheinland in den 1960er Jahren “versetzbare Kleinkirchen” produziert. Aus einem Wettbewerb (1959) hatte man – nach verschiedenen Probebauten auch anderer Architekten – zwei Montagesysteme für die Serienfertigung ausgewählt: Vom zeltförmigen Typ A (Helmut Duncker mit Martin Görbing, Düsseldorf) entstanden so mindestens 27 Stück, vom flachgedeckten Typ B (Otto Leitner mit Johann Huf, Unterpfaffenhofen bei München) waren es mindestens acht Exemplare. moderneREGIONAL sprach mit dem Kunsthistoriker Dr. Martin Bredenbeck (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland) über die Besonderheiten der rheinischen Kleinkirchen. Die untenstehende virtuelle Karte gibt einen Überblick zu Standort, Nutzung und Wanderung von ausgewählten Modellen. (Text/Kartenrecherche: K. Berkemann, 14.4.21)
Interview mit Dr. Martin Bredenbeck (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland)
Ludwig, Matthias, “Lieb’ Holstein, mußt mehr Kirche bauen!” Zum Kapellenbauprogramm der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins, in: Ludwig, Matthias (Bearb.), „… viele kleine Kirchen“. Das Kapellenbauprogramm der 1960er Jahre in Schleswig-Holstein (Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 2), hg. vom Landesamt für Denkmalpflege, dem Evangelisch-Lutherischen Kirchbauverein für Nordelbien und dem Nordelbischen Kirchenamt Kiel, Kiel 2011, S. 34–76.
Lütters, Herbert (Hg.), Neue Kirchen im Rheinland, hg. von der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1963.
Ein brutalistischer Geheimtipp am Rand der Offenbacher City.
Titelmotiv/unten: Modell der Typ-A-Kleinkirche (Titelmotiv) nach einem Entwurf von Helmut Dunckerund der Typ-B-Kleinkirche nach einem Entwurf von Otto Leitner (Bilder: kunst und kirche 1960, eingefärbt)