von Ralf Liptau

Nach Berlin geht es für den Denkmalschutz nun auch in München abwärts. Und das mal im durchaus positiven Sinne: Wie die Süddeutsche Zeitung vermeldet – und das noch vor dem 1. April – stehen ab sofort fünf U-Bahnhöfe der sog. Olympialinie in Schwabing unter Schutz. Wegen ihrer künstlerischen und historischen Bedeutung hat das zuständige Landesamt die Stationen entlang der U3 gelistet. 1972 waren sie pünktlich zur Eröffnung der XX. Olympischen Spiele der Neuzeit ans Netz gegangen. Ihre Besonderheit: Geplant vom U-Bahnreferat der Stadt München unter Leitung des Architekten Garabede Chahbasian, zeugen sie bis heute von dem Willen, das durch Olympia befeuerte, neue, fröhliche Selbstbild der Landeshauptstadt auch unterirdisch in Szene zu setzen. So unterscheiden sich die mit aufwändigen Sichtbetongestaltungen, handwerklich hergestellten Wandverkleidungen und durch Kunst am Bau zusätzlich aufgewerteten Stationen wesentlich von den kurz zuvor errichteten Stationen etwa der U6.

Denkmalpflege geht unter die Erde

Gute Nachrichten also für München und die dortige Denkmalliste – doch der eigentliche Witz dieser jüngsten Unterschutzstellungen geht über die bayerische Landeshauptstadt hinaus. Die Eintragungen verstärken einen Trend, einen Erkennens- und Erkenntnisprozess, der inzwischen in vielen deutschen U-Bahn-Städten eingesetzt hat. Die Erweiterung oder Neuerrichtung eines U-Bahnnetzes ist in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend gewesen für das Selbstverständnis sämtlicher Großstädte, die sich als moderne Metropolen begriffen. Mögen im Einzelnen und vor Ort auch je leicht abweichende Beweggründe zum U-Bahnbau geführt haben, ist die Gleichzeitigkeit dennoch frappierend: West-Berlin hat sein bestehendes Netz ab den 1950er Jahren erheblich ausgebaut, ebenso Hamburg ab den frühen 1960ern. München und Nürnberg haben ab den späten 1960ern geplant und seit den frühen 1970ern gebaut.

Gleiches gilt für Systeme, die im engeren – technischen – Sinne keine U-Bahnsysteme sind, bei denen weite Streckenabschnitte in der Nachkriegszeit dennoch unterirdisch angelegt worden sind und daher die Planung unterirdischer Stationen erforderlich gemacht haben. Beispiele hierfür sind Stuttgart (ab 1966), Köln, Frankfurt/Main (beide ab 1968), Bonn (ab 1975) und Bochum (ab 1979). Seither täglich eher beiläufig genutzt und wenig beachtet, ist der U-Bahn(hofs)bau als genuin nachkriegsmoderne Bauaufgabe und potentieller Denkmalbestand erst seit Kurzem ins Blickfeld geraten.

Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt

Angestoßen durch die Berliner “Initiative Kerberos” sind auf dem Gebiet des ehemaligen West-Berlin seit 2016 insgesamt 23 U-Bahnstationen der 1950er bis 1980er Jahre in die Denkmalliste eingetragen worden. Die Unterschutzstellung der wenigen Ost-Berliner Stationen aus den späten 1970ern und 1980ern, bei denen es sich um die einzigen in der DDR errichteten U-Bahnhöfe handelt, wird durch das Berliner Landesdenkmalamt derzeit noch geprüft.

Auch das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland prüft derzeit die Unterschutzstellung von unterirdischen Stadtbahnstationen in Bonn. Auf einer internationalen Tagung zum U-Bahnbau der Nachkriegszeit, die die ‚Initiative Kerberos‘ Anfang 2019 gemeinsam mit ICOMOS Deutschland und dem Landesdenkmalamt Berlin durchgeführt hat, sind auch Unterschutzstellungen für Hamburg, Stuttgart und Frankfurt/Main gefordert worden. Auch in Nürnberg, Köln und Bochum gibt es noch einiges zu entdecken.

Urbanes Selbstverständnis

Der Trend geht also zum Baudenkmal im Untergrund. Zur Einsicht, dass das Selbstverständnis der jeweiligen modernen Großstadt in den 1950er bis 1980er Jahren wesentlich im Untergrund verhandelt worden ist und nicht zuletzt deshalb zu einer enormen Bandbreite gestalterischer Lösungen geführt hat. Das heutige Selbstverständnis der Städte zeigt sich – nicht zuletzt – daran, wie sie mit diesem historischen Zeugnis umzugehen in der Lage sind. (2.4.20)

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