von Ralf Liptau

Wahrscheinlich würde er sich dagegen wehren, würde man ihn als slowakischen Nationalarchitekten bezeichnen: In einem Interview von 2007 hat der 1929 geborene Vladimír Dedeček die Idee einer eigenständigen sozialistischen Moderne als „Unfug“ bezeichnet. Die europäische Kultur sei auch im 20. Jahrhundert als gemeinsamen Wurzeln gespeist worden. Eine eigenständige slowakische Nationalarchitektur – mit zugehörigem Nationalarchitekten – kann es in dieser Logik also erst recht nicht geben.

Slowakischer Nationalarchitekt?

Dennoch: Dedeček gehört zur ersten Generation von Architekten, die direkt in der Slowakei ausgebildet worden sind, ihr Studium also nicht, wie vorher meist üblich, in Prag oder Wien absolviert haben: Erst Ende der 1940er Jahre ist mit der heutigen TU Bratislava eine eigene Architekturfakultät in der Slowakei gegründet worden, bereits 1953 machte Dedeček hier seinen Abschluss, um dann ab den frühen 1960er Jahren zu einem der wichtigsten “slowakischen” Architekten zu werden.

Mit seinen Werken – darunter etwa das in den 1960er Jahren errichtete Slowakische Nationalarchiv, die bis 1979 errichtete Erweiterung der Nationalgalerie, zahlreiche Schulen und Hochschulen sowie die bis 1989 errichteten Messebauten – hat er nicht nur ein bildmächtiges Oeuvre geschaffen, das das Land bis heute prägt. Er hat zudem der im Nachgang des Prager Frühlings ab Ende der 1960er Jahre zunehmend eigenständigen Slowakischen Sozialistischen Republik zu einer para-nationalen Infrastruktur verholfen. Also doch, und trotz aller Schwierigkeiten, die der Nationalbegriff gerade in Bezug auf das 20. Jahrhundert mit sich brächte: Dedeček, ein Baumeister der Nation?

Kostbare Uneindeutigkeit

Vielleicht ist es – neben ästhetischen Vorlieben, die sich naturgemäß historisch wandeln – gerade diese Uneindeutigkeit, die dazu führte, dass sich die Slowakei nach der Samtenen Revolution 1989 und der 1993 vollzogenen nationalen Eigenständigkeit mit der Moderne der vorangegangenen Jahrzehnte insgesamt, und darunter aber eben auch mit dem Werk  Dedečeks, schwer getan hat. Gerade an der jahrelangen Diskussion um Abriss oder Sanierung seines Neubaus der Nationalgalerie zeigt sich dies beispielhaft. Umso erfreulicher, dass man sich vor Ort für die zwar umfangreiche, aber dennoch behutsame und wertschätzende Sanierung entschieden hat, die derzeit abgeschlossen wird. Dedeček selbst wird die Wiedereröffnung nun nicht mehr erleben – er ist am 29. April 90-jährig in Bratislava verstorben. (14.5.20)

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