moderneREGIONAL im Gespräch mit Julia Novak und Thomas Beutelschmidt – beide haben die “Baudenkmalstiftung Nachkriegsmoderne” (DSD) initiiert (21/2)

Am Anfang war eine Pumpe, genauer gesagt eine jener Wasserpumpen, die der Architekt und Designer Fridtjof Schliephacke 1969/70 für Berlin entworfen hat. Bis vor Kurzem stand sie vor der Haustür von Julia Novak (*1968) und Thomas Beutelschmidt (*1953). Am Tag des offenen Denkmals zeigten und erklärten sie Interessierten “ihre” Pumpe – und weckten damit nicht zuletzt das Interesse der städtischen Denkmalpflege. Solche Aktionen sind typisch für die Kuratorin und den Publizisten: Sie begeistern am Kleinen für das Große, für die Architektur der Nachkriegsmoderne. moderneREGIONAL sprach mit beiden über ihre Projekte, eine Treuhandstiftung (Deutsche Stiftung Denkmalschutz, DSD) und die Frage, wie gute Architektur klingt.

Die (West-)Berliner Schliephacke-Pumpen waren bis auf wenige Ausnahmen in Grün und Blau gehalten (RAL 6005 und 5013) gehalten. Bei “Karl Hentzsch Maschinenbau” in Spandau entstanden die typischen Elemente der Pumpe: das Gestängerohr mit aufgesetztem Kolben, der einarmige Schwengel und der untere Austritt

(Bilder: das Exemplar vor der Haustür von Julia Novak und Thomas Beutelschmidt in Berlin-Wilmersdorf, das im November 2020 abgebaut und eingelagert wurde, Fotos: Thomas Beutelschmidt)

mR: Frau Novak, Herr Beutelschmidt, Berlin ist voll von guter “großer” Architektur. Warum hatten Sie sich für den Tag des offenen Denkmals 2020 ausgerechnet diese Pumpe ausgesucht?

Tomas Beutelschmidt: In seinem jüngsten Buch “Bedeutsame Belanglosigkeiten” lenkt der Architekturhistoriker Vittorio Lampugnani den Blick auf “Mikroarchitekturen”, auf die allzu oft übersehenen Gebrauchsobjekte und Möblierungen in den Städten. Vor unserer Haustür wäre das eine der Schliephacke’schen Wasserpumpen. Lange prägten sie die Straßen von Berlin, doch heute sind sie immer schwerer zu erhalten. Und Ersatzteile bekommt man auch keine mehr …

Julia Novak: Deshalb haben wir uns am Denkmaltag mit Interessierten an der Pumpe getroffen und etwas über ihre Geschichte erzählt. Am Anfang hat die Gruppe mit Verwunderung reagiert: Warum gerade diese banale Pumpe? Aber je konkreter, je greifbarer dieses Objekt für sie wurde, desto neugieriger haben sie nachgefragt. Am Ende konnten wir am Kleinen für das Große sensibilisieren.

TB: Auch das Landesdenkmalamt wurde aufmerksam. Es will “unsere” Pumpe ins städtische Depot aufnehmen und damit dauerhaft als Belegstück sichern.

moderneREGIONAL: Solche Aktionen sind Teil Ihres Engagements für die “Baudenkmalstiftung Nachkriegsmoderne – Ars longa, Vita brevis”, die Sie 2017 ins Leben gerufen haben.

TB: Es handelt sich um eine Treuhandstiftung unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Dafür wurden die inhaltlichen Ziele in einer eigenen Satzung festgehalten: Wir wollen das Bewusstsein für den historischen Wert und die Qualitäten der Baukultur des späteren 20. Jahrhunderts in West- und Ostdeutschland schärfen. Dafür sollen konkrete Projekte zur Dokumentation und zum Erhalt unterstützt werden.

“Vor einigen Tagen wurde die erste derartige Pumpe im Pop-Stil und grünblau lackiert in der Donaustraße in Neukölln aufgestellt. Die Zahl der gegenwärtig rund 800 Pumpen auf öffentlichem Straßenland in den zwölf Bezirken soll in den nächsten Jahren erheblich zunehmen“ – aus: Die Welt, 6. Oktober 1970

(Bild: Julia Novak und Thomas Beutelschmidt am Tag des offenen Denkmals 2020 an “ihrer” Schliephacke-Pumpe in Berlin-Wilmersdsorf, Foto: Fridolin Freudenfett, CC BY SA 4.0)

mR: Warum konzentrieren Sie sich auf die Nachkriegsmoderne?

JN: Wir wollen Dinge nach vorne bringen, die wir selbst schätzen …

TB: … und diese Zeit liegt für uns auch biografisch nahe – ich bin in Frankfurt am Main mit der Nachkriegsmoderne aufgewachsen.

JN: Gemeinsam haben wir uns in den letzten 20, 30 Jahren in verschiedenen Projekten mit den Filmen, der Literatur und der Architektur der Nachkriegszeit auseinandergesetzt. Nicht zuletzt wohnen und arbeiten wir in einem Vorläufer dieser Epoche: einem Kulturdenkmal im Stil des Neuen Bauens.

TB: Die Phase der Postmoderne ist dann eher eine Sache der Generation, die nach uns kommt. Für uns wäre das noch zu nah an der Gegenwart und damit auch schwer zu vermitteln.

“Im Bericht ‘Meine vier neuen Briefmarken’ schreiben Sie, daß die neuen Straßen-Einheitspumpen nach dem Senatsarchitekten Gerhard Rümmler benannt wurden. (..) Der Senator für Bau- und Wohnungswesen bestätigte mir im Mai 1981 in einem Schreiben: ‚Die Gestaltung und der Entwurf der abgebildeten Pumpen sind von Ihnen als Architekt erarbeitet worden'” – Leserbrief von Fridtjof Schliephacke, aus: BZ (Berliner Zeitung), 3. Dezember 1982

(Bild: Weg der Berliner Wasserpumpe: vom Lauchhamer- (um 1895) und Krause-Brunnen (1920er Jahre) über die Schliephacke-Pumpe (1969/70) bis zur sechseckigen Säule (2010er Jahre), Grafiken: SupapleX, CC BY SA 4.0)

mR: Was ist das nächste Projekt der “Baudenkmalstiftung Nachkriegsmoderne”?

TB: Eine Musik-CD, damit soll eine Brücke zwischen dem immateriellen und materiellen Erbe geschlagen und das optimistische Lebensgefühl der Nachkriegsmoderne vermittelt werden. Für 2021, das “Jahr der Orgel”, wollen wir zeitgenössische Jazz-Titel der 1960er und 1970er Jahre zusammenstellen – mit “electronic devices” wie der Hammond-Orgel und dem Synthesizer. Das Besondere daran: Die Titel wurden im MPS-Aufnahmestudio (Musik Produktion Schwarzwald) produziert, das selbst als “Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung” eingetragen ist.

mR: Für die Treuhandstiftung haben Sie einen Teil Ihres Erbes eingebracht. Weitere Zustiftungen von Dritten sind sehr willkommen. Wenn morgen die Nachricht käme: “Wir haben eine große Spende für Sie!” Was wäre Ihr Traumprojekt? Geld spielt keine Rolle …

JN: Mein “Riesenbaby” wäre der “Mäusebunker” (lacht) – die ehemalige Tierversuchsanstalt in Berlin-Steglitz, die zusammen mit dem Hygieneinstitut der Charité ein einzigartiges brutalistisches Ensemble bildet. Dann könnten wir bei den Verantwortlichen anrufen und sagen: “Wir nehmen ihn!” Oben kämen Künstler hinein, unten auch etwas Kreatives. Ideen hätten wir genug …

Das Gespräch führte Karin Berkemann.

Thomas Beutelschmidt und Julia Novak, Initiator:innen der Treuhandstiftung, vor dem "Modulor" von Le Corbusier an der Fassade der Berliner "Unité d'habitation" von 1957 (Bild: Louis Saul)

Thomas Beutelschmidt und Julia Novak – beide haben die Treuhandstiftung initiiert – vor dem “Modulor” von Le Corbusier an der Fassade der Berliner “Unité d’habitation” von 1957 (Foto: Louis Saul)

Thomas Beutelschmidt und Julia Novak, Initiator:innen der Treuhandstiftung, vor dem "Modulor" von Le Corbusier an der Fassade der Berliner "Unité d'habitation" von 1957 (Bild: Louis Saul)

Titelmotiv: Thomas Beutelschmidt und Julia Novak – beide haben die Treuhandstiftung initiiert – vor dem “Modulor” von Le Corbusier an der Fassade der Berliner “Unité d’habitation” von 1957 (Foto: Louis Saul)



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