Im Wiesbaden der 1950er Jahre machte das Bonmot von der „Rimplwelle“ die Runde. Gemeint war der rhythmisch gereihte Parabelbogen, das Wiedererkennungszeichen des Architekten Herbert Rimpl. Mit dieser ostentativen Leichtigkeit prägte er im Wiesbaden der Nachkriegszeit nicht nur den Kirchen-, sondern auch den Verwaltungsbau. Aber, der Reihe nach: Am 18. Oktober 2015 traf man sich im gut gefüllten Salon Schuricht des Kurhauses zum Vortrag „Die Bedeutung der Wiesbadener Nachkriegsarchitektur“. Der Wiesbadener Architekt Hans-Peter Gresser führte kenntnis- und bildreich durch die zweite Moderne der Beamtenstadt und ihre baulichen Zeugnisse.

Schwungvolle Leichtigkeit

Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Kulturerbe“, denn auch Wiesbaden will UNESCO-Welterbe werden. Hier kann die mondäne Residenzstadt vor allem mit ihrem Jahrhundertwende-Bädercharme punkten. Doch die Landeshauptstadt hat auch eine bemerkenswerte moderne Seite. In den ersten Jahren hatten die Architekten mit dem Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Teilbereiche zu tun. Es folgten erste Stadterweiterungen in aufgelockerter Zeilenbauweise, um die amerikanischen Soldaten angemessen unterzubringen. Den großen Wurf plante Ernst May in den 1960er Jahren im Auftrag der Stadt: Nur Teile seiner Vision von einem aufgelockerten autogerechten Wiesbaden mit hochhausgekrönten Trabantensiedlungen wurden umgesetzt. Was die Beamtenstadt bis heute prägt, sind die nachkriegsmodernen Ämter, Ministerien und Verwaltungskomplexe.

Hier griff Gresser u. a. das Bundeskriminalamt mit seinen markant wellenförmig geschwungenen Dächern heraus – die Rimpl-Welle. Nach seinem Studium in München hatte sich Herbert Rimpl (1902-78) einen Namen gemacht mit modernen Industriebauten, darunter das Oranienburger Heinkel-Werk. In der NS-Zeit erhielt er auch repräsentative städtebauliche Aufträge von Herrmann Göring oder Albert Speer. Nach dem Krieg wirkte Rimpl als freier Architekt mit eigenem Büro in Mainz und Wiesbaden. In der hessischen Landeshauptstadt setzte er, über Projekte im Wiederaufbau hinaus, das besagte Bundeskriminalamt (1954) oder in Biebrich die Heiliggeistkirche (1960) um.

Ein weltläufiges Kulturerbe

Über den Vortrag hinausweisend, brachten auch die klaren 1960er und die auftrumpfenden 1970er Jahren in Wiesbaden bemerkenswerte Baukunst hervor. So gruppierte das Staatsbauamt 1960 das Finanzamt um einen weltläufigen Innenhof oder setzte 1977 eine japanisch anmutenden Kantinenbau in die Mitte des Schiersteiner Behördenzentrums. Nicht jede Nachkriegsschönheit schaut heute in eine gute Zukunft: Das r + v-Hochhaus am Kureck (1971) z. B. ist auf den Abriss hin beräumt, den die Rhein-Main-Hallen (1957) schon hinter sich haben. An der dortigen Neu-Baustelle prangt unübersehbar die Aufschrift: „Flexibilität“. An sich ein guter Rat, denkt man an eine pragmatische Erhaltung und ggf. behutsame Anpassung von Baukunstwerken der Nachkriegsmoderne in der mondänen Beamten-und Bäderstadt, die nach höheren Weltkulturerbeweihen strebt. (kb, 18.10.15)

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