„Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“ Goethe, natürlich, womit sonst könnte man eine deutsche Preisverleihung würdiger eröffnen. Die Kunsthistorikerin Kerstin Wittmann-Englert tat dies aus gutem Grund, denn aus ihrer Sicht haben wir – so der bekanntere Anfang des Faustzitats – etwas von unseren Vätern ererbt, das wir erst erwerben müssen, um es wirklich zu besitzen. Es geht um Kirchenbauten, die offensichtlich historischen ebenso wie die nachkriegsmodernen. Ausgelobt hatte die Wüstenrot Stiftung einen Wettbewerb für die besten Projekte, wie man eben jene Kirchen in die Zukunft führen und erhalten könne. Und Letztere sieht (vor allem für die Räume der Nachkriegsmoderne) bundesweit nicht rosig aus

Problemlöser

Die Gründe der Misere sind bekannt: weniger Mitglieder, weniger Geld, gleichbleibend viele Kirchenbauten. Doch sieht die Wüstenrot Stiftung hier eher „Herausforderung und Chance“, ließe sich dieser Schatz doch für Kirche und Kommune gleichermaßen heben. Die Resonanz auf den Wettbewerb gibt den Initiatoren Recht, gingen doch stolze 291 Bewerbungen aus dem gesamten Bundesgebiet ein, davon wurden insgesamt neun prämiert, darunter mehrheitlich Nachkriegskirchen. Die Preise überreichte die Wüstenrot Stiftung am 27. April im Stuttgarter Hospitalhof, selbst ein Vorzeigebau für Kirche in der Stadt. Den Auftakt bildete am Nachmittag ein Kolloquium, das mit Vor- und Impulsbeiträgen sowie einem anschließenden Podium das Thema grundsätzlich einkreiste.

Denn, so einig sich alle waren, dass die Kirchen eine gute Zukunft verdienen, so unterschiedlich fielen die Positionen aus, was dieses „gut“ bedeutet. Da zeigte Reinhard Miermeister, Landesbaudirektor der Evangelischen Kirche in Westfalen, viele behutsame Nutzungsöffnungen mit kirchengemeindlichem Schwerpunkt. Und im Kopf und in der Diskussion blieb doch der eine Umbau zum Restaurant (Bielefeld, Glück und Seligkeit). Geht das, Essen, Tanzen, Modenschauen in einer Kirche? Für Wittmann-Englert, die stellvertretend für die Fachjury vortragend zur Preisverleihung überleitete, geht es in den meisten Fällen nicht. Denn Kirchen seien – mit dem Philosophen Michel Foucault gesprochen – Heterotopien. „Andersorte“, welche die Schwelle zu einem Raum inszenieren, der den Blick zur Transzendenz hin lenkt.

Das böse A

Steht und fällt Kirche aber mit dieser Heterotopie, dann wird es bei einer Umnutzung schwierig (Entschuldigung: herausfordernd und chancenreich). Bleibt dann nur die Alternative „Andersort“ oder Abriss? Ist es doch häufig eben jener „sakrale Mehrwert“, der einen Kirchenbau für einen Käufer oder Neu-Nutzer interessant macht. Die Wüstenrot Stiftung und ihre Fachjury jedenfalls prämierten bewusst solche Projekte, die Kirchen als öffentliche Räume stärken und ihre vorhandenen architektonischen Qualitäten noch unterstreichen. Daher wurde auch nicht „nur“ die jeweilige Gemeinde ausgezeichnet, sondern immer auch der Architekt mit dazu bedacht und auf die Bühne gebeten.

Was bleibt? Glückliche Preisträger, die zu Recht bestärkt und beschenkt nach Hause zogen, wohlwollende Gäste, die sich mit freuten und mit dachten, und engagierte Fachleute, die sich mit immer neuem Herzblut in eine Fragerunde warfen, die sie seit den 1980er Jahren in wechselnder Besetzung führen – wohl wissend, dass auch sie keine endgültige Antwort finden sollten. Und natürlich eine Wanderausstellung, die rund 20 vorbildhafte Einsendungen aus dem Wettbewerb bundesweit herumzeigen will. Auf dass die guten Beispiele Früchte tragen! (kb, 27.4.16)

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