Es gehört zu den Ungerechtigkeiten eines Akademikerlebens, dass einem erst das Geld und dann die Wohnung ausgeht für all die Bücher, die man gerne besitzen möchte. Nicht nur leihen oder kopieren oder downloaden, sondern besitzen, lesen, wieder hervorholen und um sich haben. Für die Publikation „Architekturen des Gebrauchs“, mit der Christopher und Dina Dorothea Falbe im Weimarer Verlag Mbooks sechs öffentliche Bauten der 1960er und 1970er Jahre aus Ost- und Westdeutschland vorstellen, habe ich freudig einen meiner wenigen Rest-Stellplätze hergegeben. Hier bekommt der geneigte Leser viel Buch für sein Geld. Doch lassen Sie sich nicht von der äußerst gelungenen Verpackung täuschen – der Inhalt hat es in sich.
Alles eine Frage der Perspektive
Erfurt, Alte Parteischule (Bild: Christopher Falbe)
Potsdam, FH (Bild: Christopher Falbe)
„Gebäude sind nicht in ihrer Substanz politisch, sondern werden es durch die gesellschaftliche Wahrnehmung – und die verändert sich mit der Zeit“, so die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort. Damit weist die Architektin und Architekturjournalistin Dina Dorothea Falbe dem Nutzer und Betrachter einen aktiven Part zu. So wichtig es ihr ist, die Urspungsideen der Erbauer darzulegen, so stark macht sie auf der anderen Seite die Formen und Spuren der heutigen Aneignung. Denn, egal wie allumfassend der Ewigkeitsanspruch so mancher Architekturtheorie der Nachkriegsjahrzehnte gewesen sein mag: Die Räume waren für den Gebrauch gedacht und haben sich durch diesen Gebrauch verändert. (Und es bleibt der Wunsch, dass sich dieser Prozess auch in den folgenden Jahrzehnten fortsetzen darf.) So ist es nur konsequent, dass die beiden Herausgeber nicht allein ihren eigenen Blick auf die ausgewählten Bauten in Text (Dina Dorothea Falbe) und Bild (Christopher Falbe) darlegen. Bei fünf der sechs Objekte werden diese ergänzt um Beiträge weiterer Autoren und um Interviews mit Vertretern der Erbauergeneration.
Deutschlandreise
Potsdam, FH (Bild: Christopher Falbe)
Ludwigshafen, Hauptbahnhof (Bild: Christopher Falbe)
Die Auswahl der porträtierten Objekte – sechs aus ungezählt vielen öffentlichen Bauten der 1960er und 1970er Jahre in den ehemals beiden deutschen Staaten – wird nicht groß begründet, sie wird gesetzt. Sie ist naturgemäß ebenso eine subjektive wie es jede Wertung durch den Leser ist: Das direkte Umfeld der beiden Herausgeber zeigt sich mit dem Flughafen Schönefeld und der FH Potsdam gut vertreten. Der Süden wird mit der Alten Parteischule Erfurt und dem Hauptbahnhof Ludwigshafen leicht touchiert, der Norden über das Rathaus Elmshorn vorgestellt und Hannover mit einem seiner Betonschätze, mit der Medizinischen Hochschule, gewürdigt. Gemeinsam ist diesen öffentlichen Bauten, dass sie gerade inmitten des zur These des Buchs ausgerufenen Wahrnehmungswandels stehen. In einer der von Thomas Köchlin so treffend gestalteten Infografiken wird greifbar: Als das Buch in den Druck ging, war die Mehrzahl der ausgewählten Beispiele bereits mit einem Fragezeichen (Abriss, Neubauwettbewerb u. a.) versehen. Manches davon hat das Erscheinen des Buchs nur noch knapp erlebt, bevor die Demontage begann.
Funktioniert
„Architekturen des Gebrauchs“ auf der Shortlist des DAM Book Award 2017 (Bild: M Books Weimar)
„Architekturen des Gebrauchs“ (Bild: Buchcover, D. und C. Falbe)
Die mit viel persönlicher Liebe ausgewählten und porträtierten Bauten wurden nicht nur zwischen zwei wohlgestaltete Buchdeckel, sondern auch zwischen zwei rahmende Beiträge von Dina Dorothea Falbe gepackt. Darin wagt sie den weiten Blick darauf, warum Menschen wie bauen, was das über sie damals und uns heute aussagt und warum das alles für morgen unverzichtbar ist. Da laufen mal eben rasch die großen Theoretiker von Plato bis Walter Benjamin durchs Bild. Das kann man lesen und mögen, man kann das Buch aber auch einfach so genießen – den formidablen Baubeschreibungen folgen, die wundervoll aufgeräumten Bilder wirken lassen und in die charmant-informativen Interviews abtauchen. Die Einzelteile, die einem sehr großen Gedanken folgen sollen, funktionieren auch sehr gut einzeln – und das spricht ausdrücklich nicht gegen, sondern für dieses schöne Buch. Kommen Sie, so viel Regalplatz haben Sie sicher noch! (kb, 16.3.18)
Titelmotiv: Hannover, Medizinische Hochschule (Bild: Christopher Falbe)