Im hessischen Loheland konnten Louise Langgaard und Hedwig von Rohden – beide reformbewegte Gymnastinnen mit Kontakt zu Rudolf Steiner – ihrer Lehre 1919 endlich einen festen Ort geben. Heute gilt Loheland als älteste anthroposophische Siedlung Deutschlands, die u. a. auf Planungen des Gartenarchitekten Max Karl Schwarz zurückgeht. Einige der Bauten, die hier in den folgenden Jahrzehnten entstanden, ersetzten den rechten Winkel durch viel Fantasie. Doch daneben war ebenso Platz für viele schlaue Provisorien und ungewöhnliche Einzellösungen, die heute Historiker wie Denkmalpfleger vor spannende Fragen stellen – erste Antworten darauf gibt nun eine frisch erschienene Publikation.

Gymnastik, Handwerk und prägende Bauten

Der neue Tagungsband, herausgegeben in der Reihe “Arbeitshefte des Landesamts für Denkmalpflege Hessen”, widmet sich den vergangenen fast hundert Jahren wechselvoller (Bau-)Geschichte dieser besonderen Frauensiedlung. Zunächst standen die Loheländerinnen vor der Herausforderung, die notwendigsten Räume zu schaffen: das Holzhaus für die Landwirtschaft (1919), den Rundbau für die gymnastischen Übungen (1920), Wohnhäuser, Werkstätten und Trafostation (1923) – und erste prägende Steinbauten wie das hochaufragende Evahaus (1924), das organische Steinhaus (1925) und den expressiven Franziskusbau (1925/1982).

Im regen Austausch mit den Anthroposophen, dem Bauhaus oder dem Werkbund erarbeitete man sich in den 1920er Jahren einen guten Ruf. Man bildete eine ganze Frauengeneration im Sinne einer ganzheitlichen Wahrnehmungsschulung und betrieb erfolgreich kunstgewerbliche Werkstätten. Auch die Loheländer Tänzerinnen, allen voran Eva-Maria Deinhardt und Berta Günther, erregten Aufmerksamkeit. Baulich halfen günstige Holzbauten durch die wirtschaftsschwachen Jahre: wie die charmante Post (1927), das naturoffene Sutorhaus (1933) oder die experimentelle „Waggonia“ (1927), eine holzverkleidete Verbindung von vier Vierte-Klasse-Eisenbahnwaggons.

Nach 1933 suchte Loheland einen Mittelweg: Man bildete für das neue Regime Gymnastiklehrerinnen aus und blieb zugleich eines der letzten Refugien für bombengeplagte Freidenker. Nach Kriegsende wurde weiter gelehrt und gebaut – vom Wiesen- (1958) bis zum Giebelhaus (1962). Langsam gewann die Waldorfschule mit ihren Um- und Neubauten der 1980er Jahre an Bedeutung. Ein Versuch, die ruhende Gymnastinnen-Ausbildung wiederzubeleben, endete 2009 (vorerst) endgültig. Doch rücken Geschichte und Bedeutung Lohelands in den letzten Monaten wieder neu in den Mittelpunkt, nicht zuletzt weil die Sanierung erster bedeutender Bauten der Siedlung ansteht oder bereits angelaufen ist.

Neu erforscht und frisch veröffentlicht

Nun haben die Stiftung Loheland und das Landesamt für Denkmalpflege Hessen die besondere Geschichte des Orts in einem Buch aufgearbeitet. “Die Frauensiedlung Loheland in der Rhön und das Erbe der europäischen Lebensreform”, die Dokumentation zweier Fachtagungen des letzten Jahres, wurde in einer kleinen Feierstunde am 29. Mai 2016 in Loheland der Öffentlichkeit vorgestellt. Der reich bebilderte Band bündelt nicht allein erste Forschungsergebnisse zu Loheland und seinen Bauten. Darüber hinaus stellen rahmende Fachbeiträge die hessische Siedlung auch in ihren weiteren Kontext – vom Monte Verità bis zum Bauhaus. Im Anschluss an die Buchvorstellung standen Eva- und Sutorhaus, die aktuell mit Landesmitteln denkmalgerecht saniert werden, noch einmal zum Besuch offen. Parallel fand der beliebte Kunst- und Handwerkermarkt statt, denn die bald hundertjährige Frauensiedlung zeigt sich aktuell höchst lebendig. (kb, 17./29.5.16)

Griesbach, Dieter/Wolf, Sören (Bearb.), Die Frauensiedlung Loheland in der Rhön und das Erbe der europäischen Lebensreform. Beiträge zur Fachtagung am 29./30. Mai 2015 und zum Waggonia-Workshop am 8. Oktober 2015 (Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen 28), Theiss-Verlag, Darmstadt 2016, 144 Seiten, 21 x 30 cm, ISBN: 9783806233643.

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