Zwei Akademiker stehen mit Mundschutz vor einer brutalistischen Architektur. Er redet in die Kamera, sie auch. Dann zückt sie den Kleisterpinsel und beide heften ein Plakat an eben jenes Gebäude. Mit diesem Video warben Anselm Wagner und Sophia Walk im Wintersemester für ihre Projektübung an der TU Graz, in der Architekturstudierende die Bauten zwischen 1945 und 2000 “be-gutachten” sollten. Ziel waren kleine beschreibende und wertende Texte mit Plänen und Fotografien, die besondere Objekte vorstellen. Dafür durchforsteten die Studierenden zu zweit ausgewählte Außenbezirke der Stadt auf mögliche Denkmalkandidaten hin. Bis Ostern soll daraus eine Zeitung entstehen, die den Verantwortlichen und Multiplikatoren vorgelegt wird.
Anselm Wagner und Sophia Walk vor der Markthalle Eggenberg – aus dem Einladungsvideo (öffnet beim Klick aufs Bild) zur Projektübung der TU Graz (Bild: Screenshot)
Der Hintergrund ist in Graz nicht viel anders als anderswo im deutschsprachigen Raum: Die Bauten der Nachkriegsjahrzehnte geraten unter Druck – Sanierungsstau, sich wandelnde Bedürfnisse und Anforderungen bedrohen das jüngere Kulturerbe der Stadt. Der Denkmalschutz kann mit dem immer rascher werdenden Wandel kaum mithalten. Hinzu kommt eine gewisse Vorliebe für die klassischen Bauten, die in Graz noch dazu meist in der geschützten Altstadtzone liegen. Die Randbezirke fallen dabei allzu oft noch hinten runter. So sind in den letzten Jahren einige bedeutende Architekturen dieser Ära abgerissen oder wenig sachgerecht umgestaltet worden, wie z.B. das Studentenwohnhaus Hafnerriegel (Werkgruppe Graz, 1963) oder die Raika Andritz (Team A, 1980).
Graz, Hypo-Bankfiliale (Emil Bernard, 1974–1975, 2000) (Bild: Alena Köstl/Anastasiia Kutsova)
Gestern wurden die Ergebnisse der Grazer Projektübung virtuell im kleinen Kreis vorgetragen – mit dabei drei externe “Gastkritiker” (Markus Bogensberger, Pablo von Frankenberg und die Verfasserin). Während die Studierenden ihr Vorgehen und ihre Auswahl begründeten, entspannen sich Diskussionen um die großen Grundfragen: Darf die Nutzungsoffenheit eines Gebäudes seine Unterschutzstellung beeinflussen? Wie emotional werbend muss ein Denkmaltext sein? Und braucht es vielleicht sogar eine Quote für Gattungen oder Stile, damit nicht ein individueller Geschmack die Auswahl verdirbt? Am Ende zeigten sich die Mitwirkenden offen auch für die jüngsten Architekturen – immerhin hätten die 1990er noch etwas von qualitätvollen Baudetails verstanden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen ihre Zeitungen fleißig studieren und das ein oder anderen in die Praxis zu übertragen wissen. Denn so viel haben die Studierenden bereits jetzt unübersehbar belegt: In Graz gibt es viel schützenswerte Moderne zu entdecken. (kb, 29.1.21)
Graz, Wohnhochhaus (Theodor Culk, Heinrich Gottwald, Viktor Reiter, 1957–1964) (Bild: Cornelia Ott/Lisa Presnik)
Graz, Haus Behmel (Viktor Winkler, 1972–1973) (Bild: Cornelia Ott/Lisa Presnik)
Graz, Wohnanlage Kroisbach (Team A (Franz Cziharz, Herbert Missoni, Ignaz E. Holub), 1966–1973) (Bild: Cornelia Ott/Lisa Presnik)
Graz, Bürogebäude (Atelier Schiefer, 1987–1990) (Bild: Jakob Bock/Darlene Pudil)
Graz, Fliesen Leeb (Leeb Condak Architekten (Peter Leeb, Christina Condak), 1998–1999) (Bild: Alena Köstl/Anastasiia Kutsova)
Graz, Kindergarten Salvator, ehem. Jugendhaus Seelsorgezentrum Graz-Nord) (Karl Raimund Lorenz, Peter Reitmayr, 1966–1969, 2012) (Bild: Cornelia Ott/Lisa Presnik)
Graz, Fernheizwerk Graz-Süd (Ferdinand Schuster, 1960–1964) (Bild: Alena Köstl/Anastasiia Kutsova)
Graz, Schule Alt-Grottenhof bzw. Internatsanbau Ekkehard-Hauer-Schule (Manfred Zernig, 1986–1987, Abriss geplant) (Bild: Alena Köstl/Anastasiia Kutsova)
Titelmotiv: Graz, Haus Zusertal (Michael Szyszkowitz + Karla Kowalski, 1979–1981) (Bild: Cornelia Ott/Lisa Presnik)