von Johann Gallis

Seine Bauten gelten als Manifestationen des modernen Burgenlandes. Am 12. Dezember ist der Architekt Herwig Udo Graf mit 83 Jahren in Eisenstadt verstorben. 1940 in Wiener Neustadt geboren, studierte Graf 1958–1964 an der Technischen Hochschule Wien bei zentralen Persönlichkeiten der österreichischen Architektur wie Erich Boltenstern, Karl Schwanzer, Rudolf Wurzer oder Karl Kupsky. Noch in seiner Studienzeit absolvierte Graf 1962 einen für ihn sehr prägenden mehrmonatigen Aufenthalt im Büro des finnischen Architekten Aarne Ehojoki. Nach Abschluss des Studiums und Tätigkeit in mehreren Wiener Architekturbüros, kehrte er 1965 ins Burgenland zurück und wurde in Mattersburg Mitarbeiter bei dem in der Region etablierten Architekten Julius Kappel (1904–1993). Von hier aus startete er – vor allem durch zahlreiche Wettbewerbsgewinne – eine beispielhafte Karriere in einem von Modernisierungsschüben und Aufbruchsstimmung geprägten Burgenland der Ära des SPÖ-Landeshauptmanns Theodor Kery. In den 1970er Jahren zählte das Büro Graf – neben jenem seines Kollegen Matthias Szauer – zum meistbeschäftigten des Bundeslandes.

Herwig Udo Graf: Aufbahrungshalle Kaisersdorf , 1972-75 (Bild: Robert Heilinger, CC BY-SA 4.0)

Grafs mehr als 300 Bauten und Projekte umfassendes Werk hat einen Schwerpunkt im öffentlichen Sektor, hier umfasst es nahezu alle Typologien – vom Kulturzentrum zum Schulbau, vom Gemeindeamt  zum Verwaltungsbau. Besondere Bedeutung erlangten Graf und Matthias Szauer als Hauptvertreter des „Burgenländischen Brutalismus“. Das Bauen mit Sichtbeton beschäftigte Graf seit den späten 1960er-Jahren und entwickelte sich, oftmals in Kombination mit Fenstern aus edlem Mahagoni, zu seinem Markenzeichen. Skulpturelle Details wie Wasserspeier oder Vordächer verliehen den Gebäuden Gestalt und entsprachen der Suche nach einer neuen baulichen Identität auf Ebene der Landespolitik. Trotz seines Schwerpunkts auf öffentliche Bauten, umfasst Grafs Oeuvre auch zahlreiche Bauten für den Fremdenverkehr, die Gastronomie und im privaten Bereich, wo er mit einer Reihe Interieurs einzigartige Zeugnisse des gehobenen Wohnens der 1970er-Jahre im Burgenland realisiere, dazu zählt auch seine eigene Wohnung in Oberwart mit offenem Kamin, Schwimmbad und Dachgarten verwandelte.

Herwig Udo Graf in seinem Büro um 1976 (Bild: Architekturzentrum Wien Sammlung, Nachlass Herwig Udo Graf)

Mit dem in den Jahren 1973 bis 1976 nach Grafs Plänen errichteten Kulturzentrum Mattersburg, dem ersten der von Gerald Mader initiierten, in Österreich einzigartigen Kulturzentren im ländlichen Raum, schuf er das paradigmatische Gebäude eines kulturpolitischen Pilotprojekts, in dem sich die politische Aufbruchsstimmung baulich manifestierte. Mit dem „KUZ“ erreichte der „Burgenländische Brutalismus“ seinen Höhepunkt. Sowohl in programmatischer wie auch architektonischer Hinsicht schuf Graf einen Gesamtkomplex, in dem sich seine bei zahlreichen Projekten gesammelten Erfahrungen und architektonischen Modi verdichteten, steigerten und zu einem Kunstwerk vereinigten. Mittels abwechslungsreicher, flexibler Raumfolgen mit zahlreichen Attributen der Wohnarchitektur der Zeit wie offener Kamin, Sitzgruppen, dem massiven Einsatz von Holz sowie der Leitfarbe Orange schuf Graf eine neue Typologie und brachte dabei eine gehobene Wohnatmosphäre in ein öffentliches Gebäude. In einer „rauen Hülle“ verbirgt sich ein „wohnliches Inneres“: Was auf den ersten Blick als Gegensatz wirkt, wird zum komplementären Zusammenspiel.

Kulturzentrum Mattersburg, Foyer während der Eröffnungswoche (Bild: Archiv Sonja Sieber)

Neben seinen schalreinen Sichtbetonbauten zeigt sich Grafs Innovationsgeist und Experimentierfreudigkeit auch in seine zahlreichen Holzbauten am Neusiedlersee, die einen weiteren Schwerpunkt des vielseitigen Werkes bilden. Es war vor allem die Form des Nurdachhauses in Holzbauweise, die er in unterschiedlichen Maßstäben für diesen sensiblen Landschaftsbereich adäquat erachtete. Auch hier trafen bewusste Bezugnahmen auf internationale Tendenzen, die Graf geschickt mit den lokalen Materialien Holz und Schilf zu einem neuen Ganzen zu vereinen und mit einer exquisiten, am Puls der Zeit gehaltenen, eigens entworfenen Einrichtung zu komplettieren wusste. Dies, ohne im Geringsten in historisierende Verlegenheitslösungen zu verfallen, wie viele Planer in den folgenden Jahren der Postmoderne. Ausgehend von seiner eigenen Seehütte – der „Urhütte“ – in Rust (1968), entstanden in der Form von Nurdachhäusern weiters das Seerestaurant Breitenbrunn (1969), mit dem das Burgenland jahrelang touristisch beworben wurde, die Feriensiedlung „Romantika“ in Rust (1969) sowie zahlreiche private und öffentliche Folgebauten.

Oberpullendorf, Club Discothek Krail (hist. Postkarte, Archiv Johann Gallis)

Nachdem die großen öffentlichen Bauoffensiven im Burgenland Anfang der 1980er-Jahre zu Ende gegangen waren, zog sich Graf, der bis in die 2000er-Jahre sein Architekturbüro betrieb, vor allem auf das Feld des sozialen Wohnbaus zurück. Sein vielschichtiges Frühwerk geriet – nicht zuletzt aufgrund eines ambivalenten Rezeptionsprozesses – in Vergessenheit. Erst durch die Debatte über die Zukunft des Kulturzentrums Mattersburg setzte ab 2014 ein längst überfälliger Diskurs über den Umgang mit den Bauten der Nachkriegsmoderne und des Brutalismus ein. Obwohl nur wenige Teile der Fassaden in Mattersburg kulissenartig erhalten blieben, führte gerade diese Abriss-Debatte zu einem Umdenken und einer Neubewertung der Bauten dieser für das Burgenland so entscheidenden und prägenden Zeit: 2018 wurde vom Bundesdenkmalamt eine umfassende Inventarisierung der Nachkriegsarchitektur in Auftrag gegeben. Heute stehen u.a. die von Herwig Udo Graf geplante ehemalige „Sauerbrunner Sparkasse“ in Mattersburg (1970–1972), die Aufbahrungshalle Kaisersdorf (1972-1975) und die Volksschule Strem (1968–1973) unter Denkmalschutz. Das Archiv von Graf befindet sich seit 2017 in der Sammlung des Architekturzentrum Wien (AzW). Dokumente vom Kulturzentrum Mattersburg sind in der Schausammlung des Architekturzentrums „Hot Questions – Cold Storage“ im Wiener Museumsquartier zu sehen. Der von „Burgenländische Brutalismus“ ist mittlerweile fester Bestandteil des Kanons der österreichischen Architekturgeschichte und zählt zum vielschichtigen baukulturellen Erbe der damals noch jungen Zweiten Republik. Herwig Udo Graf selbst konnte diese beginnende Wiederentdeckung und Neubewertung noch miterleben.

Mattersburg, Kulturzentrum (Bild: Johann Gallis, 2015)

Mattersburg, Kulturzentrum, Detail (Bild: Johann Gallis, 2015)

Hauptbild: Mattersburg, Kulturzentrum (Bild: Johann Gallis, 2015)

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