Am Bonner Stadthaus hat alles seine Ordnung: Das etwas kuriose Schild “Merken Sie sich Ihre Farbzone!” am Parkdeck weist in nachdrücklichen Worten auf das zeittypische Leitsystem hin. Der Großbau aus den 1970ern war schon umstritten, bevor er gebaut war. Nach dem schlechten Start widerlegte die Praxis die Städtebautheorie, und ein erbarmungsloses Altern sowie mangelnde Pflege versagten der Substanz jegliche Patina. Und doch birgt der im Quadratraster organisierte Verwaltungsapparat architektonische, ja sogar künstlerische Qualitäten – nur, wie kann man die vermitteln und bewahren? „Merken Sie sich Ihre Farbzone!“, steht an der Einfahrt zum Parkdeck, allzu leicht verliert man im Grau also nicht nur sein Auto, sondern auch Überblick und Orientierung. Die Architektur des Stadthauses verweigert die Aussage im menschlichen Maßstab, erst im Zusammenspiel mit der künstlerisch gestalteten Benutzeroberfläche wird sie lesbar. Konstruktive und kinetische Kunst, Architekturfolies und grafisch gestaltete Oberflächen geben dem vernachlässigten Bau mit Farbe, Materialästhetik und Licht ein freundliches Gesicht, lassen ihn sprechen und spielen.

Bonn, Stadthaus vor Demontage der Vorhangscheiben um 2005 (Bild: Qualle, CC BY 2.5)

Doch ob und wie das Stadthaus in die Zukunft geht, ist ungewiss. Während der Zustand der Substanz nicht besser wird, ist der Abriss in einer Stadt, die bis 2035 klimaneutral werden will und muss, keine zeitgemäße Maßnahme mehr. 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen werden von der Bauindustrie verursacht, nicht nur mit Neubauten, sondern vor allem auch durch den Abriss von Bestandsgebäuden. Dabei ist der Abriss in den meisten Fällen gar nicht zwingend, da die Substanz (mit all der im Beton gebunden Grauen Energie) im Vergleich zu vielen Konzepten, Fassaden, Benutzeroberflächen ein langes Leben hat. Man muss nur umdenken, muss das Reparieren wieder als Tugend begreifen, die handwerklichen Fähigkeiten dazu neu erlernen und entsprechend wertschätzen. Damit dieser Wandel im Kleinen und Großen gelingt, muss jedoch die Politik (zum Beispiel in Bonn, Berlin und Brüssel) die richtigen Entscheidungen treffen. Ideen für die Zukunft des Stadthauses gibt es viele. Wichtige Themen sind Sicherheit und Sauberkeit, Erschließung und Annäherung sowie Fassade, Klima und Energie.

Bonn, Stadthaus; Kunst am Bau (Bilder: Uta Winterhager)

Und nun gibt es das Stadthaus auch für den Oberkörper: Eine auf 20 Stück limitierte und nummerierte T-Shirt Edition mit baukulturellem Mehrwert. Unisex-Schnitt, Größen S, M, L, betongrau-meliert, Bio-Baumwolle, Preis 18 Euro (davon 5 Euro Spende an die Obdachlosenhilfe der Caritas, Bonn) zzgl. Porto bei Versand (Bestellungen an winterhagerbuero@t-online.de). Weil der Imperativ auf dem T-Shirt so ohne jeglichen Kontext erscheint, gibt er Anlass zu Fragen und Gesprächen: über das baukulturelle Erbe der letzten Jahrzehnte; darüber, was gute Architektur ist, und wie wir heute manches anders sehen als noch vor ein paar Jahren. Anliegen ist es, mit diesem T-Shirt ein Gespräch anzufangen, lasst uns reden, bevor wir abreißen! (Uta Winterhager, 21.3.23)

Bonn, Stadthaus plus T-Shirt (Bild: Uta Winterhager)

Bonn, Stadthaus plus T-Shirt (Bild: Uta Winterhager)

Das Stadthaus in Zahlen und Links

Architektur Heinle, Wischer und Partner (Stuttgart), Wettbewerb 1968/69, Bauzeit 1973-77, Baukosten 182,5 Millionen DM. Zwei Sockelgeschosse mit Parkdecks, fünf Türme, 6 – 17 Geschosse, maximale Höhe 72 m, Stahlbetonskelettbau konstruktives Raster 8,4 x 8,4 m, 22 Aufzüge, 8 Rolltreppen, 1.500 Arbeitsplätze, Großraumbüros, Ämter, Ratssaal, Kantine, Stadtarchiv, Ladenzeile, Kneipe, Kita, Wohnungen. Pflanztröge, Kunst, S-Bahn-Haltestelle. Die metallbeschichtete Sonnenschutzverglasung wurde 2014 demontiert; Informations- und Leitsystem Arbeitsgemeinschaft Rolf Müller (München) und Stankowski + Partner (Stuttgart).

Kunst am Bau: „Chronos 15“ Nicolas Schöffer 1977 (Ostplateau); „Ruhe“ Ladis Schwartz (Ostplateau); „Wasserlichtfeldspiegel“ Günter Ferdinand Ris (Brücke Süd); Spielplastik Manfred Saul, 1978 (Kindergarten); Spiegelfaltung Rolf Müller, Heinz Wondra (Lichthof); Zeichen“ Fredi Rast (Lichthof); Stankogramme Anton Stankowski (Erschließungsebene)

Zum Weiterlesen:

Stadthaus, Architekturführer der Werkstatt Baukultur Bonn, hier für 5,-€ noch wenige Exemplare erhältlich
Bonn, die Stadtkrone als Apparat, Uta Winterhager in Bauwelt 40-41 2012
Das Haus der Erde, Positionspapier des BDA
Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur – Eine Ausstellung und Publikation des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten BDA
Nicht kaputtschreiben! Zur Pseudodebatte um die Kölner Zentalbibliothek , Uta Winterhager im BauNetz 24.2.2023
Der DAM Preis 2023: Lob der Nachhaltigkeit: Feuilleton Frankfurt Uwe Kammann 30.1.2023
Standort Stadthaus – Chancen einer Transformation, BDA Bonn/Rhein-Sieg, Juli 2022

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