Im ländlichen Raum hat es die Architekturmoderne manchmal besonders schwer. Während sich beispielsweise die Freund*innen des Brutalismus auf die bekannteren Objekte in den Städten stürzen, fehlt es den Baulichkeiten im ruralen Raum an einer Unterstützer*innenschaft; oft sind sind die entsprechenden Gebäude samt ihrer Architekt*innen in der Fachwelt mehr oder weniger unbekannt. So ist es auch beim 1972 eingeweihten Rathaus im oberbayerischen Waldkraiburg. Von den Architekten Wolfgang Boresch und Helmut Xaver Haum entworfen, zählt es zusammen mit den dortigen Kirchenbauten zu den planerischen Höhepunkt der 1950 neu gegründeten „Flüchtlingsstadt“. Zeitgenössisch wurde der Bau durchaus als Symbol des gewonnenen Selbstbewusstseins einer noch jungen Stadt gedeutet. Von den umgebenden Stadtplätzen über Treppen und Rampen erreichbar, thront es nahezu würfelförmig auf einem Plateau über der Innenstadt. Durch umlaufende Arkadengänge wird der öffentlich zugängliche Freiraum hier maximiert, durch die Treppen und Rampen werden interessante Aufenthaltsräume kreiert und für topographische Abwechslung in der sonst so flachen Stadt gesorgt. Massive Blumenkübel aus Beton finden sich innerhalb wie außerhalb des Gebäudes.

Nun soll das ortsbildprägende Rathaus jedoch abgerissen werden. Nach mehreren Anläufen, den Waschbetonbau mit den markanten Fensterbändern einer Sanierung zu unterziehen, kommt es nun doch zum totalen Neubau. Als besonders störend wurde während der mittlerweile über ein Jahrzehnt andauernden Diskussion vor allem die herausgehobene Lage des Gebäudes beschrieben. Das Spiel mit Höhenversprüngen im Stadtraum, das sich in ganz ähnlicher Weise bei der in Sichtweite vom Rathaus liegenden Stadtpfarrkirche Christkönig zeigt, scheint nicht mehr als Mehrwert begriffen zu werden. Man wünscht sich Übersichtlichkeit und maximale Einsehbarkeit auf alle Bereiche der Innenstadt. Der Stadtplatz soll mit dem bislang weniger stark belebt erscheinenden Sartrouville-Platz verschmelzen, das Innenstadterleben damit simplifiziert werden. Der Abriss des bestehenden Rathauses samt Plateau war deshalb eine der wesentlichen Vorgaben beim nichtoffenen Realisierungswettbewerb. Der kürzlich gekürte Siegerentwurf von Riehle+Assoziierte sieht nun die Errichtung eines Solitärbaus vor, der sehr klare Platzkanten definieren wird. Vom alten Rathaus wird jenseits des wiederaufgegriffenen Arkadenmotivs nichts übrigbleiben. (fs, 9.1.22)

Waldkraiburg, Rathaus (Bild: historische Postkarte)

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