Die 41 Jahre, in denen Architekturstudenten und -professoren an der Technischen Hochschule (TH) in Danzig lernten und lehrten, zählten zu den bewegtesten der deutsch-polnischen Geschichte: 1904 wurde die TH gegründet, 1920 der „Freistaat Danzig“ ausgerufen, 1939 die Stadt an das Deutsche Reich angegliedert und 1945 die gesamte „Abteilung Architektur“ aus Danzig evakuiert. Nicht genug, dass der Lehrbetrieb damit in einem hochpolitisierten Umfeld stattfand. Die Lehrenden und Lernenden verstanden ihre Arbeit selbst als untrennbar mit der sie umgebenden Geschichte verbunden. Und diesem Ansatz wollten sie auch gestalterisch Ausdruck verleihen – zu diesem Schluss kommt die Kunsthistorikerin Katja Bernhardt in ihrer aktuell im Gebrüder-Mann-Verlag erschienenen Publikation „Raum – Stil – Ordnung. Architekturlehre in Danzig 1904–1945“.
Architekten ausbilden – „Ordnung“ schaffen
Bernhardt folgt in ihrer umfassend recherchiert und durch einen großen Anhang gestützten Untersuchung drei Leitfragen: Welche historischen Faktoren bestimmen die Danziger Fachdiskussion? Welche Grundlinien prägten sie (im Vergleich zum zeitgenössischen Diskurs)? Und wie wirkte sich dieser Diskurs auf die Gestaltung und Wahrnehmung der Stadtlandschaft von Danzig aus? Denn, so Bernhardt, schon die Gründung der Hochschule im Jahr 1904 folgte nationalpolitischen Interessen: die Region zu modernisieren und damit besser ins Deutsche Reich zu integrieren. Zunächst war die Danziger Architekturlehre noch dem Stilbegriff eines Carl Schäfer verschrieben. Rasch wurden die Professoren in das regionale Baugeschehen eingebunden, vom neuen Projekt bis zur Denkmalpflege.
Die damit eng verknüpfte Herleitung architektonischer Formen aus der Geschichte blieb das Hauptmerkmal der Danziger Architekturlehre, die unter Friedrich Ostendorf ihr Leitbild anpasste: weg vom „Stil“, hin zum „Raum“. Der „Osten“ wurde zum „Kolonisationsgebiet“ erklärt, der durch die architektonische Planung zu ordnen sei. Mit der Ausrufung des Freistaats ließen sich auch am Lehrstuhl Reformansätze durchsetzen – und „Mitglieder der Abteilung“ stellten sich „selbstbestimmt und offensiv in die Dienste der Deutschtumspolitik“. Die damit zum großen nationalen Erbe hochstilisierte Kulturlandschaft im „deutschen Osten“ wurde dabei kurzerhand nach sehr westlich gedachten Maßstäben saniert, angepasst, begradigt. Diese „totale Ordnung“ wurde spätestens mit der nationalsozialistischen Regierungsübernahme in Danzig von 1939 zum erklärten Ziel – auch und gerade im „historischen“ Stadtbild.
Der Diskurs geht weiter …
Resümierend lehnt es Bernhardt ab, die Danziger Architekturlehre vor 1945 nach Kategorien wie „modern“ oder „traditionalistisch“ zu bewerten. Die Verwurzelung in der Historie, die allerdings mit den Jahren von einer „Geschichtsversessenheit“ zu einer dogmatisch aufgeladenen „Geschichtsvergessenheit“ mutierte, zählte hier gerade als Begründungsrahmen für eine ordnende Architekturgestaltung. Diese Suche nach Ordnung, in einer Zeit der zerfallenden Strukturen, könne zu einem Hauptmerkmal der „Moderne“ werden. Und der Leser ist versucht, nach diesem quellenreich belegten Plädoyer für eine Kontinuität im geschichtsbezogenen Danziger Architekturdiskurs bis 1945, auch den Wiederaufbau der Stadt nach Kriegsende in einem neuen Licht zu sehen. (kb, 4.10.15)