Das umfassende Buch, das Karin Wilhelm, Johann Sauer und Nicole Opel kürzlich bei jovis publiziert haben, startet mit zwei Zitaten. Eines steckt gleich im Titel: „Berlin kommt wieder!“. Dieses Zitat stammt zwar nicht von den Architekten Paul Schwebes und Hans Schozsberger, deren Werk die drei Autor:innen aufarbeiten, es zieht die Leser:in aber sofort in seinen Bann. Die Stimmung ist klar: es geht um den Wiederaufbau in West-Berlin und um den Stil der Nachkriegsmoderne. Im Geist gesellen sich weitere Werbesprüche wie „Jeder einmal in Berlin“ oder „Wir sind wieder Wer“ hinzu. Die Verheißung des Titels wird auf dem Vorsatzpapier verstärkt. Dargestellt ist der Straßengrundriss der Berliner City-West, in den grafisch reduziert die realisierten und geplanten Bauten von Schwebes und Schozsberger eingetragen sind. Ich beginne sofort zu entdecken, wiederzuerkennen, erlebe kleine Überraschungen und freue mich schon auf den nächsten Sonntagsspaziergang. Für unterwegs sollte man sich allerdings lieber ein Foto der Karte mitnehmen, denn das 456 Seiten starke Buch eignet sich nicht für Handtasche oder Rucksack (und wäre dafür auch viel zu Schade).

Den großen Umfang ihres Buches unterstreichen die Autor:innen auch selbst, indem sie ein zweites Zitat an den Anfang des Buches stellen: „Lassen Sie anderen Forschungsgenerationen auch noch was.“, Tilmann Buddensieg. Daran haben sie sich ziemlich sicher nicht gehalten. Im insgesamt 300 Seiten füllenden Werkkatalog dürfte wohl nichts fehlen, was die beiden Architekten jeweils einzeln und in den zwölf Jahren ihrer gemeinsamen Bürotätigkeit entworfen haben. Der Katalog enthält zahlreiche Dokumente aus unterschiedlichen Archiven; nicht realisierte Bauten sind ebenso zu finden wie verworfene Vor- und Zwischenideen bekannter Projekte. Deutlich werden auch die unterschiedlichen (werk)biografischen Hintergründe und Voraussetzungen von Paul Schwebes und Hans Schoszberger, die beide bereits seit den 1920er Jahren als Architekten in Berlin gearbeitet haben. Sowohl Hans Schoszberger (1907-1997), der als „Halbjude“ galt, als auch Paul Schwebes (1902-1978) blieben während des Nationalsozialismus und in den Kriegsjahren in Berlin, wo sie an einigen wenigen Projekten arbeiteten. Doch erst im Bauboom des Wiederaufbaus fanden sie zusammen und bildeten von 1956 bis 1958 eine enorm produktive Bürogemeinschaft, die (nicht nur) zwischen Bikinihaus, Hochhaus am Zoo und Telefunken-Hochhaus fraglos einige der baukünstlerisch bedeutsamsten Bauten der Nachkriegsmoderne in Deutschland, vielleicht sogar in Europa, geschaffen haben.

Die zum Teil wundervollen historischen Fotografien zeigen die klare Linienführung, das edle und harmonisch ausgewählte Material sowie die schwungvolle Leichtigkeit der Bauten in ihrer ursprünglichen Form, noch bevor viele Umbauten ihre Spuren eingeschrieben haben. Fortschritt, Zukunft, Hoffnung und ja, ein gewisser Reichtum sowie Blicke in die USA sind an diesen Bauten abzulesen – und offenbar sorgsam haben die Fotograf:innen damals darauf geachtet, dass vor den neuen Häusern ein, zwei Autos parken, die die Attribute der Architektur unterstreichen. All dies charakterisiert die damalige Zeit. Am eindrucksvollsten aber wird das Zeitkolorit in diese Werkschau getragen, wenn die Architekten selbst – beispielsweise durch ihre Briefe – zu Wort kommen. Und am Ende des Buches, wo historische Dokumente als eine Art „Extra“ angehängt sind, was konzeptionell auf den ersten Blick etwas irritiert. Beim vergnügsamen Durchblättern der Zeitungs- und Broschürenauschnitte werden diese plötzlich zu einem Abspann, der das Leben in und um die Bauten von Schwebes und Schoszberger vor dem inneren Auge zu bewegten Bildern werden lässt. So erscheint plötzlich das gesamte Buch mit seinen vielen Bildern, trotz seiner tadellosen Wissenschaftlichkeit, wie ein Film oder zumindest wie ein Daumenkino der 50er Jahre Architektur in West-Berlin. „Berlin kommt wieder!“, umfassend, klar, beschwingt, ernst und heiter. (pk, 14.4.24)

Karin Wilhelm, Johann Sauer, Nicole Opel: „Berlin kommt wieder!“ Die Architekten Paul Schwebes und Hans Schozsberger, 456 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Zeichnungen, Entwürfe (Farbe und Schwarzweiß), Jovis Verlag, Berlin 2023, ISBN 978-3-98612-002-3.

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Paul Schwebes (ohne Kittel) und Mitarbeiter mit Modell Berliner Disconto Bank AG, um 1950 (Bild: Privatbesitz, Foto: Werner Kornetzki, © Rechtsnachfolger Werner Kornetzki)

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