“Ich hatte doch noch einen Punkt” – Philipp Oswalt stockt im Gespräch mit moderneREGIONAL. Er sucht, das eine treffende Wort zu erinnern, um dieses Bauwerk zu beschreiben. “Aneignungsfähig”, sagt er schließlich, “man kann sich in diesen Bau hineinleben.” Und er meint es als großes Kompliment, denn der Architekt Paul Posenenske hat die Kunsthochschule Kassel 1968 als flexible Struktur angelegt, wie einen Organismus. Oswalt ist selbst Architekt, war Redakteur der Fachzeitschrift Arch+, hat die Stiftung Bauhaus Dessau geleitet. Heute gehört er als Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel zu eben jener Nutzer:innengruppe, die Posenenskes Bau jedes Semester neu in Besitz nimmt. “In den Ateliers gibt es ein Bausystem aus dem Messebau, mit dem man bei Bedarf ein zweites Geschoss einziehen kann”, erklärt er. Was die Hochschule auch in Anspruch nimmt, wenn eine Professur neu besetzt und die zugehörige Werkstatt umgestaltet wird.

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Bis ins Detail

“Der Architekt konnte sein Gebäude in Ganzheitlichkeit entwerfen”, schwärmt Oswalt. Gut, die Stühle, die habe man 1968 dazugekauft. Aber sonst prägte Posenenske so gut wie jedes Detail, bis hin zu den Leuchten. “Alles ist gut durchdacht. Viele haben Freude an diesem Gebäude, es genießt eine große Wertschätzung.” Überhaupt, die Kunsthochschule verströme eine “angenehme Atmosphäre, eine Leichtigkeit und Lässigkeit”, die ihn immer wieder aufs Neue begeistert. Ob der Standort den Unterschied macht? “Natürlich, die Aue, diese große Parklandschaft, darin harmoniert der Bau gut.” Besucher:innen seien von der “labyrinthähnlichen” Raumfolge zunächst oft irritiert, aber genau darin liege der besondere Reiz. Der Blick geht durch die verglasten Fronten mal nach draußen in die Aue, mal nach innen zu den sich abwechselnden kleinen oder größeren Höfen. Doch mit den Jahren hat sich ein Sanierungsstau eingeschlichen. “Die Hochschulen sind ja nicht überfinanziert”, stellt Oswalt halb im Scherz fest – und lenkt die Aufmerksamkeit rasch auf die Vorteile: “Wenn Sie Fotos nach der Fertigstellung vergleichen mit dem Zustand heute, da hat sich an viele Stellen so gut wie nichts verändert. Es ist verblüffend, wie gut dieses Gebäude durch die Zeit gekommen ist.”

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Fassadenfragen

Aktuell ist eine Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes geplant, das im Besitz des Landes liegt. Aber die Arbeiten sollen nicht an einem Stück erfolgen, nicht nach einem einheitlichen Konzept. Stattdessen wurde das Vorhaben in einzelne Maßnahmen aufgeteilt. Zuerst will man die Fassade komplett austauschen, um möglichst viel Energie einzusparen. Was wäre, wagt Oswalt ein Gedankenspiel, wann man die Außenhaut des Gebäudes samt Lüftungstechnik im Originalzustand beließe? Und so viel richtet, dass statt 100 Prozent vielleicht nur 80 Prozent Wärme gespart wird. Zugunsten der denkmalgeschützten Originalsubstanz. “Die Ironie daran ist”, bringt es Oswalt auf den Punkt, “dass die Förderung der Maßnahme an den vollen 100 Prozent Energieersparnis hängt.” Widersinnig, meint er, müsse man doch die graue, besser goldene Energie einbeziehen, die beim Bau 1968 aufgewendet worden ist. Und wenn man die alten Fassadendetails mit neuen Materialien nachstellt, gehe die Rechnung oft bei Ästhetik und Alltagstauglichkeit nicht auf. “Dann müssen Sie auf einmal die Fluchtwege anders legen, die Schiebetüren durch Flügeltüren ersetzen, die Durchgangshöhen vergrößern, sodass die Fassadenstruktur nicht mehr stimmt. Und so ginge das weiter.”

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Kassel, Kunsthochschule (Bild/Titelmotiv: Jonathan Scheder)

Die Nutzer:innen einbeziehen

Eine dritte Variante bringt Oswalt noch ins Spiel. Im Sinne eines ‘living heritage’ sollte man die historische Fassade, wenn man sie ersetzen muss, nicht optisch nachahmen, sondern eine neue entwerfen. “Die Bildfixiertheit der Denkmalpflege ist öfters ein Problem. Ich frage mich: Wie würde Posenenkse mit den heutigen Anforderungen und Möglichkeiten die Fassade neu entwerfen?” Was genau die optimale Lösung sei, wo man am besten nur repariert und der Kraft von Posenenskes Entwurf vertraut, wo man Neues sichtbar ergänzt, daran will er sich im Wintersemester annähern. Mit seinem Kollegen Frank Kasprusch ist an der Universität Kassel ein Entwurfsseminar geplant. “Dabei wollen wir, ganz im Sinne von Posenenske, endlich auch die Nutzer in den Prozess einbeziehen.” Immerhin müssten die Räume heute die doppelte Zahl an Menschen fassen, als es ursprünglich vorgesehen war. Das Ergebnis sieht er offen, vielleicht braucht es doch nur einige wenige Handgriffe an den richtigen Stellen. Aber ein Punkt ist ihm zum Ende des Gesprächs noch wichtig: “Die Kunststudenten kriegen hier seit Jahrzehnten ein beschissenes Mittagessen, die Küche ist einfach für die doppelte Studierendenzahl viel zu klein. Daran müssen wir etwas ändern.” (kb, 21.6.23)

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

Kassel, Kunsthochschule (Bild: Jonathan Scheder)

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