Im Herbst 1957, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Otto Bartning (1883-1959) zwischen seinen beiden prominenten Berufskollegen Le Corbusier und Hans Scharoun abgelichtet. Kein Zufall, spielte er doch schon ab den 1920er Jahren in der ersten Liga der deutschen Architekturmoderne. Eine neue Ausstellung, die zum 30. März in der Berliner Akademie der Künste startet, wagt jedoch die These: Eigentlich wissen wir bislang nur wenig über den Architekten und Theoretiker, Inspirator und Kritiker, Schriftsteller und Berater Otto Bartning. Dem will die Berliner Retrospektive mit originalen Zeichnungen, Fotografien und Architekturmodellen abhelfen – darunter viele bisher noch unveröffentlichte Exponate aus dem Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt, das auch seinen privaten Nachlass umfasst. Anhand dieser neuen Quellen kommen die Ausstellungsmacher zu dem Schluss, dass Otto Bartning in besonderer Weise eine Brücke schlug zwischen dem künstlerischen und dem sozialen Anspruch der Architekturmoderne.

Systemkirchen

Im Schwerpunkt in Deutschland, aber ebenso in anderen europäischen Ländern errichtete Bartning Kultur-, Sozial- und Wohnbauten. Zusammen mit Architekten wie Walter Gropius und Bruno Taut prägte er das Neue Bauen der Weimarer Republik, von 1926 bis 1930 wirkte er als Professor und Direktor der Bauhochschule in Weimar. Doch bekannt wurde Bartning in den 1920er Jahren vor allem durch seine radikal modernen Kirchenentwürfe. Mit seinem (nie umgesetzten) Idealraum der „Sternkirche“ (1922) und der innovativen Montagekonstruktion der „Stahlkirche“ (1928) setzte er nicht nur technisch Zeichen. Darüber hinaus schuf er für den protestantischen Strang der Liturgischen Bewegung neue Konzepte, die Gemeinde im Predigtraum zur Gemeinschaft zusammenzuführen. Nach dem Krieg konnte er seine Erfahrungen im Systembau auf sein legendäres Notkirchenprogramm übertragen: Ab 1946 entstanden so in 43 deutschen Städten Typenkirchen, die größtenteils heute noch in liturgischer Nutzung stehen.

Modellsiedlungen

Nach 1945 gehörte Bartning zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbunds. Als Gründungsmitglied der Sektion Baukunst der Akademie der Künste war er 1955 zudem mitbestimmend für Grundlinien der Architekturentwicklung der jungen Bundesrepublik. Von 1952 bis 1959 leitete er den Wiederaufbau Helgolands an. Nicht zu vergessen die Internationale Bauausstellung „Interbau 1957“ in Berlin: Unter seiner Leitung entstand der Bebauungsplan für das Hansaviertel, deren zentrale Bartningallee nach ihm benannt ist. In Berlin sind darüber hinaus die markante Fächerform der Gustav-Adolf-Kirche (1934) in Charlottenburg, die Notkirche (1949, Offenbarungskirche) in Friedrichshain, die Himmelfahrtkirche (1956) in Gesundbrunnen sowie Wohnblöcke in der Siemensstadt und in der „Reichsforschungssiedlung“ Haselhorst zu nennen.

Hintergrundinfos

Die Ausstellung wird begleitet vom 31. Berliner Denkmaltag am 31. März und einem Symposium vom 9. bis 10. Juni. Ergänzend erscheint ein Katalog mit Texten von Werner Durth, Wolfgang Pehnt und Sandra Wagner-Conzelmann, der Kuratorin der Ausstellung. Die Präsentation „Otto Bartning (1883-1959). Architekt einer sozialen Moderne“ ist nach der Vernissage am 30. März (19 Uhr) bis zum 18. Juni 2017 in Berlin zu sehen. Weitere Stationen sind Karlsruhe (Städtische Galerie Karlsruhe, 22. Juli bis 22. Oktober 2017) und Darmstadt (Institut Mathildenhöhe Darmstadt, 19. November 2017 bis 18. März 2018). (kb, 21.3./7.6./27.7.17)

Karlsruhe, 20. September 2017: Begleitend zur Karlsruher Ausstellung gibt es ein Symposium, u. a. ­mit der Kuratorin der Ausstellung Sandra Wagner-Conzelmann. Bis Oktober werden zudem für einzelne Bartningkirchen Sonderöffnungen und -führungen organisiert.

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