Peter Kulka im Gespräch mit Uwe Bresan

Vor wenigen Tagen verstarb der Architekt Peter Kulka im Alter von 86 Jahren in seiner Heimatstadt Dresden. Seine Bauprojekte prägten die 1990er und 2000er Jahre – vom Sächsischen Landtag in Dresden (1994/2019) bis zur Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) in Leipzig (2006). Noch im Juni 2020 sprach der Architekturhistoriker Uwe Bresan mit Kulka über sein Leben und Schaffen zwischen dem Dresden der 1940er und dem West-Berlin der späten 1960er Jahre – und welche Rolle die Homosexualität dabei spielte.

Uwe Bresan: Sehr geehrter Herr Kulka, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Es soll vor allem auch darum gehen, in wie weit Ihre Homosexualität Einfluss auf Ihren Werdegang und Ihre Arbeit als Architekt in der Vergangenheit hatte. Sie wurden 1937 in Dresden geboren. Also in einer Zeit, in der der Paragraph 175 in seiner schärfsten Form galt. Wie erinnern Sie sich an die Zeit der Verfolgung?

Peter Kulka: Ich hatte wohl, denke ich, sehr viel Glück – vor allem mit meiner Mutter. Der Vater war im Krieg geblieben; sie zog mich und meine beiden Geschwister alleine groß. Wir waren sehr, sehr arm. Aber sie behandelte uns alle drei gleich, auch wenn sie mich wohl besonders mochte. Das veränderte sich auch nicht, als ich mich ihr gegenüber offenbarte. Ich war damals wohl 18 oder 19 Jahre alt. Sie hatte Verständnis und unterstützte mich. Sie akzeptierte auch alle meine Freunde; sie wurden immer in die Familie integriert.

Als viel, viel schlimmer habe ich meine Schulzeit in Erinnerung. Kinder können ja so grausam sein! Dass ich anders bin als die anderen Jungs, wurde mir mit neun oder zehn Jahren bewusst, auch wenn ich dafür damals natürlich noch keine Worte hatte. Die anderen haben das natürlich auch gemerkt. So wurde ich oft gehänselt und beleidigt. Außerdem war ich eher schmächtig und zart gebaut.

Peter Kulka, Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede, 1984–1987 (Bild: ©) Uwe Bresan)

Peter Kulka, Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede, 1984–1987 (Bild: © Uwe Bresan)

UB: Später sind Sie nach Berlin gegangen. Haben Sie das offenere und tolerantere Klima einer Großstadt gesucht?

PK: Die DDR war gegenüber Schwulen etwas toleranter als der Westen. Als junger Maurerlehrling und dann auch in meiner Ausbildung zum Bauführer habe ich keine Diskriminierung erfahren. Ich habe mich auch nie versteckt. Und ich war fleißig und ehrgeizig. Und ich war schon immer sehr offen und herzlich gegenüber den Männern auf der Baustelle. Bis heute ist mir ein guter Kontakt zu meinen Handwerkern wichtig. Ich rede mit denen auf Augenhöhe. Das spüren sie, dass da kein abgehobener Architekt kommt.

Nach Berlin bin ich dann auch wegen meinem damaligen Freund gegangen. Er wollte Maler werden und an der Kunsthochschule Weißensee, die ähnlich dem Bauhaus-Prinzip funktionierte, studieren. Da beschlossen wir beide, uns dort zu bewerben. Ich wollte ja auch Architekt werden, aber ich war ja kein Arbeiterkind, weil mein Vater Architekt war, und meine Schulnoten waren auch nicht so besonders. Die Aufnahmeprüfung hatte ich sofort bestanden. So bin ich über den zweiten Bildungsweg Architekt geworden: Maurerlehre, Ausbildung zum Bauführer und dann eben das Studium in Weißensee.

UB: Dann sind Sie Mitte der 1960er Jahre in den Westen gegangen. Die Zeit gilt ja als bewegt; auch die moderne Schwulen- und Lesbenbewegung hat sich damals formiert. Wie haben Sie ’68 wahrgenommen?

PK: In der DDR habe ich noch kurz unter Hermann Henselmann an der Bauakademie gearbeitet. 1965 bin ich dann nach West-Berlin geflohen. Hier durfte ich bei Hans Scharoun arbeiten und meinen Neuanfang beginnen. Die Studentenproteste haben wir natürlich mitbekommen und ich war natürlich auch auf der Straße. Dabei bin ich auch Dutschke begegnet; und Fassbinder. Ich war natürlich auch für die Rechte der Homosexuellen unterwegs, aber eben nicht nur dafür. Mir ist es immer wichtig gewesen, das Gemeinsame zu betonen; nicht die Unterschiede und das Trennende. Deshalb war ich auch nie ein großer Szenegänger. Ich wollte mich nicht von der Gesellschaft abgrenzen.

Peter Kulka, Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede, 1984–1987 (Bild: ©) Uwe Bresan)

Peter Kulka, Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede, 1984–1987 (Bild: © Uwe Bresan)

UB: Ende der 1970er Jahre gingen Sie dann nach Köln – die Stadt galt damals als Hauptstadt der Schwulen und Lesben in Deutschland –, und arbeiteten hier mit dem Kirchenarchitekten Hans Schilling zusammen. Über ihn entstand auch der Kontakt zur Abtei Königsmünster im sauerländischen Meschede. Sie waren mehrfach für die Mönche tätig. Hatten Sie jemals Probleme mit Ihren u. a. katholischen Bauherren aufgrund Ihrer Homosexualität?

PK: Ach, ich reagiere sehr empfindlich auf Menschen, die ich nicht leiden kann oder mit denen ich nichts anzufangen weiß. Ich kann dann sehr unfreundlich werden. Ich hatte in meinem Leben allerdings das große Glück, mir meine Bauherren oft aussuchen zu können. Wenn ich also von vornherein gemerkt habe, dass die Chemie nicht stimmt, dann habe ich einen Auftrag lieber gleich abgelehnt. Ich habe also nur selten schlechte Erfahrungen gemacht; schon gar nicht bei meinen Arbeiten für die katholische Kirche. Gerade innerhalb der Kirche gibt es ja sehr viele Männer, die sich über ihre homosexuelle Neigung im Klaren sind, sich aber bewusst für ein enthaltsames und zölibatäres Leben entscheiden.

Ich hatte also immer einen sehr guten Draht zu meinen Bauherren. Mit dem Abt von Königsmünster, mit dem ich das „Haus der Stille“ realisiert habe, verband mich eine großartige Freundschaft. Wir sind sogar einmal zusammen mit meinem Auto nach Rom gefahren, zu einem Abt-Treffen. Unterwegs haben wir zahlreiche Klöster in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien besucht, weil ich ihre Bauformen studieren wollte, um meinen Entwurf für Königsmünster besser auszuarbeiten. Ich fuhr damals einen großen, goldenen Ami-Schlitten. Überall, wo wir damit auftauchten, wurden wir überschwänglich empfangen.

UB: In den späten 1980er Jahren arbeiteten Sie eng mit dem Architekten Antoine Laroche zusammen, der 1988 an AIDS starb. In einem Buch, das Freunde und Weggefährten 1991 über ihn heraus brachten, ist von AIDS allerdings keine Rede. In der Einleitung heißt es lediglich, der Architekt sei „nach einer schweren Krankheit gestorben.“ Warum durfte man AIDS damals nicht erwähnen? Weil es ein Hinweis auf seine Homosexualität gewesen wäre?

PK: Ich erinnere mich gut an Antoine. Er hatte ja einige Jahre für mich gearbeitet, bevor er sich selbständig machte. Wir blieben auch danach noch eng befreundet. Wir hatten viele gemeinsame Bekannte und Freunde, unter anderem habe ich über ihn meinen späteren Lebensgefährten Peter Pütz kennengelernt. Ich habe Antoine bis zuletzt immer wieder im Krankenhaus besucht und mich um ihn gekümmert. Es war sehr traurig. AIDS war eine Katastrophe. Dass in dem Buch, das Sie erwähnen, die Umstände nicht benannt werden, kann sicher damit zusammenhängen, Antoine zu schützen. Natürlich traf AIDS vor allem die Schwulen; es war ein Stigma. Ich war allerdings nicht dabei, als das Buch entstand. Ich kann also nicht genau sagen, warum die Herausgeber seinen AIDS-Tod verheimlichten.

Peter Kulka, Benediktinerabtei Königsmünster, Meschede, 1984–1987 (Bild: © Uwe Bresan)

UB: Es gibt nur ein einziges Porträt, in dem über Ihr Privatleben gesprochen wird. Es erschien aus Anlass Ihrer Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum 2005 in einem Baunetz-Spezial. Autor war der langjährige Bauwelt-Chefredakteur Peter Rumpf. Er beschreibt lediglich im letzten Absatz noch kurz Ihr eigenes Wohnhaus und endet dann mit dem lapidaren Satz, hier lebe Peter Kulka „seit einigen Jahren mit seinem Peter und Otto, dem Hund.“ Dieser ominöse Peter wird ja an keiner anderen Stelle des Textes erwähnt, während selbst der Hund immerhin noch eine nähere Erläuterung bekommt.

PK: (lacht) Ja, das ist schon eine ulkige Stelle. Ich weiß noch, dass ich mich schon damals über diese Formulierung amüsiert habe. Ist ja auch irgendwie süß. Der Peter Rumpf und ich sind ja fast gleich alt. Wir sind eine Generation. Und über solche Sachen hat man in unserer Generation zumindest damals eben nicht gesprochen. Dass er „meinen Peter“ überhaupt erwähnt hat, da ist der Peter für seine Verhältnisse schon sehr, sehr mutig gewesen. Aber klar, ich verstehe, auf was Sie hinauswollen. Auch ich ärgere mich immer wieder über den verkrampften Umgang unserer Gesellschaft mit dem Thema Sexualität, im Allgemeinen wie im Besonderen.

UB: Bemerkenswert finde ich an dieser Stelle, dass eine Tageszeitung wie die „Sächsische Zeitung“, anders als die Architektur-Fachblätter, hier ganz offen agiert. Sie haben nach der Wiedervereinigung ein zweites Büro in Dresden eröffnet, und dort viel gebaut, und leben auch wieder, zumindest zeitweise, dort. Als Sie sich hier vor einigen Jahren ein Wohnhaus errichtet haben, widmete Ihnen die „Sächsische Zeitung“ ein langes Porträt; ebenso wie zu Ihrem 80. Geburtstag. Ihr Lebensgefährte Peter Pütz wird in beiden Texten ganz selbstverständlich erwähnt und auch vorgestellt.

PK: Ja, wir sind in Dresden gut aufgenommen worden. Ich durfte den Landtag bauen und beschäftige mich bis heute mit dem Wiederaufbau des Schlosses. Das Klima in der Stadt wird glücklicherweise nicht allein von den Leuten bestimmt, die sich immer montags vor der Semperoper versammeln; oder von dieser neuen Partei, die seit 2014 im sächsischen Landtag sitzt. Mein Mann Peter und ich haben hier schon sehr viel Zuspruch und Wohlwollen erfahren. Und ich habe als schwuler Mann hier auch keine Angst vor Anfeindungen.

UB: Mir ist aufgefallen, dass Sie seit einiger Zeit eine Frau an Ihrer Seite haben: Frau Leers-Kulka. Sie ist Ihre langjährige Büroleiterin, die Sie 2019 adoptiert haben. Ein nicht ganz alltäglicher Schritt!

PK: Ach, Familie habe ich schon. Nur vielleicht nicht im traditionellen Sinne. Ich betrachte mein Büro, meine Mitarbeiter als meine Familie. Meine große Familie! Ich versuche, für alle eine Art Vater zu sein; zuzuhören und zu helfen, wenn es nötig ist. Ich hoffe immer, dass meine Mitarbeiter das auch spüren. Frau Leers, also Katrin, kenne ich seit vielen Jahren. Ich vertraue ihr. Sie ist in ihrer Arbeit sehr akribisch. Zugleich kann ich mit ihr wunderbar über den Machismo, das männliche Machtgehabe, in unserer Branche sprechen. Sie, als Frau, und ich, als schwuler Mann, haben dafür wahrscheinlich eine ähnliche Wahrnehmung. Und wir können uns immer wieder köstlich darüber amüsieren.

Eine Wahrsagerin hat mir mal aus der Hand gelesen, dass ich wohl bis zum bitteren Ende arbeiten werde. „Bauen bis zum Umfallen!“, hat sie gesagt und sie kannte mich nicht – das einzige Mal, dass ich diesen Klimmbimm glaubte. Kein Ruhestand also! Katrin gibt mir jetzt die Zuversicht, dass, wenn ich auf der Baustelle Tod umfallen sollte, jemand meine Arbeit weiterführen und sich um mein Erbe kümmern wird.

Peter Kulka, Wohnhaus KPK (Kulka-Pütz-Krüger), Dresden, 2013–2015 (Bilder: © Uwe Bresan)

Peter Kulka, Wohnhaus KPK (Kulka-Pütz-Krüger), Dresden, 2013–2015 (Bilder: © Uwe Bresan)

UB: Letzte Frage: Ich sehe einem Gebäude natürlich nicht an, ob ein Mann oder eine Frau, hetero- oder homosexuell, es entworfen hat. Gleichwohl schaue ich auf Grundrisse und Details der Einrichtung. Sie verraten mir, wer in einem Haus oder in einer Wohnung lebt; für wen sie eventuell entworfen wurde. Ihre eigene Wohnung in Ihrem Dresdner Haus führt über drei Geschosse, besitzt kaum Wände oder Türen. Man sieht also deutlich, hier wohnt sicher keine fünfköpfige Familie. Dafür entdeckt man auf den Fotos der oberen Wohnebene einen antiken, nackten Jünglingstorso als Einrichtungsgegenstand in einer sehr prominenten Sichtachse. Natürlich könnte ich den als Hinweis auf Ihren bürgerlichen Bildungshintergrund deuten. Ich könnte ihn aber auch als deutliches Zeichen Ihrer homosexuellen Neigung lesen. Was wäre Ihnen lieber?

PK: Ach, der Torso – leider nur eine Kopie. Der ist übrigens aus Beton, so wie die Wand dahinter. Als Architekt bin ich ja Minimalist. Ich liebe einfache, aber sauber gearbeitete Wandflächen. Am liebsten natürlich aus Beton, aus Sichtbeton. Roh, ehrlich. Ich liebe diese kühle Ästhetik. Völlig irrsinnig! Aber als ich diese perfekte, graue Betonwand in unserer Wohnung sah, hatte ich das Gefühl, es müsste einen Kontrast dazu geben. Wir haben dann diesen Torso gießen lassen; in den Berliner Kunstsammlungen. Er ist bewegt, wirft Schatten, wirkt fast lebendig, und bildet damit einen wunderbaren Kontrast zur Wand. Er macht die Ruhe und Perfektion der Wand erst spürbar. So, wie er selbst durch die Einfachheit und Ruhe der Wandfläche an Dynamik gewinnt. Die beiden Elemente, Wand und Statue, ergänzen sich. Das war mein Ziel.

UB: Aber, wenn es Ihnen nur um diesen Kontrast zwischen Vorder- und Hintergrund gegangen wäre, dann hätten Sie ja auch einen weiblichen Akt oder eine Vase mit Blumen vor die Wand stellen können?  

PK: (lacht) Ja, aber wir haben uns dann doch für einen nackten, griechischen Jüngling entschieden. Das liegt mir und meinem Mann dann vielleicht doch näher. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt mir eine herrliche Idee. Am besten wäre natürlich ein echter Jüngling, der einfach den ganzen Tag vor der Wand steht und hin und wieder durch die Wohnung läuft. Das wäre ein toller Effekt. Großartig! Danke für diesen Einfall!

UB: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Uwe Bresan führte das Telefon-Interview mit Peter Kulka am 18. Juni 2020 (9.30 bis 10.30 Uhr).

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