Zugegebenermaßen verspürt die Autorin dieses Textes bei Büchern mit “Symbol” im Titel meist eine akute Lesesperre, denn allzu oft entwickeln sich solche Werke in die Richtung eines bedeutungsschwangeren C. G. Jung. In diesem Fall – beim Sammelband “Symbolische Orte machen”, herausgegeben vom Stadt- und Regionalplaner Thomas Kuder und von der Journalistin Sonja Broy – wäre es allerdings schade gewesen, ihn zur Seite zu legen. Immerhin geht es hier um nicht weniger, als um eine gute Chance für die Stadt.

Ein Gruppending

“Symbolische Orte verfügen in der Regel über einen gewissen Bedeutungsüberschuss” – in ihrer Einleitung weisen Kuder und Broy zu Recht darauf hin, dass das “Machen” (Placemaking) lange mehr auf politischer Ebene ein Begriff war. Doch seit Kurzem haben bürgerschaftliche Initiativen diese Rolle für sich entdeckt, denn Symbole entstehen erst, wenn eine größere Gruppe einem Bau, einem Platz, einem Raum eben jenen geistigen Mehrwert zugesteht. An dieser Stelle biegt der Aufsatzband zwei Pole – die überhöhte Bedeutung eines Symbols und das von Menschen quasi von unten geprägte Profil eines Ortes – mit Kraft zueinander.

In einem raschen Ritt durch die Modelle von Stadtplanung leitet Kuder von den Ein-Genie-organisiert-alles-Fantasien der Nachkriegszeit zu den Selbst-ist-die-Stadt-Ermächtigungen seit dem späten Jahrhundert. Und seit die Stadtplanung entdeckt hat, dass sie am besten Angebote und Steuerungselemente für die Akteur:innen anbietet (und sich dann einfach an dem freut, was dabei herauskommt), geht es immer weniger nur um die reine materielle Gestaltung. Erst wenn Bedeutung zugewiesen, zugestanden wird, bringt es Leben in den urbanen Raum. Und genau hier kommen die für das Buch titelgebenden “symbolischen Orte” ins Spiel, die als Kristallisationspunkte für mehr dienen können und sollen.

Helfen und Hemmen

Durch das Buch zieht sich ein mutig weit gespannter Boten. Nachdem das Grundsätzliche gesagt ist, folgt eine Rundreise durch diverse Beispiele, um zuletzt den Praxistest zu machen und Lernerträge einzusammeln. Ausgangspunkt der kleinen Fallstudien sind die Erfahrungen des Ruhrgebiets, immerhin hat man hier in den 1990er Jahren eine vorbildliche Um- und Neudeutung einer ganzen Region hingelegt. Die Objektauswahl der Autor:innen ist breit gefächert, blendet ebenso geschichts- und problembelastete Orte wie das Berliner Olympiastadion nicht aus. Aber auch andere Beispiele kommen zu Wort: vom Bolzplatz bis zur Ladenzeile in Liverpool.

Nicht zuletzt sind Kirchen vertreten, in einem Sidekick: Der Architekt Achim Pfeiffer vergleicht den Umgang der Denkmalpflege mit Kirch- und Fördertürmen im Ruhrgebiet. Bei Hinterlassenschaften der Industriekultur habe der staatliche Schutz in den 1980er und 1990er Jahren positiv dazu beigetragen, solche Orte mit Bedeutung aufzuladen und ihnen damit eine Zukunftsperspektive zu geben. Bei den Kirchen hingegen, die aktuell in großer Zahl aus ihrer angestammten Nutzung fallen, sei Denkmalpflege häufig ein Hemmschuh, erschwere und verunmögliche das Finden und Umsetzen einer neuen Funktion.

Bedeutungsträger stiften

Das Sympathische an dieser Publikation ist nicht nur ihr Pragmatismus, sondern auch ihre Einsicht darin, dass “symbolische Orte” nicht vom Himmel fallen: Sie sind wandelbar, können profiliert und überschrieben werden. Den Praxistest macht Broy am Ende des Bands, indem sie noch einmal eine Ordnung in all die Einzelfallporträts bringt: die “symbolischen Orte”, die an unerwarteter Stelle wie im Wildwuchs entstehen (wie der Bolzplatz); diejenigen, die von oben herab (Top-down) erschaffen werden; und die Beispiele, die von unten (Bottom-up) gebildet werden. Um dann den Mehrwert, den “Mythos Schalke” für den Stadtteil selbst fruchtbar zu machen. All das liest sich (meist) flott weg und macht Lust, selbst einen Bedeutungsüberschuss zu produzieren. Und damit hätte das Herausgeber:innenduo sein Ziel schon erreicht. (kb, 9.12.23)

Broy, Sonja/Kuder, Thomas (Hg.), Symbolische Orte machen. Ein Potenzial der Stadtentwicklung, Jovis Verlag, Berlin 2023, Broschur, 256 Seiten, 80 Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen, ISBN: 9783986120399, E-Book: ISBN: 9783986120436.

Landschaftspark Duisburg-Nord (Bild: PD)

Landschaftspark Duisburg-Nord (Bild: PD)

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