von Sabine Kock
Eigentlich sollte sie heute so legendär sein wie die alte Ringlinie. Aber anders als ihr historischer Vorgänger von 1912 werden die Stationen der „Wandsbeker Linie“ von Fritz Trautwein (1911-93) nicht sensibel erhalten oder denkmalgerecht saniert. Im Gegenteil – Renovierungen und vermeintlich moderne Umgestaltungen verhindern ein jüngeres historisches Bewusstsein. Das 25. Todesjahr des Architekten mahnt nun zum Umdenken.
Ein Flaggschiff
Als 1955 die Erweiterung des U-Bahnnetzes an der Endhaltestelle „Jungfernstieg“ startete, wollte Hamburg Zeichen setzen. Zehn Jahre nach Kriegsende war die Stadt im Aufbruch und in den Wiederaufbauplänen spielte Mobilität eine entscheidende Rolle. Mit der ersten U-Bahn-Streckenerweiterung nach dem Krieg sollte die „Wandsbeker Linie“ ausgebaut werden: Man wollte die bestehenden Bahnhöfe „Jungfernstieg“ und „Wandsbek Gartenstadt“ mit 11 neuen Haltestellen verbinden. Die Linie war das Flaggschiff der Hamburger U-Bahn in Wirtschaftswunderzeiten. Bewusst beauftragte man freie Architekten und verteilte die Haltestellen an die Büros Schramm + Elingius, Rübcke, Sandtmann + Grundmann und Trautwein. An die Stelle von Historismus, Jugendstil und Klassischer Moderne sollte ein neuer Geist, ein neues Lebensgefühl treten.
Fritz Trautwein war im Architekten-Netzwerk der Stadt fest verankert. 1956 wurde er als Architekturprofessor für Entwerfen an die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg berufen. Mit Hans Loop war er schon mit einem großmaßstäblichen Vorentwurf für die wichtige Haltestelle „Landungsbrücken“ und für angrenzende Hafenrandgebäude beauftragt. Umgesetzt wurde dann 1959 zwar nur eine Wiederaufbauversion der Haltestelle, aber Trautweins ungewöhnlich kühne kupferne Gesamthülle der neuen Schalterhalle und ihre stadträumliche Einbindung fanden viel öffentliches Lob.
Im Zwischengeschoss
So erhielt Fritz Trautwein den Auftrag für drei Haltestellen der „Wandsbeker Linie“. Alle an der Strecke beteiligten Architekten konnten über den Ausbau der Tunnel und Bahnsteige hinaus schon früh mit den Ingenieuren zusammenarbeiten. Das bot ungewöhnliche Möglichkeiten, auch am Rohbau mitzugestalten, auch das Raumprofil, die Stützenformen und Grundrisse der Zwischenebenen zu beeinflussen. Die Schalterhallen wurden meist in ein Zwischengeschoss unter die Erde gelegt, um die oberirdischen Verkehrsstraßen und Kreuzungen vom Fußgängerverkehr freizuhalten. Ausgestattet mit Vitrinen und Läden, sollten diese unterirdischen Räume zu attraktiven Passagen werden. Der Bahnsteig selbst erhielt abgehängte Decken und die Haltestellen unterschiedliche Farben.
Grün, blau, rot, schwarz
Hamburg, Haltestelle „Wandsbeker Chaussee“, Schalterhalle, Entwurfscollage von Fritz Trautwein, 1960 (Bestand: Hamburgisches Architekturarchiv)
Mit diesen Vorgaben verwirklichte Trautwein 1961/62 die Haltestellen „Lohmühlenstraße“ und „Wandsbeker Chaussee“. Die keramischen Wandbekleidungen der Tunnelröhre waren einfarbig, die „Lohmühlenstraße“ in lichtem Grün und die „Wandsbeker Chaussee“ in lichtem Blau. Die weißen Decken, in Längs- oder Querrichtung gefaltet, überdehnten die Bahnsteig-Länge oder suchten diese optisch zu verkürzen. Die Stützen wurden sechseckig geformt und dem Farbklang der Wand angepasst. Im grundsätzlich gleichen Raumprofil hatte Trautwein die Möglichkeiten von Farbe, Fläche, Punkt und Linie konsequent durchgespielt und bis ins Detail ausgearbeitet. Die eigentlich rechteckige Schalterhalle formte er im Ausbau zu einem schwingenden Raumfluss, der von den Sperranlagen gegliedert wurde.
Aufgrund der besonderen Geländebedingungen und der vorgegebenen Anordnung der Seitenbahnsteige gelang Trautwein mit der Haltestelle „Alter Teichweg“ etwas Besonderes: Die Decke der Zwischenebene wurde über die gesamte Bahnsteig-Länge fortgeführt, sodass der Tunnel höher war als üblich. Durch die stumpf gegen die Decke geführte, schlanke Mittelstützenreihe und die aufgebrochene abgehängte Decke wird die übergroße Halle voll ausgespielt. Die Farben wirken dramatischer, wechseln zwischen kräftigem Türkis, sattem Schwarz und tiefem Rot. Den Höhepunkt bildet die aufgeständerte Haltestellenwärterkanzel: Sie kommt mit einem Steg von der Schalterebene, ruht auf einer Stütze und schwebt zuletzt im Luftraum der Halle.
Zerfallen in Stückwerk
Soweit zum Original – nach 55 Jahren sich wandelnder stadträumlicher, funktionaler und wirtschaftlicher Anforderungen haben Rück- und Umbauten die Haltestellen stark verändert. Während die zeitgenössische Fachpresse 1963 die Architektenleistungen bei den Tunnelstationen würdigte, verlieren sich heute deren Spuren durch jahrelange Renovierungen und Überarbeitungen. Dass die in sich individuellen Haltestellen der „Wandsbeker Linie“ ursprünglich einem gemeinsamen Gestaltungskanon entsprachen, war einmalig. Doch längst ist die Linie ein Stückwerk, zerfallen durch die vielen Eingriffe unterschiedlicher Renovierungsphasen.
Trautwein war weiterhin für die Hochbahn tätig: Ab 1968 wurde der Schnellbahnknoten „Jungfernstieg“ ausgebaut, wieder ein Prestigeprojekt der Stadt. Neben der vorhandenen U-Bahnlinie sollten zwei weitere angebunden werden, dazu noch der neue City-Tunnel der S-Bahn, alles über fünf Ebenen unter der Alster geführt. Eine gewaltige und vielbeachtete Bauaufgabe, für die Trautwein bis 1975 die neuen Haltestellen der Tiefebenen gestaltete. Er änderte die Farbpalette, setzte am S-Bahnsteig sein Motiv der gefalteten Decken fort und fand mit sich spreizenden Trapezformen am Deckenrand einen gelungenen Wandanschluss für die stark gekrümmte Röhre. Fast beschwingt glitten die Züge entlang an weißen und grauen Kreisen auf kräftigen Farbfeldern. Der neue U-Bahnhof und die Verteilerebenen führten den Farbklang weiter, waren aber insgesamt sachlicher. Das Konzept ist heute in den Untergeschossen amputiert: Die Deutsche Bahn erneuerte den S-Bahn-City-Tunnel vollständig. Im November letzten Jahres wurden die Wand- und Stützenverkleidungen, die letzten Reste der alten Haltestelle, zu Stahlschrott.
Ein Denkmal?
Hamburg, Haltestelle „Alter Teichweg“, Bahnsteigtunnel, 2018 (Bild: Sabine Kock)
Die Haltestelle „Burgstrasse“ erreicht man auf einer anderen Linie in Richtung Osten der Stadt. In ihrem oberirdischen Bauwerk übersetzte Trautwein das Motiv der gefalteten Decke auch in das Dach. „Burgstrasse“ und „Jungfernstieg“ wurde von der Hochbahn in die 1980er Jahre gerne in Publikationen vorgezeigt. Zum 100-jährigen Jubiläum 2006 veröffentlichte das Unternehmen eine mehrbändige Buchreihe – darin war von Trautwein keine Spur. Dabei ist die Haltestelle „Alter Teichweg“ bis heute gut erhalten. Die Kriterien eines Denkmals sind allemal erfüllt, aber eine Unterschutzstellung gibt es trotzdem nicht.Vor 50 Jahren schuf Trautwein mit Fritz Leonhardt den Fernsehturm der Hansestadt. Seiner ursprünglichen Nutzung ist er längst beraubt, aber verschwinden wird dieses Hamburger Wahrzeichen zum Glück wohl nicht. (12.2.18)
Titelmotiv: Hamburg, Haltestelle „Alter Teichweg“, Entwurfscollage von Fritz Trautwein, 1962, Haltestellenwärterkanzel (Bestand: Hamburgisches Architekturarchiv)
Literaturauswahl
Moldrings, Frank (Hg.), Stationen Hamburger Architektur. Die Hochbahn setzt Zeichen. Seit 100 Jahren. Hamburger Hochbahn AG, Hamburg 2008.
Frühauf, Anne, „Die Bauwerke des Schienenverkehrs in Hamburg“ (Themen-Reihe 5), hg. von der Kulturbehörde/Denkmalschutzamt Hamburg. Hamburg 1994.
„Hamburg und seine Bauten 1969-1984“, hg. vom Architekten- und Ingenieurverein Hamburg, von der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe und von der Patriotischen Gesellschaft von 1765, Hamburg 1984.
Mandel, Georg/Kühne, Günther, in: Bauwelt 31, 1963, S. 881-889.